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Akt der Selbstvergewisserung

Akt der Selbstvergewisserung
Der Sitz der Kulturstiftung des Kantons Thurgau in Frauenfeld. | © Michael Lünstroth

Nach langen Monaten des Schweigens wollte sich die Kulturstiftung des Kantons am Freitagabend in Frauenfeld erstmals öffentlich einer Debatte mit dem Namen „Kultur, Kulturpolitik und Förderung im Kanton Thurgau" stellen. Statt intensiver Diskussion wurde es eher ein Abend der Selbstvergewisserung im vertrauten Kreis.

Von Michael Lünstroth

Eigentlich war alles angerichtet für einen spannenden Abend. Nach Monaten des Schweigens in einer ihrer vielleicht grössten Krisen, hatte sich die Kulturstiftung des Kantons entschlossen, in die Offensive zu gehen. Unter dem Titel „Kultur, Kulturpolitik und Förderung im Kultur Thurgau" hatte sie am Freitagabend zu einem Debattenforum in ihre Räume in die Frauenfelder Lindenstrasse geladen. Rund 30 Besucher waren gekommen. Gemeinsam mit der scheidenden Stiftungspräsidentin Claudia Rüegg moderierte Gioia dal Molin, die Kulturbeauftragte der Stiftung, den Abend. An ihrer Seite waren Künstlerinnen und Künstler, die entgegen dem, was zuletzt öffentlich wahrnehmbar war, sehr positive Erfahrungen mit der Stiftung gemacht hatten. Zum Beispiel der Thurgauer Kulturpreisträger 2016 Christoph Rütimann. Oder auch der Musiker Noam Szyfer, die Künstlerin Judit Villiger und der Theatermacher Simon Engeli. Es hätte also so etwas wie ein Befreiungsschlag für die Stiftung in der gesamten Debatte sein können. Es kam dann aber doch anders. Dazu später mehr.

Los ging es mit kürzeren und längeren Stellungnahmen der Künstler zu der These „Die Kulturstiftung geht alle an!" In alphabetischer Reihenfolge durfte Theatermann Simon Engeli, Mitbegründer der Werkstatt Gleis 5 in Frauenfeld, den Abend eröffnen. „Das Schöne an der Kulturstiftung ist, sie hat ein Gesicht. Man kann mit den Leuten jederzeit sprechen und die konstruktive Kritik bringt einen immer weiter", lobte der 28-Jährige. Insgesamt sei bei der Stiftung ein „Spirit spürbar", der den Kulturschaffenden das Gefühl gebe, wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden.

Nach Engeli durfte Humbert Entress, früherer Präsident der Kulturstiftung und heutiger Verwaltungsratspräsident bei der thurgau kultur AG, jener AG, die auch thurgaukultur.ch betreibt, seine Sicht der Dinge vortragen. „Ich verbinde vor allem zwei Gefühle mit der Kulturstiftung: Dankbarkeit und Heimat", erklärte Entress. Dankbarkeit, weil die Stiftung bei der Gründung vor 25 Jahren bewusst jenseits der Einflusssphäre der Politik installiert worden sei und weil das Wirken der Kulturstiftung, das Kulturleben im Kanton inspiriert und bereichert habe. Heimat sei die Stiftung für ihn, weil er lange Jahre darin arbeiten durfte: „Ich vermisse diese Arbeit und diese Art der Auseinandersetzung mit Kultur noch heute", gab der Anwalt zu. Für ihn bleibt die Kulturstiftung auch deshalb wichtig, weil sie „ein Bollwerk dagegen ist, dass nur noch gefördert wird, was mehrheitsfähig ist"

Stuhlkreis statt Debatte: Markus Landert, Chef des Kunstmuseums Thurgau, diskutiert unter anderem mit Humbert Entress, früherer Stiftungspräsident und dem Künstler Christoph Rütimann. Bild: Michael Lünstroth

In der Debatte um die Stiftung störe ihn vor allem, dass sich Künstlerinnen und Künstler rechtfertigen müssten, wenn sie mehrfach gefördert wurden. „Seien wir doch lieber froh, dass wir so tolle Künstler haben, die immer wieder dran bleiben und neue Dinge entwickeln und sich deshalb auch eine Förderung verdienen", meinte Entress.

Markus Landert, Leiter des Kunstmuseums Thurgau in der Kartause Ittingen, verwies darauf, dass in der Debatte mitunter vergessen werde, was die Kulturstiftung alles initiiert habe. Als Beispiele nannte er den Kunstraum Kreuzlingen und die Kunsthalle Arbon, die es ohne die Unterstützung der Stiftung wohl kaum gäbe, so Landert. Kantonsrätin Marianne Sax (SP) wiederholte in weiten Teilen die Rede, die sie auch vor dem Grossen Rat im November gehalten hatte. Darin erklärte sie unter anderem, dass die Stiftung das kulturelle Leben des Kantons reicher gemacht habe.

Der junge Jazzmusiker Noam Szyfer sprach davon, dass es ein „grosses Glück ist, dass es die Kulturstiftung gibt". Sie stelle sicher, dass nicht nach Beliebtheit gefördert werde, auch eher randständige und ungewöhnliche Projekte hätten so eine Chance. Eine Welt ohne Kulturstiftung skizzierte Szyfer so: „Es wäre so, dass wir alle bei Mc Donald's sässen, im Radio liefen ausschliesslich Justin Bieber und Taylor Swift und an den Wänden hingen kitschige Bilder die aussehen, als seien sie nach dem Prinzip ‚Malen nach Zahlen" entstanden." Dafür gab es Applaus und einiges Gekicher aus dem Publikum.

