23.01.2018
Gegenwind aus dem KAFF
In Frauenfeld bietet das KAFF seit bald 14 Jahren Raum für Kultur, Bildung und Austausch. Dies ermöglichen zahlreiche junge Menschen mit ihrem Engagement – den wirtschaftlichen Zwängen zum Trotz. Drei Portraits von drei engagierten Menschen.
Von Dario D'Agostino
Die heutige Jugend ist der Kritik ausgesetzt: Sie sei taub für Veränderung aufgrund der Überbetonung materiellen Besitzes. Zudem in ihrem Neo-Yuppietum des Engagements und der Solidarität unfähig. Das KAFF (Kulturarbeit für Frauenfeld) in Frauenfeld zeichnet dazu mit seinem Zentrum für alternative Kultur seit bald 14 Jahren einen Gegenentwurf. Drei Mal in der Woche finden Konzerte, Jams oder Lesungen statt, Ateliers und ein Proberaum stehen zur Verfügung und die Autonome Schule Frauenfeld befindet sich in den Räumlichkeiten des Kulturhauses.
Gesamthaft engagieren sich zwischen 30 und 40 junge Menschen beim KAFF, rund ein Dutzend davon im Vorstand oder in der Betriebskommission, ehrenamtlich. Nur insgesamt eine 100-Prozent-Stelle ist bezahlt, verteilt auf die Wirtestelle, Veranstaltung, Werbung und Administration. Wer sind diese Menschen, die den mächtigen Nützlichkeits- und Effizienzimperativ unserer Tage mit so frischem Gegenwind kontern? Das KAFF tritt im Netz als Kollektiv auf, Angaben zu einzelnen Personen sind nicht auffindbar. Wir haben das KAFF kontaktiert und uns mit drei Personen aus dem engen aktiven Umfeld getroffen. Sie erzählen von ihrer Kulturarbeit und ihrem Leben.
Nach nur wenigen, unkomplizierten E-Mails steht das Treffen mit David Nägeli im Kulturlokal an der Grabenstrasse. David begrüsst mich, knipst die Stereoanlage aus und beantwortet meine Frage bezüglich der Musik lakonisch: „Girl Band. Aus Dublin“.
Blick Richtung Bühne, KAFF-Kulturlokal. Bild: Dario D'Agostino
2015 wurde er zum Präsidenten des KAFF gewählt, heute bekleidet Sina Weibel dieses Amt. „Unser Ziel ist ein konstanter Wechsel, Jüngere sollen nachziehen“, erklärt David. Er ist nun im Vorstand und für Langfristiges sowie die Pressestelle zuständig und daher auch an den Verhandlungen zum Kasernenprojekt beteiligt. Aufgrund der Lage an der Grabenstrasse und der Beschaffenheit des Lokals selbst sucht das KAFF schon lange nach neuen Räumlichkeiten und ist daran interessiert, in die Kaserne zu ziehen. Nägeli ist selbst Journalist; als solcher behandelt er gesellschaftliche Themen wie militanter Veganismus, Burlesque und die Weiblichkeit oder die Lohnfrage für Gamer. Dabei verfährt er oft experimentell-abenteuerlich, sprachlich prägnant und humorvoll. Er würde sich definitiv als politischen Menschen bezeichnen: „Grundsätzlich gilt: Was in der Gesellschaft akzeptiert und normal ist, muss hinterfragt werden.“
„Unser Ziel ist ein konstanter Wechsel": David Nägeli, früher Präsident des KAFF, heute zuständig für Presse und Langfristiges.. Bild: Dario D'Agostino
Inwieweit kann das KAFF politisch verstanden werden? Immerhin ist die Autonome Schule im KAFF untergebracht und die Antifa hatte kürzlich im Rahmen der Antifa-Rally hier eine Veranstaltung organisiert. David erzählt, dass das Gesamtteam hinter der Autonomen Schule stehe und für alle gelte: kein Rassismus, kein Sexismus, keine Homophobie. „Inwiefern das KAFF politisch sein soll, ist jedoch immer wieder eine Diskussion im Kollektiv.“ David arbeitet neben seiner journalistischen Tätigkeit als Tontechniker und spielt Gitarre in der Band Franky Four Fingers. Was treibt ihn an, trotz dieser äusserst vielseitigen Engagements und Arbeiten auch Zeit für das KAFF zu finden? Schon als Jugendlicher habe er das musikalische Angebot des KAFF sehr geschätzt und wurde Stammgast, erzählt er, mit seinem Engagement wolle er einfach etwas zurückgeben. Angesprochen auf das Ehrenamt spielt David auf die Vorbildfunktion an: „Arbeit muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, Arbeit kann Freude bedeuten.“
Jon Brunke ist Programmverantwortlicher im KAFF und seit rund sieben Jahren dabei. Er schlägt vor, dass wir uns bei ihm zu Hause treffen, in einer WG im Vereinshaus des KAFF. Über Jon ist im Netz nur wenig herauszufinden. Einzig, dass er mit zwei Freunden eine Bühne gebaut hat, die auch am Festival Out in the Green Garden Verwendung findet. Im Treppenhaus sind Stimmen aus den Räumen der Autonomen Schule zu hören. Ein Blick auf den Stundenplan verrät: Deutschunterricht. Jon ist beim Abwasch, als ich klopfe. Er führt mich in die Küche, wäscht weiter ab und erzählt, dass ihn ein Artikel über das KAFF und seine Mitglieder sehr freue, denn das KAFF könne auf viele Neue etwas verschlossen wirken. Sollte Jon mit seiner Annahme richtig liegen, steht diese, wenn auch nur empfundene Verschlossenheit nicht im Widerspruch mit den Grundwerten des KAFF? Jon habe, führt er aus, diese etwas eingeschworene, vorsichtige Art auch in seiner Zeit in einem besetzten Haus beobachtet. Wo sieht er hier Parallelen? „Orte oder Szenen, die alle einschliessen, sind sehr verwundbar.“ Was bedeutet dieser Satz für die Gesellschaft, die Demokratie? Hört Toleranz da auf, wo sie ihr eigenes Gedeihen bedroht?
