von Inka Grabowsky, 11.04.2022
Alles auf Rot
Das Museum Kunst + Wissen in Diessenhofen macht sich zum 60. Jahrestag der Eröffnung ein spezielles Geschenk. Eine Ausstellung, die die Geschichte der Rotfärberei mit zeitgenössischer Kunst verbindet. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Bevor vor 60 Jahren das Museum im „Oberen Amtshaus“ in Diessenhofen einzog, wurden hier über Jahrzehnte Baumwolltücher mit Extrakt aus der Krappwurzel rot eingefärbt und bedruckt. Erst die Erfindung von mineralischen Farbstoffen machte der Arbeit mit Pflanzenfarben vor Ort ein Ende.
Zufälle und aufmerksame Zeitgenossen ermöglichen heute die Ausstellung von Muster-Zeichnungen, die vor rund 180 Jahren entstanden sind. „Die Färberei stand viele Jahrzehnte leer, bis die Stadt sie in den fünfziger Jahren kaufte“, schildert die Museumsleiterin Lucia Angela Cavegn bei der Vernissage.
„Beim Ausräumen fand man dann Bündel von Entwurfszeichnungen, die der Entsorgung im Ofen entgangen waren. Als Arbeitsmittel waren sie früher nicht viel wert. Doch wir heute freuen uns, sie zum ersten Mal präsentieren zu können.“
Fachfrau mit Spürnase
Inventarisiert hat die über 1300 Musterblätter Christine Kolitzus-Hanhart. Die Textildesignerin hat nach ihrer Pensionierung als Archivarin am Völkerkundemuseum in Zürich begonnen, die Blätter zu sortieren. Aus ihrer Forschung entstand 2017 gemeinsam mit Fritz Franz Vogel das Buch „Rotfarb und Zeugdruck in Diessenhofen“ - derzeit im Museumsshop zu erwerben.
„Stoffe aus der Zeit der Rotfärberei gibt es viele“, sagt die 80-jährige, „aber Entwürfe gibt es kaum. Es ist ein Glückfall, dass unsere erhalten geblieben sind.“ Kolitzus hat sogar recherchiert, wer wahrscheinlich Urheber der Zeichnungen gewesen ist. „Im Schaffhauser Stadtarchiv fand ich einen Verweis auf den Dessinateur Friedrich Herrmann.“
100 Zeichnungen für Krieg, Jagd und feine Bordüren
Als Künstler galt der Musterentwerfer zu seiner Zeit nicht. Seine Urheberschaft hat um 1835 niemanden interessiert. Herrmann betrieb die Rotfärberei bis 1855, seine Nachkommen arbeiteten bis 1884.
„Christine ist meine Perle, mein historisches Wissen und meine Ko-Kuratorin“, lobt Lucia Angela Cavegn. „Sie wusste genau, welche Motive in welcher Schublade lagen. Wir haben sie auf dem Boden ausgelegt und gemeinsam entschlossen, was gerahmt und ausgestellt werden sollte.“
Und so bewundern die Besucher heute in der Jubiläumsausstellung „Auf Tuchfühlung mit dem Kulturerbe – 60 Jahre Museum Diessenhofen“ rund 100 Zeichnungen für feine Bordüren, Jagdszenen oder kriegerische Motive.
Einst zierten sie als blosse Deko Schnupf- oder Kopftücher oder dienten für Möbelbezugsstoffe, nun sind sie als Bilder an der Wand auf ihren künstlerischen Wert zurückgeworfen.
Fotos der Eröffnung 1961
Von den hölzernen Modeln, mit denen die Entwürfe vom Papier auf den Stoff gebracht wurden, sind nur wenige erhalten. Carl Roesch, der Diessenhofer Künstler, dem die Gründung des Museums mit zu verdanken ist, hat einige davon verwahrt. Er hatte 1902 bis 1906 hier im „Oberen Amtshaus“ sein erstes Atelier.
Ende der fünfziger Jahre, als er schon bekannt war, räumte die Stadt ihm die mittlere Etage des Hauses für eine Dauerausstellung ein. Im Untergeschoss wurde am 8. Dezember 1961 zeitgleich das Stoffdruckereimuseum eröffnet.
Wie das damals aussah, lässt sich heute noch nachvollziehen, und zwar dank der Fotos zweier Pressefotografen: „Die Fotos der Brüder Bührer, die für die Schaffhauser Nachrichten die Eröffnung dokumentiert haben, geben uns einen wundervollen Einblick in die erste Ausstellung“, so die heutige Leiterin Cavegn.
