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von Barbara Camenzind, 11.06.2019

Von passgenau bis verstaubt

Von passgenau bis verstaubt
Digitales für analoge Musik: Altstaedt dirigierte mit IPad und Fussschaltung | © Barbara Camenzind

Ittinger Pfingstkonzerte, der Montag: Während Cellist Nicolas Altstaedt erneut mit einer Bach’schen Cellosuite zeitgeistlose Schönheit in den Saal zauberte, wirkte „The Protecting Veil“ des 2013 verstorbenen Engländers John Tavener seltsam verstaubt, obwohl das Lockenhaus Festival Ensemble unter Altstaedts Leitung hervorragend spielte.

Meer, pardon, mehr von Bach. Nicolas Altstaedt, der Meister am Cello, tat dem Publikum den Gefallen und brachte nach dem zauberhaft-spukigen Abend in der Kartausenkirche, die Cellosuite Nr.6 in D-Dur, BWV 1012 mit in die Remise. Bach kam auf leisen Socken. Altstaedts Markenzeichen, ohne Schuhe zu spielen, ist keine Attitüde. Gerade das Barockcello muss liebevoll umschlungen werden, damit es klingen kann - das braucht eine fühlende Bodenhaftung. Was in der Kartäuserkirche als klingende Architektur mit Variationen ertönte, wurde in der knackigen Kammermusik-Akustik zur präzisen Klangsprache.

Das Spiel von Licht und Schatten, von leicht zu schwer, trat gerade in der Allemande sehr viel deutlicher hervor. Die alten Tänze, dieses französische Regelwerk der Schritte, Tritte und Sprünge entstand weit vor Bachs Zeiten. Nicolas Altstaedt verstand die Suite als eine Art metaphorischen Tanz der Akkorde und Klangbögen im Spiel des präzise geführten, kurzen Barockbogens. Dunkel die an die Gambe erinnernden Fächerakkorde, hell die perlenden Melodien. Es passte einfach alles. Wie schade, dass die Reise nach einer Suite zu Ende war.

Und ewig flirren die Halbtöne

Es gibt Musik, die hat eine Art Halbwertszeit. In der sie irgendwie komisch wirkt, wie Kleidungstücke, die einem vor 20 Jahren als perfekt passend erschienen. Es gibt Musik, die besser in Ruhe gelassen wird, bis sie- mit einer Art historischer Distanz - wieder aufführbar wird. Die Musik John Taveners gehört dazu, ganz sicher sein „The Protecting Veil“ von 1988/89.

Notabene, das perfekt eingestimmte Lockenhaus Ensemble agierte sehr konzentriert.  Mit hochsensiblem Duktus kroch es in die ewig flirrenden Halbtöne, den Flageolett-Wust und in das perpetuierende Kreisen um die endlich, endlich zu erreichende Tonika. Es ist vollkommen klar, dass ein Cellist mit solch einer transzendenten Stärke, wie Nicolas Altstaedt diese hat, nicht um dieses Werk für Cello solo und Orchester herumkam.

Mehr Yogamatte und Apple Ambient Music

Das Motiv des „Schutzmantelfests“ stammt aus der Orthodoxie, die Musik ist hochspirituell, obwohl der Ursprung politisch einzuordnen ist. Marias Schutzmantel wird über die Griechen ausgebreitet, vor einem Angriff der Sarazenen, der Angriff wird abgewendet. Tavener jedoch interessierten anscheinend nur die inneren Prozesse. Das ist eigentlich ganz okay, nur heute ziemlich heikel. Und: Es ist so Achtziger Jahre, so Arvo Pärt.  Auf Schweizerischer Ebene so Paul Giger. Der spirituelle Aufbruch in der Musik des späten 20.Jahrhunderts hatte seine Berechtigung, war schon immer Geschmacksache und erinnert zur Zeit irgendwie an Yogamatte und Apple Ambient Music. Was darum im Konzertsaal eher unauthentisch wirkt, hat woanders, an den Festivals für Independent Music ihren Platz zum Weiterwachsen gefunden. Stichwort Ludovico Einaudi, Luke Howard, Sigur Rós.

Trotzdem: Ein grosses Lob an das Lockenhaus Festival Ensemble, und an die an sich stimmige Planung des künstlerischen Leiters Nicolas Altstaedt. Man darf gespannt auf seine zweite Saison blicken, die er unter grossem Applaus zusagte.

Mehr zu den Ittinger Pfingstkonzerten 2019

1. In diesem Jahr gingen die Ittinger Pfingstkonzerte zum 25. Mal über die Bühne. Ein guter Anlass, um Bilanz zu ziehen: Wo es gut läuft und wo noch Luft nach oben ist.

 

2. Ittinger Pfingstkonzerte, der Sonntag: Nicolas Altstaedts feinsinnige Interpretation der Bach’schen Meisterwerke passte wunderbar gespenstisch in die Kartäuserkirche.

 

3. Ittinger Pfingstkonzerte, der Sonntagnachmittag: Das Konzert mit Vilde Frang und Alexander Lonquich mit Werken von Schubert und Schostakowitsch sorgte für Gänsehaut pur.

 

4. Ittinger Pfingstkonzerte, der Montag: Während Cellist Nicolas Altstaedt zeitgeistlose Schönheit in den Saal zaubert, kommt„The Protecting Veil“ von John Tavener seltsam verstaubt daher.

 

5.  «Ein Leben ohne Musik wäre Barbarei»: Nicolas Altstaedt, künstlerische Leiter und Cellist, im Porträt.

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