von Samantha Zaugg, 16.01.2020
Film noir mit Katze
Ein Film aus Frauenfeld feiert internationale Erfolge. «Cat Noir» wird an Filmfestivals auf der ganzen Welt gespielt. Filmemacher O’Neil Bürgi hat keinen Aufwand gescheut, illustrierte den Film von Hand und liess die Musik eigens komponieren. Der Film lässt sich vielschichtig interpretieren, es gibt sogar Raum für eine feministische Lesart.
Freundin weg, Wohnung leer, Nacht, Regen. Der Verlassene sitzt am Tisch, zerknüllt den Abschiedsbrief. Nächste Einstellung, Pistole am Kopf. Doch er bringt es nicht fertig. Schnitt zur Frau mit ihrem neuen Lover. Sie küssen sich. In Gedanken ist sie nicht dabei, plötzlich rennt sie davon. Zurück zu ihm. Derweil in der Wohnung, versucht er sich auf verschiedene Arten das Leben zu nehmen. Erfolglos. Einzige Zeugin: Die schwarze Katze. Die Frau rennt barfuss durch den Regen, das Make-up verschmiert. Der Mann versucht derweil weiter, sein Leben zu beenden. Ein Schweizer Sturmgewehr und die Katze sollen es richten. Unterdessen steht sie vor der Wohnung, will schon klingeln. In dem Moment löst sich drinnen ein Schuss, sie wird durch die Tür hindurch getroffen.
Das ist der Plot von Cat Noir, dem Animationsfilm von O’Neil Bürgi. Die Story steil, die Musik dramatisch, die Bilder entschlossen komponiert, die Charaktere spitz gezeichnet. Vielleicht von allem etwas viel, aber genau deshalb funktioniert der Film so gut.
Video: Trailer zu «Cat Noir»:
CAT NOIR - Official Trailer (2018) from O'Neil Bürgi on Vimeo.
Bild für Bild von Hand gezeichnet
Mindestens so interessant wie der Film, ist das Making-Of (siehe Bilderstrecke am Ende des Textes). Zuerst wollte Bürgi einen Realfilm drehen. Während seines Filmstudiums präsentierte er das Drehbuch als animiertes Storyboard. Das kam bei Mitstudenten und Dozent gut an. So gut, dass sie ihm nahelegten einen Animationsfilm zu realisieren. Schliesslich freundet sich Bürgi mit der Idee an und beginnt, als kompletter Autodidakt, seinen ersten Animationsfilm zu realisieren.
Doch Menschen realistisch und glaubwürdig zu animieren ist schwer. Bürgi entschied deshalb, die Technik der Rotoskopie zu nutzen. Die Rotoskopie ist eine sehr alte Animationstechnik, sie wurde beispielsweise in den ersten Disneyfilmen der 30er Jahre genutzt. Filmszenen werden mit Schauspielerinnen und Schauspielern gedreht und dann Einzelbild für Einzelbild nachgezeichnet. Insgesamt hat Bürgi für den sechsminütigen Film rund 3600 Illustrationen von Hand gezeichnet. «Die Schauspieler mussten ihre Emotionen und Bewegungen sehr übertrieben spielen, damit sie am Schluss durch die Abstrahierung der Illustration die richtige Wirkung erzielten».
«Ich arbeite nur mit massgeschneiderten Originalkompositionen, das hat auch mit Qualität zu tun.»
O’Neil Bürgi, Regisseur
Nicht minder aufwändig war das Sounddesign, und das obwohl, oder gerade deshalb, weil es keinen Dialog gibt. «Ich habe versucht, das was sonst Dialog leistet mit Geräuschen und vor allem Musik zu machen. Musik kann so viel Information und Emotion transportieren», sagt O’Neil Bürgi. Die Musik wurde eigens für den Film komponiert. «Das mache ich bei all meinen Filme so, ausnahmslos. Ich arbeite nur mit massgeschneiderten Originalkompositionen, das hat auch mit Qualität zu tun.» Auch die Bewegungs- und Handlungsgeräusche sind massgeschneidert. Sämtliche Töne wurden in Deutschland von einer professionellen Geräuschmacherin nachvertont.
