von Judith Schuck, 14.12.2022
«Mein Herz sagt, was der Pinsel macht»
Dass Genie und Wahnsinn eng verwandt sind, ist bekannt. Wahnsinnig talentiert ist Moni Guélat, die mit ihren Traum- und Fantasiewelten Geschichten aus dem Leben und ihrer Zwischenwelt erzählt. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
„Aus allem Negativen, egal wie schlimm es ist, kann man immer etwas Positives rausnehmen und daran weiter wachsen." Das ist das Lebensmotto von Moni Guélat. Ihr Leben beschreibt sie als schwierig, von Anfang an. Von ihren drei Geschwistern wurde sie im Alter von drei Jahren getrennt, alle in Kinderheimen in unterschiedlichen Kantonen untergebracht. Mit fünf Jahren kam sie zu ihren Pflegeeltern nach Kreuzlingen. „Bei ihnen war ich immer das schwarze Schaf, immer an allem Schuld", sagt sie.
Verdrängte Gewalterfahrungen, eine frühe, schwierige Ehe, nach deren Scheidung sie letztlich zusammenbrach und in eine Psychiatrische Klinik kam. „Eigentlich war ich nur erschöpft", doch vor 20 Jahren waren die Behandlungsformen noch andere. Zweimal durchlebte sie eine Psychose, und möchte ein drittes Mal unbedingt vermeiden. „Das war eine brutale Zeit." Wenn sie dies alles nicht durchlebt hätte, wäre sie allerdings nicht die selbstbewusste Frau, die sie heute ist, „sondern immer noch die schüchterne", ist die Künstlerin überzeugt.
„Das war eine brutale Zeit."
Moni Guélat
Die willensstarke Thurgauerin bahnte sich ihren Weg allen Widerständen zum Trotz und steht heute mit feurigem Haar und nie um eine Antwort verlegen da. Sie müsse in die Politik, wurde ihr erst jüngstens nahegelegt. In Gruppen wurde sie stets zur Wortführerin gewählt, und das, obwohl sie sich als eher zurückhaltend wahrnahm.
Durch Bilder zum Sprechen gefunden
Sprechen habe sie eigentlich erst bei Thomas Meng gelernt. Der Kunsttherapeut leitete früher das Offene Atelier in Münsterlingen. Durch die Methode des progressiven Spiegelbilds lernte sie, mit anderen in Dialog zu treten und zu erzählen, was ihr durch den Kopf geht. Die „Kommunikation durch Bilder“ lehrte sie, alles sagen zu dürfen, was sie wolle, ohne dabei jemanden zu verletzen.
Bei Thomas Meng stellte sie schliesslich auch ihre ersten Werke aus. Das Tempo, in dem sich Moni Guélat künstlerisch entwickelte, ist schier unglaublich. 2005 trat sie während eines Klinikaufenthalts erstmals in Kontakt mit Kunststherapie.
Für die Therapeutin war sie eine Herausforderung. „Ich fand, ich könnte nur schlechter malen als mein kleiner Sohn“, erzählt sie, und dass die Kunsttherapeutin sie immer wieder fragte, was sie nur mit ihr anstellen solle.
Eine geordnete Chaotin
Da übernahm sie selbst die Iniative: „Ich klebte ein grosses Stück Packpapier an die Wand und verteilte in tänzerischen, grossen Bewegungen mit den Händen die Farbe darauf und kratzte sie mit den Nägel teils wieder ab.“
Das ist bis heute ihre Vorgehensweise. Sich das nehmen, was da ist, und damit arbeiten. Wenn ihr Partner sie manchmal schon gefragt habe, wo bestimmte Küchengegenstände seien, habe er sie im Atelier bei ihr wiedergefunden. Sie selbst habe sich gar nicht mehr erinnert, dass sie sie zweckentfremdet hatte. „Meine Kinder sagen immer: ‹Mama, du bist eine geordnete, saubere Chaotin›».
Kratzen zum Konzentrieren
Kratzbilder macht die Kreuzlingerin noch heute. Früher ritzte sie in Kupfer oder in Glas, beliebt ist bei ihr ausserdem die „Kindergartentechnik“: Dazu malt sie bunte Farbfelder auf ihren Untergrund und deckt diese anschliessend mit schwarzem Wachs vollständig ab. 2020/21 lernte sie diese Methode bei einem Klinikaufenthalt. Sie litt unter schweren Depressionen. Aus dem dichten Schwarz leuchten feine, bunte Fantasiewelten. Leitern als wiederkehrende, strukturgebende Motive durchziehen die Bilder in alle Richtungen. Dazwischen Kirchen, Geister, Fabelwesen, Menschen.
