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von Niculin Janett, 13.05.2019

Ravel auf Jazz

Ravel auf Jazz
Marco Mezquida balanciert sein Klavierspiel geschickt zwischen Spektakel und Subtilität | © Niculin Janett

Der Pianist Marco Mezquida interpretiert in der Romanshorner Reihe «klangreich» ein Programm bestehend ausschliesslich aus Werken Maurice Ravels. Ein Abend voll jazz-induzierter klassischer Musik.

Eine Winternacht in New York City, 1951. Birdland Jazzclub. Nach Billy Taylor’s Band betritt Altsaxophonist Charlie Parker mit seinem Quintett die Bühne. Im Publikum, an einem der vorderen Tische, sitzt ein illustrer Gast: Igor Stravinsky. Der russische Star-Komponist und bekennende Jazzfan. Auf dessen Präsenz im Publikum aufmerksam gemacht, zitiert Parker, der, man munkelt, selbst zu Stravinsky-Platten improvisiert hat, eine Passage aus der „Firebird-Suite“.

Stravinsky ist nicht der einzige klassische Komponist, der sich für die neue, moderne Musik interessiert, welche die Klubs in Chicago, New York und New Orleans erobert. Ragtime, Swing, Bebop, und Jazz im Allgemeinen, geniessen einen immer höheren Status in Europa, und machen wichtige Exponenten der kontemporären Klassik auf sich aufmerksam. Darunter berühmte Namen wie Ernst Krenek, Darius Milhaud oder Louis Andriessen. Die neue Musikströmung aus Amerika inspiriert sie für Werke wie Milhauds Ballet „La Création du Monde“ oder Kreneks Oper „Johnny Spielt auf“.

Wie verschiedene Musikstile voneinander zehren können

Auch ein gewisser Franzose namens Maurice Ravel lässt sich vom Jazz und Blues beeinflussen. Als ein Bekannter des amerikanischen Komponisten George Gershwin besucht er, teils auch in dessen Begleitung, Jazzkonzerte in Harlem, wie zum Beispiel Duke Ellingtons Orchester im Cotton Club. Was denn auch seine Spuren hinterlässt, gut zu hören unter Anderem in Ravels „Piano Concerto in G-Dur“ von 1931.

Dass verschiedene Musikstile voneinander zehren, sich gegenseitig inspirieren und beeinflussen, auch epochenübergreifend, ist nichts Neues und ja durchaus auch ein logischer, um nicht zu sagen unausweichlicher Prozess. Es gibt keinen Beethoven ohne Haydn und keine Rockmusik ohne den Blues. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich Jazzmusiker immer wieder an klassische Werke heranwagen und deren Klänge neu interpretieren. So geschehen am Samstagabend in der Alten Kirche in Romanshorn, im Rahmen der Reihe „Klangreich“.

Die Kommunikation zwischen den Musikern ist omnipräsent, im Speziellen zwischen Martin Meléndez und Aleix Tobias. Bild: Niculin Janett

Eine spannende Symbiose von Melodien, Stilen und Rhythmen

Der katalanische Pianist Marco Mezquida präsentiert dort seine CD „Ravel’s Dreams“. Begleitet von Martin Mélendez am Cello und Aleix Tobias an Schlagzeug und Perkussion, wirbelt sich Mezquida durch eine Sammlung der bekannteren Werke des baskischen Komponisten. Man muss nicht auf Ravels Musik bewandert sein, um beim Zuhören immer wieder Melodiepassage zu erkennen, so eingängig und bekannt sind viele von Ravels Werke.

Es ist eine spannende Symbiose von Melodien, Stilen, Rhythmen und Farben, welche einem da vorgeführt wird. Spannend, aber auch heikel. Denn je berühmter die Musik, desto grösser auch deren metaphorisches Fettnäpfchen, in welches man sich mit seinen virtuosen Läufen potenziell hinein manövrieren kann. Kommen wir aber später nochmals darauf zurück.

