von Judith Schuck, 13.03.2023
Wissenschaft zum Grunzen
Power-Frau Rahel Wohlgensinger und Multitalent Hannes Geisser in einer tierisch feministischen Komödie: «Wildsau!» feiert am 19. März in der Theaterwerkstatt Gleis 5 Premiere. (Lesezeit: ca. 3 Minuten)
Das Setting der neuen Produktion von Rahel Wohlgensinger und Simon Engeli ist ein Büro. Das ist nicht ungewöhnlich. Dass in diesem Büro aber ein widerborstiges Schwein wütet, eher doch. Im Kammerspiel «Wildsau!», das am 19. März in Frauenfeld Premiere feiert, passieren noch weitere ungewöhnliche Dinge. Zum Beispiel spielt Dr. Hannes Geisser, Direktor des Naturmuseums Thurgau, sich selbst. Im Stück ist er «Sauologe». Im wahren Leben schrieb er seine Dissertation über Wildschweine.
Amüsiert Schulkinder wie Erwachsene
Wie der Naturwissenschaftler zum Schauspiel kam, erklärt Simon Engeli, der das Stück gemeinsam mit seiner Frau Rahel Wohlgensinger etwickelte und die Regie führt: «Wir wollten mal wieder mit dem Naturmuseum zusammenarbeiten. Unser Anspruch war es, ein lustiges Stück mit wissenswerten Infos auf die Bühne zu bringen.»
2019 produzierten sie schon einmal ein Stück, das naturwissenschaftliches Wissen vermittelte. «Biber the Kid», bei dem die Rahel Wohlgensinger mit Schauspieler Giuseppe Spina zusammenspielte, war ein voller Erfolg und wurde rund 100 Mal in der Deutschschweiz aufgeführt.
Die neue Produktion von Puppenspiel.ch richtet sich an ein etwas älteres Publikum als «Biber the Kid». Es ist ab 6 Jahren. Auch wenn «Wildsau!» für Schulkinder geschrieben wurde, ist Florence Leonetti, zuständig für die Kommunikation in der Theaterwerkstatt, überzeugt: «Die Erwachsenen amüsieren sich mindestens so sehr wie die Kinder.» Neben naturwissenschaftllichem Wissen über dieses in unserer Heimat weit verbreitete Wildtier, transportiert der Plot eine zweite Ebene, die nicht nur für Kinder, sondern auch Grosse ein brennendes Thema ist: Selbstbewusstsein.
«Unser Anspruch war es, ein lustiges Stück mit wissenswerten Infos auf die Bühne zu bringen.»
Simon Engeli
Vom Spitalbett auf die Bühne gebeamt
Rahel Wohlgensinger spielt die schüchterne Assistentin des Wildschweinexperten Dr. Hannes Geisser. Dieser liegt nach einer konfrontativen Begegnung mit Wildschweinen im Spital Frauenfeld und begleitet Rahel via Facetime bei den Vorbereitungen für einen prestigeträchtigen Vortrag an einem internationalen Online-Symposium.
Da er verhindert ist, soll sie es an seiner statt halten. So schaffte es der richtige Hannes Geisser ins Stück, wobei er zugeben muss, dass für ihn nur diese Methode der Filmsequenz in Frage gekommen sei, «auf die Bühne wäre ich sicher nicht, das ist dann doch eine Nummer zu gross für mich.»
Wohlgensinger spielt aber nicht nur die Wissenschaftsassistentin, schüchtern und zurückhaltend, sondern auch die Wildsau. Diese verschafft sich Zugang zum Büro des Sauologen. Denn im Vortragsskript geht es schliesslich darum, die rasche Vermehrung ihrer Art einzudämmen. Die Sau, als «komplexfreie Bache mit krimineller Energie» beschrieben, wütet aber nicht nur in den Schriften und Papieren, sie nimmt sich zudem der scheuen Assistentin an. Rahel mausert sich Dank des Einflusses der wilden Sau, die ihr zu mehr weiblichem Selbstvertrauen verhilft, zu einer «Vortrags-Rampensau».
Höchstleistung: Puppenspielerin
Die weibliche Sau trage feministische Züge, sagt Simon Engeli. «Sie entschuldigt sich für nichts und sagt schlicht: ‹So bin ich›.» Es geht also nicht nur um die Ko-Existenz von Mensch und Wildschwein, sondern auch um Frauenpower. Für Rahel Wohlgensinger bringt das Stück darüberhinaus noch eine ganz neue Erfahrung mit sich, für die es wirkliche Super-Power braucht.
«Es wird spannend, was wir bis zur Premiere noch schaffen, denn jetzt kommt die Feinarbeit.»
Rahel Wohlgensinger
Als Schauspielerin steht sie dieses Mal ganz allein auf der Bühne und spielt Sau und Frau. Simon Engeli betont, was das für eine Leistung sei, zeitgleich zwei Charaktäre zu verkörpern: «Ich könnte das nie. Sich selbst als Rahel spielen und auf der rechten Hand eine weitere Figur, die ja nie sterben darf, auch wenn sie gerade Rahel ist.»
Die Wildsau-Puppe stammt aus dem Atelier der Puppenbauer:innen Melanie Sowa und Mario Hohmann in Berlin, mit denen Wohlgensinger schon viele Jahre zusammenarbeitet. Dennoch musste sie einige Anpassungen vornehmen, um sich mit der Sauen-Puppe richtig anfreunden zu können. Eine kleine Kostprobe beim Pressegespräch zeigt: Die Mimik überzeugt das Publikum bereits. «Es wird spannend, was wir bis zur Premiere noch schaffen, denn jetzt kommt die Feinarbeit.»
Bildhauerin entwickelt die Bühne
Als hätte Hannes Geisser mit seinem Expertenwissen und seinem Gastspiel nicht schon genug zum Stück beigetragen, schlüpft er noch in eine weitere Rolle: Als Musiker ist er für den Soundtrack zuständig, den er auf dem Bariton-, Tenor- und Sopransaxophon einspielte. Er ist im wahren Leben Teil des Jazzquartetts XOLO und der Improvisationsformation Duo Uno per Uno.
Mit Melanie Geiger, die eigentlich für die Betreuung der Finanzen bei der Theaterwerkstatt Gleis 5 angestellt ist, bringt als gelernte Bildhauerin ebenfalls einen Blick für Bühnenästhetik mit. «Die Bühne ist der statische Teil eines bewusst lebendigen Stücks», sagt sie, die es gewohnt ist, dass ihr Werk für gewöhnlich eine Solitärstellung einnimmt. Rahel Wohlgensinger, die als Puppenspielerin sehr präzise Wünsche an das Bühnenbild hat, schätzt es, jemanden vor Ort zu haben, mit dem es sich im Prozess entwickeln kann.
Als weitere Gastspieler werden in den Filmeinspielern, die den Wissenschaftsvortrag per Zoom nachstellen, neben anderen Giuseppe Spina, aber auch Ingo Biermann vom Theater Konstanz zu sehen sein. Nach der Premiere wird die «Wildsau!» ab Mitte April noch fünf weitere Male in der Theaterwerkstatt Gleis 5 gezeigt, bevor das Stück auf Tournée geht.
WILDSAU!
Premiere:
Sonntag, 19. März, 16 Uhr
Aufführungen:
Samstag, 15. April, 15 Uhr
Sonntag, 16. April, 15 Uhr
Samstag, 22. April, 15 Uhr
Sonntag, 23. April, 15 Uhr
Sonntag, 30. April, 15 Uhr
In der Theaterwerkstatt Gleis 5, Frauenfeld
Von Judith Schuck
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