„Während meiner Psychozeit“, wie Guélat ihre Psychose nennt, „habe ich ein Wirrwarr im Kopf gehabt. Da drehte sich alles wie ein Hamsterrad. Das habe ich hier dargestellt.“ In der Klinik konnte sie sich auf nichts konzentrieren, also habe sie mit dem Kratzen angefangen.
Salzteig: Weg wie warme Semmeln
Moni Guélat war schon immer gestalterisch tätig. Neben Job und Haushalt schaffte sie stets kreativ. Als die Feinmotorik noch besser ausgeprägt war, bastelte sie gerne mit feinem Draht, Bäumchen beispielsweise, die sie dann mit Perlen schmückte. „Die sind heute in der ganzen Schweiz verteilt.“ Aus Salzteig schuf sie gemeinsam mit ihrer Schwägerin Kunstvolles, das sie auf Märkten vekauften. „Wir hatten damals wirklich wenig Geld, das Material war günstig. Das ist gegangen wie nichts!“
«Ich habe ein Wirrwarr im Kopf gehabt. Da drehte sich alles wie ein Hamsterrad. Das habe ich hier dargestellt.»
Moni Guélat
Die Feinmotorik fehlt momentan, aber das stört die Allrounderin nicht. „Heute mache ich andere Sachen.“ Mit jeder Krankheitsphase habe sie sich weiterentwickelt. „Es kam immer etwas Neues hinzu, gleichzeitig habe ich meinen Stil und Erkennungswert.“ Ihre Freund:innen sähen sofort: „Das ist ein Moni-Bild!“
Innere Bilder, die raus wollen
Ihr Herz sage ihr, was der Pinsel macht. Tatsächlich benutzt die Künstlerin keinerlei Vorlagen, sondern malt aus dem Kopf. Schier unglaublich scheint dies bei einem sehr frühen Werk von 2008. Eine Auftragsarbeit, ihre erste: „Traumwelten“. Gewächse mit flauschigen, distelartigen Blüten ranken sich über kräftige Farbfelder, verbinden alles miteinander, die blätterlosen „Moni-Bäume“, Hügel, Häuschen, Wurzeln – wo ist oben, wo ist unten? Surreal, ein bisschen Chagall, aber mehr Details, mehr Florales.
Eine Vorlage oder Idee gibt es bei Moni Guélat nie. Sie fängt irgendwo auf dem Blatt an und arbeitet von da aus in alle Richtungen, alles entsteht und entwickelt sich aus ihrem Kopf, ihrer Fantasie heraus. Wenn sie in einer depressiven Phase sei, lebe sie in einer Zwischenwelt zwischen Leben und Tod. Diese habe sie sich schön gemacht, oder besser malt sie sich schön in diesen bunten Farben: Orange, Petrol, Grün, Gelb. „Ich male Fantasiebilder. Mir ist aber wichtig, dass die Betrachter:innen ihre eigene Geschichte dazu bilden können.“
Akzeptieren lernen, wie es ist
In ihrem Atelier gibt es nicht nur Bilder zu sehen, auch Töpferarbeiten, Speckstein, Glasarbeiten unzählige Farben wie Kreide, Pigmente, Acryl, Aquarell. Wenn sie nicht Zuhause schafft, ist sie im Offenen Atelier der Stiftung Mansio, das 2015 von Münsterlingen nach Kreuzlingen gezügelt ist. Dort töpfert sie auch, macht Schmuck, tauscht sich mit den anderen aus. „Ich vermisse meinen Job in der Pflege, aber ich muss akzeptieren wie es ist.“ Das Offene Atelier gibt ihr eine Tagesstruktur.
Doch damit nicht genug: „Ich habe schon immer etwas gesucht, wo ich mich tänzerisch, körperlich ausdrücken kann.“ Als sie eine Aufführung des Micha Stuhlmann-Ensembles sah, wusste sie, dass sie gefunden hatte, wonach sie suchte. Da musste sie dabei sein. Seit vielen Jahren ist sie mit Unterbrechungen – je nach Zustand – festes Ensemble-Mitglied. „Ich habe früher schon Theater gespielt, aber hier verkörpere ich meine eigene Rolle“, erklärt sie.
„Bei mir läuft alles ineinander, geht aber in die gleiche Richtung.“ Ihren harten Lebensweg will sie ausdrückbar machen, „was ich fühle, weitergeben, aber so, dass jeder seine eigene Geschichte daraus machen kann.“
Von Judith Schuck
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