Es beginnt leichtfüssig und märchenhaft

Das Konzert beginnt mit einer Interpretation von der Komposition „Ma Mère l’Oye“, welche Ravel, basierend auf Märchen, für vierhändiges Klavier geschrieben hat. Die Musik kommt zwar hier pianistisch gesehen nur zweihändig, dafür aber leichtfüssig und märchenhaft mystisch daher, in der Version des Trios. Getragen von der Hauptmelodie mit dem Cello, umwoben von Klanggirlanden von Piano und Perkussion.

Nicht minder leicht und weich beginnt das „Streichquartett in F“. Langsam aber sicher schleichen sich dann aber eckigere, lebhaftere Rhythmen in die Interpretation Mezquidas. Man hört Elemente aus der Flamenco-Musik und ein erstes Mal lässt der Pianist seine erstaunliche virtuose Eleganz in schnellen Passagen aufblitzen. Man kommt nicht um den Verdacht herum, dass Keith Jarrett, Bill Evans, aber auch Ahmad Jamal und Abdullah Ibrahim keine unbekannten Namen sind für den Spanier.

Während er am und im Klavier die Töne tänzeln lasst, erhält Perkussionist Tobias viel Raum und Zeit, seine verschiedensten Trommelinstrumente zum Einsatz zu bringen. Er tut dies auch, aber ohne jemals die Show zu stehlen. Sowieso brilliert das Trio mit einem beeindruckend ausbalancierten Ensemble-Klang - eine kraftvolle, aber doch zurückhaltende Version vom 2nd Movement des bereits oben erwähnten „Piano Concerto in G-Dur“ stellt dies weiter unter Beweis. Diesmal zeigt Cellist Mélendez, dass er sich in der Formation nicht nur auf rhythmische Muster beschränken lässt, sondern auch an warmen, getragenen Melodien seine Freude findet.

Video: Dieses Stück war auch in Romanshorn Teil der Zugabe

Die Spielfreude der Musiker ist pure Freude für die Zuhörer

Wenn wir von Freude sprechen: Womit die drei Musiker wohl am meisten brillieren, ist deren Spielfreude und -lust. Es scheint, dass man sich gegenseitig immer wieder von neuem zu überraschen weiss, obwohl die Bearbeitungen der Ravel-Werke alle meist einer sehr strikten Form und Struktur folgen. Dank der Lebendigkeit der Interpretation entledigt sich die Musik aber jeglicher Steifheit. Und das ist wiederum eine Freude für den Zuhörer.

Eine Freude, welche sich auch nicht durch den kleinen Ausrutscher gegen Ende des Konzerts trüben lässt. Trotz ihrer Brillanz und instrumentalen und musikalischen Autorität können Mezquida, Mélendez und Tobias dem Fettnäpfchen, als welches sich das Über-Stück „Boléro“ zu entpuppen beliebt, nicht ganz entrinnen. Man muss sie für ihren Mut bewundern, sich an diese allerberühmteste Komposition Ravels heranzuwagen. Aber egal wie sehr das Trio auch mit überraschenden Rhythmen, lauten Trommeln und frechen Quietschtönen vom Offensichtlichen abzulenken sucht,  wird es nichts desto trotz immer wieder von der Last des eher schwerfälligen Stückes zurück auf den Boden der etwas zu plakativen Realität zurückgeholt.

Vielleicht wäre ein bisschen Verzicht am Ende besser gewesen

Man versteht das Bedürfnis, in einem Ravel-Exklusivprogramm den Boléro nicht fehlen lassen zu wollen, aber vielleicht wäre es fast spannender gewesen, den Zuhörer im ungewissen Fantasieren zurückzulassen, wie Ravels berühmtestes Werk wohl geklungen haben könnte. Und so diese sehr heikle musikalische Situation elegant zu umschiffen. Denn wenn Marco Mezquida, Martin Mélendez und Aleix Tobias etwas beherrschen, dann ist es die Kunst der musikalischen Eleganz.

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