von Inka Grabowsky, 03.03.2023
Der böse Boulevard
Der Weinfelder Schauspieler Thomas Götz führt im Theaterhaus Thurgau das Ein-Mann-Stück «Seite Eins» von Johannes Kram auf – eine bissige Mediensatire, in der auch die Leser von Boulevard-Medien ihr Fett wegbekommen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
«Wir nehmen den Leser ernst. Denken Sie, was Sie wollen. Aber unsere Wahrheit ist nicht die einer ideologisierten Medienklasse oder einer opportunistischen Politikerklasse, nicht die der gierigen Manager oder dogmatischen Wissenschaftler. Nein, die Wahrheit der Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.»
Auf der Bühne im Theaterhaus Thurgau in Weinfelden steht der Schauspieler Thomas Götz und verkörpert einen Boulevard-Journalisten, der dem Publikum erklärt, wie das Geschäft funktioniert. Nett ist er dabei nicht.
Und Regisseur Jean Grädel ermahnt ihn, noch ein bisschen böser zu werden: «Das ist ein Schwurbler-Abschnitt gegen den seriösen Journalismus. Du verführst jetzt die Zuschauer – oder versuchst es wenigstens.»
Nett nur an der Oberfläche
Der Boulevard-Journalist «Marco» ist tatsächlich kein Sympathieträger. Aber vielleicht würde man ihm, weil er mit dem berüchtigten «gesunden Menschenverstand» argumentiert, doch einen Gebrauchtwagen abkaufen – jedenfalls anfangs, solange man noch nicht miterlebt hat, wie er Menschen manipuliert, um eine Story für die Titelseite der Zeitung zu bekommen.
«Er steht gern im Mittelpunkt, giert nach dem Erfolg», erklärt Thomas Götz die Motivation seiner Figur. Opfer des Geltungsdrangs ist die junge Sängerin Lea, die sich beim Journalisten meldet, um PR für ihre Arbeit zu bekommen. Er verspricht, sie gross rauszubringen. Seine Zusage hält er – allerdings nicht so, wie sich das die Künstlerin erhofft hatte.
Durch Übertreibung zur Erkenntnis
«Ich habe einige Boulevard-Journalisten kennengelernt», meint Regisseur Jean Grädel. «Und es gibt wirklich solche Typen.» Gleichzeitig räumt er ein, dass jedes Klischee für die Bühne überzeichnet ist.
Die Missetaten laufen sehr konzentriert ab, um den Theaterabend nicht zu sprengen. Die Übertreibung soll Spass machen und zum Nachdenken anregen, denn fiese Journalisten existieren ja nur, weil es Interesse an ihren Skandal-Geschichten gibt.
Das Stück «Seite Eins» soll nicht nur eine Kritik des Boulevard-Journalismus sein, sondern auch an der Gesellschaft, die Informationen nur noch als «Häppli» konsumiert. «Die sozialen Medien und die Gratis-Blättli sind da, sie werden gelesen. Und deshalb muss man damit umgehen», sagt Thomas Götz, der sich selbst auch als Rad in dem Getriebe wahrnimmt: «Wir Künstler sind auf die Medien angewiesen, und umgekehrt brauchen auch die Medien etwas über das sie berichten können».
Selbst einen Skandal inszenieren, um Aufmerksamkeit zu generieren, will der Schauspieler aber nicht. «Ich werden keine Oben-Ohne-Fotos von mir machen lassen», lacht er.
Ganz allein auf grosser Bühne
Bis am 10. März die Premiere des Stücks «Seite Eins» im Theaterhaus in Weinfelden laufen kann, muss Götz noch etwas an der Textsicherheit feilen.
Während der gesamten Dauer von rund 70 Minuten steht der Schauspieler allein auf der Bühne. «Anders als bei den Silvester-Produktionen mit der Bühni Wyfelde kann ich mich hier an niemanden halten. Es gibt kaum Handlung, die den Verlauf bestimmt, oder Stichworte von Mitspielern, auf die ich reagieren muss.» Immerhin: Die «vierte Wand» ist offen: Der Schauspieler wendet sich direkt ans Publikum und bezieht es ein: «Finden Sie mich schlimm?», lautet sein erster Satz - und er macht gerade genug Pause, damit die Menschen wirklich reagieren könnten, wenn sie wollten.
Hohe Schauspielkunst gefordert
«Eine Leistung», sagt Regisseur Jean Grädel. «Ich vertraue auf Thomas’ Bühnenpräsenz.» Fast wie ein Stand-up-Comedian müsse er arbeiten, nur dass er nicht von einem Thema zum anderen springe, und die Leute nicht zum Lachen bringen wolle.
Lebendig wird die Aufführung diesmal nicht durch Interaktion mit anderen Darstellern, sondern durch Betonung, Gesten, Mimik oder Tempowechsel – und es ist Grädels Aufgabe, diese Feinheiten auf die Bühne zu bringen.
«Hier bist du zu niedrig in der Sprachenergie», sagt er deshalb während der Probe. «Wir hoffen doch auf hundert Zuschauer, also gibt mehr Druck. Deine Ansprache darf nicht zu privat wirken.»
Pragmatisch zur Stoffauswahl
Götz hat «Seite Eins» bewusst ausgesucht. «Das Thema Medien ist immer aktuell, und ausserdem ist das Stück ohne grossen Aufwand überall aufführbar.» Das Bühnenbild besteht aus einem Tisch und einem Stuhl. Zusätzlich braucht es nur ein Mobiltelefon und Ohrstöpsel, um Gespräche simulieren zu können.
Trotzdem ist der Schauspieler dankbar für die Finanzierungshilfen von privaten Sponsoren, der Kulturstiftung des Kantons Thurgau, der TKB Jubiläumsstiftung und der Dr. Heinrich Mezger-Stiftung, ohne die er nicht hätte arbeiten können.
Heute Weinfelden, morgen die ganze Schweiz
Einer der Hintergedanken des Weinfelder Schauspielers ist es, allein schweizweit auf Tournee gehen zu können, doch dazu müssen zunächst einmal die vier Aufführungen in Weinfelden vor Heimpublikum erfolgreich über die Bühne gehen.
Um auf sich aufmerksam zu machen, hat das Team Grädel/Götz ein paar Veranstalter aus der Deutschschweiz eingeladen. Ob das Stück aber in das jeweilige Programm der potenziellen Gastspielbühnen passt, kann niemand vorhersehen.
Die Termine im Überblick
Termine im Theaterhaus Thurgau in Weinfelden, jeweils 20.15 Uhr:
Premiere Freitag, 10. März
11. März
21. April
22. April
Tickets 38 Franken, Reservationen sind hier möglich.
Von Inka Grabowsky
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