Verantwortlich für das Programm im KAFF: Jon Brunke. Bild: Dario D'Agostino
Jon erzählt, dass der Ideengeber zum Bühnenbauprojekt keine Zeit mehr hatte und Jon so das Projekt kurzerhand übernahm: „Ich wollte endlich mal was mit meinen Händen machen und sah es als Chance, mich so weiterzubilden.“ So fuhren er und zwei Freunde nach Bremgarten zu Kultopia, von denen die Pläne der Bühne stammen und legten los: Nach gut zwei Wochen war die Bühne gebaut. Seine Arbeit als Programmverantwortlicher beim KAFF hingegen ist nicht handwerklich – als Verantwortlicher bietet er Struktur, klärt Fragen. Am Programm arbeiten zwischen sechs und acht Leute mit, die sich mindestens einmal im Monat zu einer Sitzung treffen. Alle Mitarbeitenden haben Zugriff auf einen gemeinsamen digitalen Kalender, erklärt Jon, die Planung erfolgt jeweils einen Monat im Voraus. Welche Veranstaltungen letztlich stattfinden, entscheiden sie als Kollektiv. Zu Jons Aufgaben als Programmverantwortlicher gehört auch die Betreuung: „Die Künstler schlafen hier in der WG, gekocht wird auch hier.“ Jon ist Informatiker, arbeitet heute aber als Lichttechniker. Diese Leidenschaft hat er durch die Arbeit beim KAFF entdeckt und gleich zum Beruf gemacht. Auf die Frage, was er am KAFF besonders schätze, überlegt er lange und nennt schliesslich die Möglichkeit, die Arbeit und das Umfeld selber gestalten zu können und sich so weiterzubilden. Jon zeigt mir seine Sammlung an bizarren Erinnerungsstücken, die er von da und dort in die WG gebracht hatte und nun sein Regal zieren.
Abgeschlagener Schaufensterpuppenkopf, in den man eine Totenschädel-Wodkaflasche stellen kann. Bild: Dario D'Agostino
Sein Amt gibt er in etwa zwei Jahren weiter und wird nach Zürich, Bern oder gar Berlin ziehen, schwärmt er.
An einer Säule im Treppenhaus steht: liebt einander. Wie steht diese Botschaft zur Verwundbarkeit offener Gesellschaften, zu den Grenzen der Toleranz?
Das Gespräch mit Sina Weibel, Präsidentin des KAFF, findet im Kulturlokal statt. Die mit etlichen Stickern beklebte Tür steht dieses Mal offen. Sina trägt einen dicken, rostroten Schal, ein Filzbéret und anfangs einen Mantel – es ist kühl. Die grundsätzliche Offenheit des KAFF ist auch ein Anliegen von Sina: „Wir sind hier alle Freunde und arbeiten daran, offen zu bleiben!“. Vor rund vier Jahren hatte sie hier angefangen, an der Bar zu arbeiten und war zuletzt als Wirtin und im Vorstand tätig. Als David Nägeli sein Amt niederlegte, wurde Sina als Präsidentin vorgeschlagen. Sie freute sich riesig, erzählt sie, obwohl sie ursprünglich nicht plante, Präsidentin zu sein.
"Wir sind hier alle Freunde": KAFF-Präsidentin Sina Weibel über die Arbeit des Vereins. Bild: Dario D'Agostino
Ihre Hauptaufgabe wird vorerst in der Zusammenarbeit mit der Stadt bestehen. Dafür wird sie schrittweise Kontakte von David Nägeli übernehmen. Sina ist hauptberuflich Sozialarbeiterin, sie arbeitet mit suchtkranken Menschen zusammen. Wie schafft sie es, neben ihrem Beruf auch als Präsidentin des KAFF Verantwortung zu übernehmen? Sina arbeitet Teilzeit und schafft sich so Kapazität, erklärt sie, sie habe also Zeit und Lust: „Jede Minute ist es mir wert.“ Sinas Antwort entkleidet die gestellte Frage als eine, die davon ausgeht, dass Menschen einer Vollzeit-Erwerbstätigkeit nachgehen und hobbymässig ehrenamtlich arbeiten. Sie erzählt, dass sie zusammen mit Luca Obertüfer die Autonome Schule Frauenfeld aufgebaut hat – beinahe ohne finanzielle Mittel – und ihre Bachelorarbeit darüber schrieb.
Im Zug sitze ich ans Fenster und blicke Richtung Vereinshaus. Ich stelle mir vor, wie Sina während des Aufbaus der Autonomen Schule vielleicht verzweifelt, vielleicht hoffnungsvoll an den Weltlauf dachte, einen schwarzen Stift nahm und an eine Säule schrieb: liebt einander.
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