von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 14.11.2017
Freud und Leid
Kunst im öffentlichen Raum: Die Arbeit „Die Couch“ von Markus Brenner will der Psychotherapie ein spielerisches Denkmal setzen in Kreuzlingen. Am Freitag wird das Kunstwerk der Öffentlichkeit vorgestellt
Schwer zu sagen, ob der Zeitgeist gerade für oder gegen Markus Brenner spielt. In einer Zeit in der alle Welt über Besetzungscouchen in Film, Politik und Wirtschaft diskutiert, platziert der aus Konstanz stammende Künstler eine Arbeit mit dem Titel „Die Couch“, die so gar nichts mit all den Geschehnissen um die aktuelle Sexismus-Debatte zu tun haben will. Die Aufmerksamkeit nimmt Brenner trotzdem gerne mit, Kunst ohne Aufmerksamkeit wäre ja auch verloren.
Die Couch also. Es ist der Gewinnerbeitrag zum mit 20 000 Franken dotierten Wettbewerb „Die Entdeckung des Stadtraumes“, den die Stadt Kreuzlingen seit 2008 alle drei Jahre auslobt. Was steckt hinter Brenners Idee? „Die Couch ist die Ikone schlechthin für Therapien jeglicher Art, insbesondere für die Psychoanalyse“, sagt Markus Brenner. Daran will er mit seiner Arbeit anknüpfen. Er konzentrierte sich dabei auf die Geschichte des Sanatoriums Bellevue als ehemalige psychiatrische Heilanstalt und insbesondere auf die 45-jährige leitende Tätigkeit Ludwig Binswangers. Damit erfüllt der Künstler eine der wesentlichen Bedingungen des Wettbewerbs - die Auseinandersetzung mit dem Ort.
Verzerrte Bilder, verzerrte Träume
Binswanger pflegte eine enge Freundschaft zu Sigmund Freud. Der berühmte Psychiater selbst war 1912 zu Besuch im Bellevue. Es gibt also mehrere Verbindungen zwischen Ort und Thema. Geschaffen hat Markus Brenner nun ein mehrschichtiges Werk. „Tagsüber ist es eine Skulptur, nachts eine Projektion“, erläutert der Künstler. Der Wandel vom zwei Meter langen, 93 Zentimer breiten und strahlend weissen Beton-Sofa zur bunten Licht-Installation vollzieht sich in der Dämmerung. Über einen Projektor wird das Bild eines Original-Teppiches von Freud auf die Couch gelegt. Durch die Projektion ergeben sich perspektivische Verzerrungen, die Brenner auch als Kunstmittel deutet: „Das passt ganz gut zur verzerrten Wahrnehmung in Träumen und Fantasien.“
Tagsüber Skulptur, nachts Projektion: Markus Brenners Arbeit "Die Couch" zeigt sich wandlungsfähig. Projektskizze von Markus Brenner
Es war ihm wichtig, dass er eine Abbildung eines Teppiches zeigen kann, der wirklich auf einem Freud-Sofa gelegen hat. „Es existieren Abhandlungen und Spekulationen darüber, wie Freud seine Orientteppiche als Stilmittel eingesetzt hat, um eine unterstützende therapeutische Atmosphäre wie bei 1001 Nacht zu schaffen“, erläutert Brenner. Um das exakt zu vermitteln hat er sich die Rechte an einem solchen Teppichbild vom Londoner Freud-Museum gesichert. Der Künstler hofft auch auf Interaktion der Betrachter mit dem Werk: „Wer sich im Dunkeln auf die Couch legt, wird Teil der Projektion und verschmilzt mit ihr“, sagt Markus Brenner. Für ihn war das auch ein Weg, die verschiedenen Ebenen Traum, Fantasie, Realität miteinander zu verbinden
Natürlich geht es auch um Sex. Ist ja schliesslich Freud
Auf die grosse Sexismus-Debatte dieser Tage will „Die Couch“ nicht anspielen, aber Sex spielt schon auch eine Rolle bei dieser Arbeit. Wo ginge es das nicht, wenn Sigmund Freud im Spiel ist? Deshalb war es auch einigermassen vorhersehbar, als die Thurgauer Zeitung im Mai über das Projekt halb lüstern, halb sensations-click-geil titelte „Ein Platz für sexuelle Fantasien“. Der Künstler selbst hatte die Journalisten ja auf diese erotischen Pfade geschickt. In seiner Projektbeschreibung hatte er ein paar Sätze über Freud und seine Liegesofas verloren. Einer ging so: „Bekenntnisse, Tagträume, Erzählungen und sexuelle Phantasien sollten in diesem Ambiente angeregt werden.“ Brenner bezog sich dabei auf Freuds Arbeitssituation. Die TZ nutzte den Spielraum, den der Künstler ihr liess und goss die eigenen Tagträume in oben genannten Titel. Kann man machen, ist aber auch ganz schön schulbubenhaft.
Markus Brenner nahm es mit Humor und hat sich dann aber doch ein bisschen gewundert über die Konsequenzen. Der ursprünglich geplante Ort für das Kunstwerk musste nach Anwohner-Protesten aufgegeben werden. Mancheiner fürchtete offenbar regelmässige Orgien auf dem Beton-Sofa. Schön, wenn Kunst Menschen immer noch so erregen kann.
Termin: Am Freitag, 17. November, 18.30 Uhr, wird das Kunstwerk offiziell eröffnet. Treffpunkt ist auf dem Kreuzlinger Bellevue-Areal direkt am Kunstwerk auf einem Grünstreifen am Seitenweg der Hauptstrasse 14
Weiterlesen: Den ausführlichen Jurybericht zum diesjährigen Wettbewerb kann man hier nachlesen
Blick von oben. So sieht Markus Brenners Couch aus der Luft aus. Bild: Michael Lünstroth
Der Wettbewerb
Den Wettbewerb „Entdeckung des Stadtraumes“ gibt es seit seit 2008 in Kreuzlingen. Seither wird er alle drei Jahre ausgeschrieben. Dotiert ist er mit 20 000 Franken. 2016 gab es insgesamt 28 Einreichungen. Ziel des Wettbewerbes ist es, den Dialog zwischen Öffentlichkeit und Kunst zu ermöglichen. Die erste Runde des Wettbewerbs im Jahr 2008 befasste sich mit der Situation an der Weinstrasse. Die Jury entschied sich für die Arbeit von Gabriela Gründler und Salome Kuratli, aus Zürich mit ihrem Projekt „Kommst du mit an den See“. Im 2011 vergab die Kunstkommission den Preis an die Weinfelder Künstlerin Doris Naef. Mit ihrem Projekt „Astrokartographie" gestaltete sie den Gemeindeplatz im Quartier Egelshofen. 2014 entwickelten die Künstlerinnen Elisabeth Wegmann und Melanie Mock das Projekt "Grenzübertritt" an der Wiesenstrasse, welches jedoch wegen Vandalismus nur kurzzeitig real präsent war. Die Projektidee ist nun auf einer Präsentationstafel am Projektstandort aufgezeigt.
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