Demozug statt Catwalk
Das Museum in Diessenhofen heisst nicht umsonst „Kunst + Wissen“. Der historischen Abteilung hat Lucia Angela Cavegn zwei künstlerische Interventionen gegenübergestellt. Einen Raum füllt die Diessenhofer Textildesignerin Andrea Buck mit der Installation „Anziehend! Lauter rotes Zeug“.
Sie spielt mit den Stoffmustern, hat die Originale nachgedruckt und daraus für eine Parade von diversen und genderfluiden Barbiepuppen moderne Mode geschneidert. „Ich wollte sie über einen Catwalk spazieren lassen, aber durch den Krieg in der Ukraine habe ich einen Demonstrationszug daraus gemacht.“
An einer Wäscheleine hängen Mode-Fotos aus den 1920ger Jahren, kombiniert mit den traditionellen Mustern. Mit einer gratis herunter zu ladenden App kann man die Demo-Transparente und die Plakate zum Leben erwecken. Augmented Reality macht‘s möglich.
Modedesigner Donegel‘ Chong stellt im Untergeschoss aus
Das Untergeschoss ist den Arbeiten des Aadorfers Donegel‘ Chong gewidmet. Unter dem Titel “Red. Love. Paisley” zeigt der Modedesigner und Künstler, zu was ihn die Geschichte der Rotfärberei inspiriert hat.
Er sei schon länger mit Lucia in Kontakt, erzählt er. „Anfang 2021 haben wir uns hier mit Christine getroffen. Ich hatte als Beispiel bereits mein Gemälde ‚Feeding - Red‘ dabei, und es passte ideal zur Idee einer Ausstellung zur Farbe Rot.“ So hat Donegel‘ Chong innerhalb eines Jahres zusätzlich zu drei bestehenden Bildern 13 Werke zum Thema geschaffen.
In seinen Gemälden lassen sich immer wieder sogenannten „Kurrrlys“ finden. Er imitiert mit seinen feinen Kreisel-Linien das Mörsern der Krappwurzel, die den Grundstoff für die Rotfärberei lieferte. Sie finden sich auch auf der „Diva in Paisley“, für das Donegel die befreundete Künstlerin Vanessa Freuler im ausgestellten Rock portraitierte.
Ein sinnliches Erlebnis
Im Titelbild „RedLovePaisley“ gebiert eine Krapppflanze aus ihrer herzförmigen Wurzel Paisleys. Daneben hängt „Krappwurzel. In Rot baden“, ein Selbstbildnis, auf dem der Künstler selbst in die Farbe eintaucht. Passend dazu gibt es die erste Installation von Chong mit dem Titel „Durch den Hänkiturm in den Roten Raum“.
Der Hänkiturm neben dem Museum diente der Färberei zum Trocken der bedruckten Stoffbahnen. Sie wurde dort aufgehängt. Das bildet Donegel‘ Chong nach. Er besorgte sich Krappwurzelpulver, mischte es mit Wasser an und färbte damit in sechs Gängen à zwölf Stunden grosse Baumwolltücher.
Von Lachsrosa bis rotbraun reicht nun das Ergebnis auf den fünf Vorhängen, durch die man nun einen roten Raum erreicht. Hier kann jeder im warmen Licht aus drei gläsernen Turmleuchten baden. Das Zelt aus reflektierenden Satinstoffen bietet ein sinnliches Erlebnis.
Das Museum, die Ausstellung und das Rahmenprogramm
Das Museum Kunst + Wissen in Diessenhofen, Museumsgasse 11, ist freitags bis sonntags jeweils von 14 bis 17 Uhr geöffnet (zusätzlich Oster- und Pfingstmontag)
Die Ausstellung „Auf Tuchfühlung mit dem Kulturerbe. 60 Jahre Museum Diessenhofen“ dauert noch bis zum 18. September.
Sonntag, 24. April, 11 Uhr: Werkstattgespräch mit Donegel’ Chong
Sonntag, 15. Mai, 10 bis 17 Uhr: Internationaler Museumstag
11 Uhr: Vortrag vom Historiker Dr. Stefan Keller über sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte der ehemaligen Rotfärberei in Diessenhofen.
17. bis 20. Juni: „Bei allen Sinnen!“ - Kulturwochenende in Diessenhofen
Samstag, 17. September, 17 bis 24 Uhr: Museumsnacht Hegau Schaffhausen
Von Inka Grabowsky
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