"Die Kulturstiftung hat den Kanton reicher gemacht": Kantonsrätin Marianne Sax (SP) hielt bei der Debatte im Haus der Kulturstiftung ein Plädoyer für die Stiftung. Im Hintergrund lauscht Gioia dal Molin, Kulturbeauftragte der Stiftung. Bild: Michael Lünstroth

Judit Villiger, Künstlerin und Initiatorin des Hauses zur Glocke in Steckborn, lobte die Multiperspektivität, die die Kulturstiftung mit ihren unterschiedlichen Förderungen schaffe. Sie sei vor Jahren auch bewusst aus Zürich wieder zurück in ihre Heimat Thurgau gegangen, weil sie um die Aktivitäten der Stiftung gewusst habe. „Meine besten und wichtigsten Projekte sind auch dank der Förderung der Kulturstiftung entstanden", bekannte die Künstlerin. Zwischendrin schaltete sich auch immer wieder das Publikum ein. Zum Beispiel Hans Jörg Höhener. Der Präsident der Kulturkommission des Kantons erklärte noch einmal den Unterschied zwischen den Fördermöglichkeiten aus dem Lotteriefonds und jenen der Kulturstiftung: „Es gehörte zur Konstruktion der Stiftung, dass die Mittel aus dem Lotteriefonds eher nach dem Giesskannenprinzip im Kanton verteilt werden, die Stiftung darf hingegen den Mut haben, auch Minderheitenprojekte zu fördern und Wagnisse einzugehen, die auch scheitern können."

Schon dieser gesamte Austausch im ersten Teil des Abends erinnerte eher an Stuhlkreis als an eine Debatte. Wer da noch die Hoffnung hatte, es würde im zweiten Teil spannender, wurde enttäuscht. Statt sich konkret mit den Vorwürfen an die Stiftung auseinanderzusetzen, ging es nun ausschliesslich um die an diesem Wochenende (11. Dezember) endende Werkschau Thurgau. Im Zentrum dabei die Frage - wie soll man es künftig mit dem verlangten Thurgaubezug der ausgewählten Künstler halten? Die Kulturstiftung hatte den Begriff in diesem Jahr bewusst breit verstanden und auch Künstlerinnen und Künstler berücksichtigt, die zwar mal im Kanton gelebt oder gearbeitet hatten, inzwischen aber ganz oder vorübergehend weggezogen waren.

Fühlen sich Thurgauer Künstler von Weggezogenen verdrängt?

Unter anderem Markus Landert erklärte, dass sich bei Künstlern, die seit Jahren im Kanton lebten und arbeiteten das Gefühl breit mache, sie würden von ausgewanderten Thurgauern verdrängt. „Nur weil es sich vielleicht cooler anhört, Künstler aus Hamburg oder Berlin dabei zu haben", vermutete der Museumschef. Insgesamt brauche es auch wieder mehr Streitkultur in den vorbereitenden Gremium zu den Inhalten der Werkschau, meinte Landert. In seinem Haus überlege man beispielsweise gerade, welche Positionen man auch hätte weglassen können. Konkrete Namen nannte er dabei aber nicht.

Claudia Rüegg, Noch-Stiftungspräsidentin, verteidigte das Konzept: „Die Werkschau ist immer eine Versuchsanordnung. Sie soll auch in künftigen Jahren wandelbar bleiben, deshalb sind wir auch immer offen für Neuerungen", so Rüegg. Danach ging es dann tatsächlich fast noch mal eine halbe Stunde um die Frage, ob die Adjektive „innovativ" und „zeitgenössisch" in den Förderkriterien der Stiftung heute noch zeitgemäss seien. Als hätte die Stiftung keine anderen Probleme.

Auf dem Podium fehlten vor allem - die Kritiker der Stiftung

Dass der Abend insgesamt nicht so recht funktionierte, lag natürlich in erster Linie an der Besetzung des Podiums. Dort waren sich alle einig über die Bedeutung der Stiftung für das Kulturleben des Kantons, es gab niemanden, der widersprach. Offenbar war keiner der Kritiker der Stiftung eingeladen worden. Und keiner jener Kritiker hatte sich von selbst bemüht, die Veranstaltung zu besuchen. Weder Kantonsrat Urs Martin (SVP), der mit seiner Interpellation in der Sache den Grossen Rat des Kantons dazu eingeschaltet hatte, noch Alex Bänninger, der Grosskritiker der Stiftung und ihrer Vergabepraxis, oder der Schriftsteller Daniel Badraun, der auch öffentlich Kritik an der Stiftung geäussert hatte, wollten sich anscheinend der Auseinandersetzung stellen.

So kam es, wie es kommen musste; es wurde ein recht biederer Abend. Es war zwar durchaus interessant, was die einzelnen Künstler über ihre Erfahrungen mit der Stiftung zu berichten hatten. Und es war sicher ein Verdienst der Veranstaltung, das in der öffentlichen Debatte jetzt auch mal jene Kulturschaffenden eine Stimme bekamen, die sehr zufrieden mit der Stiftung sind. Dass es die auch gibt, wurde in der öffentlichen Auseinandersetzung der vergangenen Monate oft übersehen. Eines war der Abend aber ganz sicher nicht - eine Debatte. Vielmehr glich die ganze Veranstaltung eher einem Akt der Selbstvergewisserung, ohne sich ernsthaft mit den in den vergangenen Monaten so oft genannten Kritikpunkten auseinanderzusetzen. Der erhoffte Befreiungsschlag für die Stiftung blieb aus. Schade eigentlich. Sie hätte es besser verdient gehabt.

Hinweis: thurgaukultur.ch wird von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau unterstützt. Die Stiftung ist Aktionärin der thurgau kultur AG 

 

 

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