von Ramona Früh, 13.03.2020
Der Schatzsucher
Der kulturelle Reichtum sei auch im Thurgau vorhanden, man müsse ihn hier einfach mehr suchen als anderswo, sagt Stefan Wagner, neuer Beauftragter der Kulturstiftung des Kantons. Seit 100 Tagen ist er im Amt. Eine Bilanz.
Er sei ein Macher, sagt Stefan Wagner, der als Beauftragter der Kulturstiftung Thurgau seinen Traumjob gefunden hat. «Meine Tätigkeit bei der Kulturstiftung ist die perfekte Mischung zwischen Reflektieren und Machen, zwischen Kopf und Herz.» Von seinen vielen Ideen zur Veränderung hat er bereits einige umgesetzt: viele Gespräche geführt, eine Vernissage durchgeführt, einen Instagram-Account für die Kulturstiftung eröffnet, die Förderung und Eigeninitiativen der Kulturstiftung analysiert – und die Büromöbel umgestellt.
Natürlich sei es einfacher, die Tische im Büro zusammenzurücken, als neue Förderinstrumente zu lancieren. Dafür brauche es Zeit und «Schnauf». Er gibt sich fünf Jahre für die Umsetzung seiner Ziele. «Erst dann können wir messen, ob und was wir erreicht haben.» Er ist durchaus Realist, der neue Stiftungsbeauftragte, auch wenn er betont, dass es für seine neue Aufgabe viel Idealismus brauche.
«Ich glaube, dass meine Aussensicht ein Vorteil ist.»
Stefan Wagner, Beaufttragter der Kulturstiftung (Bild: Ramona Früh)
Sein grosses persönliches Engagement und seine Motivation sind im Gespräch deutlich spürbar, auch nach 100 Tagen noch. Er bringt neue Ideen und frischen Wind. «Das klingt so abgegriffen», sagt er lachend. Und gleichzeitig: «Ich glaube, dass meine Aussensicht ein Vorteil ist. Ich habe keine Betriebs- oder Kantonsblindheit. Ich kann Fragen stellen und gewisse Dinge in Frage stellen.» Ihn interessiert vor allem, wie die Kulturstiftung neue Akzente setzen könne.
Einen Kahlschlag wolle er nicht vornehmen. «Das bringt es nicht. Aber vielleicht kann ich etwas zeitgerechter machen, zum Beispiel die Kommunikation.» Oder die Gesuchsbearbeitung durch ein Online-Gesuchsportal erleichtern. Das klingt nach Bürokratisierung der Kulturförderung und könnte die Kulturschaffenden abschrecken. Dagegen wehrt sich Wagner: «Kulturförderung ist nicht nur ein Gesuchsformular zum ausfüllen. Es ist ein Eingehen auf die Kunstschaffenden, auf die Kunst, auf deren Bedingungen. Was können wir tun, damit ein Projekt mehr entsteht.»
«Es gibt Kulturorte im Thurgau, die unter ihrem Potential agieren. Ich möchte dieses Potential rauskitzeln.»
Stefan Wagner
Die Kulturstiftung müsse sich an ihre Reglemente halten, könne aber auch manchmal unbürokratische Entscheide fällen. Das gefalle ihm, weil es nahe beim Kuratorenjob liege, den er vorher hatte. Transparenz wäre hier wichtig.
Deshalb erarbeitet Stefan Wagner nun ein Kommunikationskonzept für die nächsten Jahre, wie die Kulturstiftung eine breitere Öffentlichkeit für Kultur, Kulturschaffen und für die Kulturstiftung selber erreichen könne. «Ich möchte, dass unsere eigenen Formate stärker wahrgenommen werden. Aber vielleicht ist das illusorisch», meint Wagner.
Er ist seit 100 Tagen im Amt daran, seine Ideen mit der Wirklichkeit abzugleichen. «Die Realität ist der Prüfstein.» Er hat bereits viele Gespräche mit Kulturschaffenden im Kanton geführt und betont, dass diese in den nächsten ein bis zwei Jahren noch andauern werden.
«Ich möchte, dass unsere eigenen Formate stärker wahrgenommen werden.»
