von Zora Debrunner, 02.10.2018
Charakterstudie eines Gewalttäters
Der Film „Der Läufer“ wurde zu einem beträchtlichen Teil in Frauenfeld und am „Frauenfelder“ 2016 gedreht. Am 4. Oktober startet er in den Schweizer Kinos. Wir haben ihn vorab gesehen.
Der junge Sportler und Koch Jonas (Max Hubacher) ist die Hauptfigur, wir erleben die Geschichte ausschliesslich aus seiner Warte. Der Film öffnet entsprechend mit einer intimen Rückblende – Jonas und sein Bruder in der freien Natur. Die beiden jungen Männer scheinen ein sehr enges Verhältnis zu haben. Jonas wirkt glücklich, das erste und praktisch letzte Mal in Hannes Baumgartners Spielfilmdebüt „Der Läufer“.
Brutale Überfälle
Denn kurze Zeit später erfahren die Zuschauer, dass der Bruder Selbstmord beging. Dieser Verlust hat den jungen Sportler schwer getroffen. Jonas wirkt verschlossen, offenbar traumatisiert. Das Laufen scheint ihm bei der Verarbeitung des Suizids zu helfen, er spricht aber nur wenig darüber. Auch nicht zu seiner Partnerin Simone (Anna Euling). Die Beziehung wirkt nach aussen zärtlich und vertraut, doch Jonas kapselt sich innerlich ab. So hat er zwar Kontakt mit seiner Pflegemutter (Sylvie Rohrer), doch auch dieses Miteinander wirkt auf den Zuschauer steril. Der Widerspruch zwischen dem Oberflächlichen und Jonas’ Innenleben, zwischen dieser Sterilität und dem öffentlichen Anschein, kann nicht gut gehen. Und so soll es im Verlauf des Films dann auch kommen; nach dem ersten Drittel überfällt er mitten in der Nacht eine junge Frau.
Jonas will unbedingt am „Langenfelder“ Waffenlauf starten, der anonymisierten Version des „Frauenfelders“, an dem gedreht wurde. Immer wieder werden wir mit Flashbacks und Traumsequenzen konfrontiert, die einen tieferen Einblick in Jonas’ Innenleben geben. Die Geschichte spitzt sich zu, die Überfälle häufen sich. Für die Zuschauer wird es immer schwieriger, Mitgefühl für Jonas zu empfinden. Der Widerspruch zwischen dem erfolgreichen und ehrgeizigen Sportler und dem gefühlskalten Gewalttäter könnte nicht grösser sein. Die Gewaltszenen scheinen fast verschwommen, dafür ist der Ton umso heftiger. Man braucht gar nicht mehr hinzusehen, empfindet die Brutalität des Täters sehr direkt. Wie es den Opfern in dieser Situation ergeht, erfährt man nicht – so wenig, wie es Jonas tut.
Starke Bilder, starkes Drehbuch, starker Hauptdarsteller
Max Hubacher spielt den titelgebenden „Läufer“ mit Sensibilität und Entschlossenheit, ganz gleich ob er in der Restaurantküche steht, trainiert oder aber auf eines seiner Opfer einschlägt. Die Story ist ohne Tricks und doppeltem Boden aufgebaut, man ahnt von Anfang an, wie diese Geschichte enden wird. Die hoffnungsvollen Momente zwischen Simone und Jonas hauen deshalb umso mehr rein. Die Szenen sind zügig gefilmt, fast schon atemlos sitzt der Zuschauer da und rennt und leidet mit. „Der Läufer“ ist ein Film wie aus einem Guss, ohne Längen, abwechslungsreich und spannend. Der Besuch im Kino lohnt sich – wenn man denn bereit ist, sich darauf einzulassen und Interesse an der Charakterstudie eines Gewalttäters zeigt.
Dem jungen Filmemacher Hannes Baumgartner ist es gelungen, Empathie für eine erschreckend sensible Figur zu wecken und gleichzeitig Unverständnis für deren grausame Taten zu zeigen. Er hat mit Jonas einen Charakter erschaffen, die in ihren Taten dem Gewalttäter Mischa E.nachempfunden, in ihrem Innenleben aber frei erfunden ist. Der Regisseur gibt mit seinem Film keine Antworten auf etwaige Fragen, aber eröffnet eine Diskussion über das Innenleben eines Menschen, der andere verletzt und getötet hat. „Der Läufer“ ist ein sehenswerter Film, über den wir diesen Herbst wohl noch oft sprechen werden.
Termine: Sondervorstellungen in Anwesenheit von Cast & Crew am Samstag, 6. Oktober, im Liberty Cinema Weinfelden und Cinema Luna Frauenfeld.
Der Trailer zum Film
DER LÄUFER – Trailer from CONTRAST FILM on Vimeo.
Weitere Bilder aus dem Film:
Von Zora Debrunner
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