von Inka Grabowsky, 08.05.2023
Jubiläumskonzert mit dem «Tramp»
Zum Jubiläum des Streichorchesters Divertimento überschreiten die Musiker:innen nicht nur wie üblich die Landesgrenze, sondern auch die imaginäre Grenze zur Unterhaltungsmusik. (Lesezeit: ca. 2 Minuten)
Seit 25 Jahren spielen Profi- und Amateurmusiker aus dem Raum Konstanz/Kreuzlingen gemeinsam im Streichorchester Divertimento. Zum Jubiläum begleiten sie Charlie Chaplins «Tramp» mit Live-Musik und präsentieren Swing und Jazz-Klassiker aus den dreissiger Jahren.
«Die Stücke für das Konzert bieten uns eine neue Erfahrung», sagt der Dirigent Oleksandr Chugai mit einem Lächeln. «Wir sind klassisch geprägt und mussten neue Begriffe lernen. ‹Chops›, bei denen man für rhythmische Geräusche den Bogen auf die Saiten drückt, gibt es in Barock oder Romantik nicht.
Aber Dazulernen ist unser Ziel. Wir wollen auch in diesem Sinn ein grenzüberschreitendes Orchester sein.» Die Präsidentin des Orchestervereins Eva Hofacker beschreibt die besonderen Herausforderungen: «Swing-Rhythmus ist nicht ohne. Und er steht nicht einfach in den Noten. Alle 25 Mitglieder müssen ihn im Gefühl haben – hier ist der Dirigent gefordert. Aber es beschwingt uns und macht Spass.»
Komplikationen bei der Filmidee
«Ursprünglich wollten wir ‹ModernTimes› von Charlie Chaplin zeigen und live begleiten», sagt Eva Hofacker. «Aber die Familie Chaplin erlaubt die Aufführung des Films nur mit der Originalmusik – und unsere Version wäre für uns umgeschrieben gewesen.»
«Die Familie Chaplin erlaubt die Aufführung des Films nur mit der Originalmusik – und unsere Version wäre für uns umgeschrieben gewesen.»
Eva HofackerDenn auch wenn das Orchester Divertimento sich extra für dieses Konzert mit dem Schlagzeuger Klaus Huber und der Pianistin Margareth Schicker-Looser verstärkt hat, bleibt es trotzdem ein Streichorchester. Die Musiker wichen auf den 1915 in den USA gedrehten Stummfilm «Der Tramp» aus.
Bei ihm sind die Rechte erloschen. «Zum ‹Tramp› gibt jedoch es keine passenden Noten», erklärt Chugai. «Der Pianist im Kino hat damals wohl oft improvisiert.» Die Musiker am Bodensee greifen Motive aus «Modern Times» auf und adaptierten sie. Die Bearbeitung beschränkt sich auf ein Stück von zwanzig Minuten – und das ist etwas kürzer als der «Tramp» lang ist. Die einfache Lösung: «Wir lassen ihn ein kleines bisschen schneller ablaufen. Ich habe es ausprobiert», so Chugai. «Man merkt es gar nicht.»
Bei allen technischen Aspekten des Filmabends unterstützt das Zebra-Kino das Orchester. «Sie haben uns den Film besorgt, sogar einen Abspann und Übersetzungen als Untertitel angefertigt und führen den Film am 13. und 14. Mai auch vor», sagt Eva Hofacker.
Viel passiert im Vierteljahrhundert
Am 18. und 19. November wird weitergefeiert, dann mit einer Lesung mit Musik und einer Festschrift. Udo Miletzki, seit zehn Jahren Bratschist im Orchester Divertimento, hat sich schon an die Arbeit gemacht. «Unter anderem stellen wir alle Mitglieder vor und lassen sie erklären, wie sie zu ihrem Instrument gekommen sind.»
Die Entstehungsgeschichte erzählt Renata Egli-Gerber, Gründungsmitglied und Ehrenpräsidentin des Vereins. «Ich spiele seit meiner Kindheit Geige und war immer Mitglied in Orchestern. Aber als ich aus Bern herzog, gab es kein Ensemble, dem ich mich anschliessen konnte. Also habe ich 1998 gemeinsam mit meiner Nachbarin Ada Pozar selbst eines gegründet. Sie war es auch, die dem Orchester den Namen gegeben hat.»
Dass die Gruppe einmal 25 Jahre bestehen würde, konnte sie sich damals kaum vorstellen. «Es war anfangs immer eine Frage des Überlebens. Wir brauchten Geld, um Probenräume anzumieten oder unsere Profis zu entschädigen. Die Instanzen, die Fördermittel freigeben, mussten wir erst einmal überzeugen.
Als wir später bekannter waren, ist es leichter geworden.» Etwas geholfen habe der grenzüberschreitende Aspekt und das Argument, dass man jungen Amateurmusikern nach ihrer Ausbildung Spielpraxis ermöglichte. «Wir haben viel Wohlwollen erfahren», so Egli. Anfänglich habe sich das Publikum noch aus Freunden und Familie zusammengesetzt, erinnert sich die Violinistin. «Jetzt gibt es einen festen Kreis von Interessenten. Aber riesige Säle füllen wir immer noch nicht.»
Zum Jubiläumskonzert am 13. Mai (Beginn 19 Uhr) erhoffen die Musiker sich eine vollbesetzte Aula an der PMS Kreuzlingen. Am 14. Mai (ab 17 Uhr) wollen sie das Kirchenschiff der Pauluskirche in Konstanz füllen. Der Eintritt zu den Konzerten ist frei. Um Spenden wird gebeten.
Das Programm
George Gershwin I Got Rhythm
Joe Garland In The Mood
Jerome Kern Smoke Gets In Your Eyes
Hughie Prince Boogie Bugle Boy
Irving Berlin Puttin' On The Ritz
Harold Arlen Over The Rainbow
Benny Goodmann Sing, Sing, Sing
Von Inka Grabowsky
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