Stefan Wagner
Stefan Wagner will einen Paradigmenwechsel herbeiführen: «Kulturförderung ist für mich eine aktive, keine passive Rolle.» Er hole die Erwartungen an die Kulturstiftung ab und frage nach Handlungsbedarf. Seine vielen Ideen stellt er gleichzeitig zur Debatte und erhalte selber eine vertiefte Perspektive auf die Situation der Kunstschaffenden im Thurgau.
Dabei kommt ihm seine eigene Erfahrung zugute: Er hat selber einen Kunstraum betrieben und weiss, wo die Probleme oftmals liegen. «Es gibt Kulturorte im Thurgau, die unter ihrem Potential agieren. Ich möchte dieses Potential rauskitzeln, ohne den Orten Vorgaben zu machen. Viel mehr möchte ich ermöglichen, dass sie den ‚next step’ in ihrer Entwicklung machen können.»
Dafür brauche es viele Gespräche, diese sind ihm wichtig. Er versucht, mit Offenheit und Neugierde auf die Kulturschaffenden zuzugehen. «Wenn ich diese Offenheit nicht mehr habe, muss ich aufhören.» Er sehe sich nicht als Allwissender, im Gegenteil. «Die Lösungen müssen hier im Kanton entstehen. Ich kann nur dafür sorgen, dass diese mehr Auftrieb bekommen.»
Gleichzeitig müsse die Förderung dem gesellschaftlichen Wandel angepasst werden. Als Beispiel nennt er die verstärkte Förderung von Frauen oder Kulturschaffenden mit Migrationshintergrund. Was wie angepasst werden soll, werde er nun intern mit dem Stiftungsrat und mit dem kantonalen Kulturamt besprechen.
«Kulturförderung ist für mich eine aktive, keine passive Rolle.»
Stefan Wagner
Sein Vorwärtsdrang und Gestaltungswillen wird ab und an auch etwas gebremst. Das könne mühsam sein, wenn sich nichts entwickeln liesse, aber eigentlich sei es auch gut so, meint Wagner: «Ich komme und will vieles ändern. Das ist nicht einfach.» Er spüre die Bereitschaft des Stiftungsrates. «Sie haben mich gewählt, weil sie mich und Veränderungen wollten. Die Frage ist, wie dieser Aufbruch nun erfolgt.»
Auch bei den Eigeninitiativen der Kulturstiftung wie der Werkschau Thurgau, dem Tanzfestival tanz:now und den Frauenfelder Lyriktagen schaut Wagner nun genauer hin: «Ich wäge ab und frage, wo man gebundene Gelder wieder lösen könnte, damit mehr für freie Projekte zur Verfügung steht. Im Grunde genommen ist es nicht Aufgabe der Kulturstiftung Veranstalterin zu sein, das ist ganz klar.»
Aber die Frage sei, was mit diesen Projekten geschehen würde, wenn die Kulturstiftung sie nicht mehr selber veranstalten würde. «Diese Projekte sind sehr oft an das Geld und die Leute gebunden. Es ist eine Tatsache, dass sie ohne die Kulturstiftung nicht existieren würden.»
2021 wird die Kulturstiftung 30 Jahre alt
Die Kulturstiftung Thurgau feiert nächstes Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Ein guter Zeitpunkt, sich die Frage zu stellen, was die Stiftung überhaupt ist und soll. «Für mich ist es klar», meint Stefan Wagner. «Sie soll eine Sichtbarkeit erzeugen für die Kunst. Sie soll dazu beitragen, dass man sich vernetzen kann.»
Tatsache sei ja auch, dass es im Thurgau keine Kunsthochschulen gebe und man zum studieren deshalb weggehe. «Das treibt mich um: Wie kann man von aussen etwas reinholen und Netzwerke schaffen.» Dies finde seiner Meinung nach noch zu wenig statt.
Auch die Wertschätzung gegenüber Kunst und Kultur könne man im Thurgau noch verbessern. «Kultur ist ein Reichtum unserer Gesellschaft. Das Zulassen von anderen Perspektiven bereichert einen.» Der kulturelle Reichtum sei auch im Thurgau vorhanden, man müsse ihn hier einfach mehr suchen als anderswo.
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