Die Katze reist um die Welt
Der Erfolg gibt ihm recht, wurde der Film doch an Festivals rund um den Globus gespielt. Die schwarze Katze aus Frauenfeld reiste unter anderem nach Kanada, Südkorea, Indien, Polen, in die USA oder nach Russland und wurde an den Festivals mehrfach ausgezeichnet. Wenn man den Plot anschaut, dann ist es auf den ersten Blick erstaunlich, dass der Film ein so grosses Publikum begeistern kann. Das Thema ist denkbar heikel: es geht auch um Suizid. In Kunst und Medien wird immer wieder verhandelt, wie man damit verantwortungsvoll umgeht.
Das habe auch ihn beschäftigt, sagt O’Neil Bürgi: «Es haben mich auch Leute darauf angesprochen. Aber der Film verherrlicht das nicht. Es ist klar, dass der Stoff der Fantasie entstammt und dass es in erster Linie ein Unterhaltungsstück ist. Auf dem Papier sah es für Aussenstehende zuerst schon bedenklich aus. Aber ich bin drangeblieben, bin das Risiko eingegangen und habe darauf vertraut, dass es funktioniert. Und das Publikum hat es schliesslich auch verstanden, wohl auch dadurch, dass die Geschichte sehr überhöht, und übertrieben erzählt wird.»
Suizid ist männlich
Übertrieben ist vielleicht die Darstellung. Blickt man aber auf den Kern der Handlung, so erkennt man ein realistisches Szenario. In der Schweiz nehmen sich jährlich rund 1000 Personen das Leben. 80 Prozent davon sind Männer. Suizid ist also männlich. Ein Erklärungsansatz ist die sogenannte «toxische Männlichkeit», an sich ein klassisch feministisches Thema. Damit ist gemeint, dass wir als Gesellschaft geschlechterspezifische Rollenbilder naturalisiert haben, worunter beide Geschlechter leiden. Beispielsweise sollen Männer stark sein und keine Emotionen zeigen. Die Partnerin ist oft die einzige emotionale Bezugsperson. Bei einer Trennung fällt sie weg, ein hoher emotionaler Druck kann auf den Männern lasten.
Im Film ist schlussendlich nicht der Mann das Opfer, sondern die Frau wird von der Kugel getroffen. Auch hier kann eine Analogie zum realen Leben gezogen werden, ist männliche Gewalt doch weltweit die häufigste Todesursache für Frauen. Doch war es wirklich die Intention des Filmemachers, dass der Film auf eine feministische Art gelesen wird?
Nicht direkt, sagt O’Neil Bürgi: «Ich finde es sehr interessant, wenn der Film so interpretiert wird. Es war mir wichtig, dass der Film eine gewissen Mehrdeutigkeit hat.» Der Film behandle viele aktuelle Themen, etwa das Verlassenwerden, wie wir uns selbst wahrnehmen, Entscheidungen und ihre Konsequenzen. Laut Bürgi ist der Film eine Karikatur über Entscheidungen, die wir im Leben treffen. Damit schlägt er mit der Handlung einen Bogen zum Look. Da gibt es den Antihelden, das Motiv der Eifersucht und der Verzweiflung, die pessimistische Stimmung, die kontrastreiche, teilweise bizarre Bildgestaltung, der Einsatz von Licht und Schatten. Eine Hommage, an den Film noir, dieses Genre, das sich auszeichnet durch eine entfremdete und uneindeutige Realität, die dem Zuschauer Freiheit für eigene Interpretationen lassen.
Bilderstrecke: Das aufwändige Making-of der Animationen
Zur Person
O’Neil Bürgi schlug nach einer handwerklichen Berufsausbildung den Weg in die Film-und Medienbranche ein. Er war Videojournalist und ist seit 2001 als freier Regisseur tätig. Seine Regiearbeiten belaufen sich auf diverse Auftragsproduktionen und Eigenproduktionen im Bereich Dokumentarfilm, Fiktion, Animation und Musikvideos. Von 2015 bis 2018 absolvierte er an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich das Studium zum eidg. dipl. Gestalter HF Kommunikationsdesign mit Vertiefungsrichtung Film. Bürgi lebt und arbeitet in Frauenfeld. Im Internet: www.oneilbuergi.com
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