von Inka Grabowsky, 16.02.2023
Geschichten vom Ende
1837 wurde die Kartause Ittingen unter staatliche Verwaltung gestellt, 1848 ganz geschlossen. Wie war die Stimmung in dieser Zeit im Kloster? Ein neuer Raum im Ittinger Museum erzählt davon. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
In der Vitrine des Zimmers im ersten Stock hängen zwei Portraits eines tragischen Protagonisten. Bernhard König war 1837, kurz nachdem das Kloster unter staatliche Verwaltung gestellt wurde, zum Prior gewählt worden. Ein kleines Bild zeigt ihn als Mönch, ein grösseres in Gehrock und Zylinder auf einem weissen Pferd. «Ich vermute, wir sehen hier den Übergang ins Zivilleben», so Kurator Felix Ackermann.
Ohnmächtig musste der Geistliche miterleben, wie sein Kloster unter den neuen Herren wirtschaftlich verfiel und schliesslich 1848 ganz geschlossen wurde. Die Gemeinschaft der Ittinger Kartäuser zerbrach. Bernhard König zog nach einige Zwischenstationen ins Elsass.
«Die Mönche bekamen vom Staat eine Leibrente, mit der man damals gut leben konnte.»
Felix Ackermann, Kunsthistoriker
«Nur ein einziger der damals acht Mönche ist dem Orden treu geblieben und siedelte in eine andere Kartause über», erklärt Ackermann. Die Kartäuser – jeder einzelne von ihnen ein geweihter Priester - hatten ihr Gelübde auf ihr Kloster abgelegt. Weil es nicht mehr bestand, baten sie bei der päpstlichen Nuntiatur um eine Entbindung, die auch gewährt wurde.
«Unser Mitleid mit den Männern kann sich in Grenzen halten», schmunzelt der Kunsthistoriker. «Sie bekamen vom Staat eine Leibrente, mit der man damals gut leben konnte. Allerdings sie hatten ja auch beim Eintritt ins Kloster eine Art Mitgift eingebracht.»
Auf einer Tafel kann man die Details lesen: Der letzte Prior bekam mit 1100 Franken Pension im Jahr fast so viel wie ein Pfarrer verdiente. Ein Lehrer musste sich damals mitunter mit 200 Franken Jahreslohn begnügen.
Fast schon kitschig
Als der Kanton 1848 Besitzer der Kartause wurde, liess er alles Inventar versteigern. Betten, Tische und Stühle fanden Abnehmer, doch einiges blieb übrig, weil es für den Alltagsgebrauch zu gross war. Davon zeugt nun im Themenraum die Anrichte mit Fruchtstilleben aus dem 18. Jahrhundert.
Schräg gegenüber kann man ein fast schon kitschiges Ölbild einer «Geselligen Runde» von Mönchen sehen. Gemalt hat es Adolf Humborg wohl um das Jahr 1900. «Das ist eigentlich ein historischer Fehler», erklärt Felix Ackermann. «Die Mönche sind durch ihre hellen Kutten klar als Kartäuser zu erkennen, aber die hatten bestimmt keine geselligen Runden.»
Lediglich am Sonntag nach dem gemeinsamen Mittagessen waren den Geistlichen erlaubt, miteinander zu reden. «Genre-Bilder wie dieses zeigen uns einen ironischen Blick auf das Klosterleben. Vor 100 Jahren galt bestenfalls als charmant schrullig, wer sich aus der Welt zurückzog. Schlimmstenfalls führte er ein Leben als Nichtsnutz.»
Trauer über das Ende einer Ära
Der gemalte Spott über das Klosterleben darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass zumindest rund um Ittingen die Gemeinden die Auflösung des Klosters bedauerten.
Historiker Ackermann weiss von einer Eingabe, in der darum gebeten wurde, die Mönche nicht wegzuschicken. «Über Generationen hatte sich zwischen den Weinbauern in der Umgebung und dem Kloster eine symbiotische Beziehung gebildet. Im Kloster gab es nicht nur die Infrastruktur zur Vinifikation, sondern auch viel Know-How. Die Mönche hatte die Bauern beispielsweise auf den Anbau des Blauburgunders gebracht, weil diese Traubensorte gut lagerfähige Weine hervorbringt.»
Ein Wirtschaftskrimi endet im Gefängnis
Die Karthäuser hatten auch die Vertriebswege im Griff, so dass das Kloster als Wirtschaftsbetrieb durchaus florierte – jedenfalls solange, bis ein staatlicher Verwalter eingriff. Der erste mag nur ungeschickt gewesen sein. Joseph Giezendanner, der ihn nach einem Jahr ablöste, war buchstäblich kriminell.
1855, nach 15 Jahren im Amt, wurde er wegen Unterschlagung von sagenhaften 28’000 Franken ins Zuchthaus geschickt. «Nach diesem katastrophalen Versagen - auch der staatlichen Aufsicht - wollte sich der Kanton möglichst schnell von der Kartause trennen und verkaufte sie 1856 an zwei Appenzeller Unternehmer», so Kunsthistoriker Ackermann.
Wie zwei Appenzeller Unternehmer vom Verkauf der Kartause profitierten
Die beiden führten den Weinhandel weiter, verkauften etliche Parzellen ausserhalb des Kerngebiets und kassierten von den Bauern als Ablösung des Zehnten eine Einmalzahlung. «Ihre Investition dürfte sich binnen weniger Jahre mehr als verdoppelt haben.»
Als sie die Kartause schliesslich an 1867 an Victor Fehr weitergaben, erlösten sie nicht viel weniger als das, was sie selbst elf Jahre zuvor für das viel grössere Areal hatten ausgeben müssen.
Zwei Augenzeugenberichte von der Auflösung des Klosters
Es gibt zwei interessante Augenzeugenberichte aus der letzten Zeit des Klosters. Der mutmasslich glaubwürdigere stammt Johann Kaspar Mörikofer, der 1870 den Aufsatz «Die letzten Tage des Kartäuser-Klosters Ittingen» für den thurgauischen historischen Verein schreibt.
Der Schulrektor, Journalist und Pfarrer war vom Kanton beauftragt, die Bibliothek zu begutachten und deshalb bei der Verkündung der Schliessung dabei: «Der Prior zitterte an allen Gliedern, der Schaffner war todtenblaß und seine Lippen bebten, dem Küchenmeister rannen die Thränen über die Wangen; mit lautloser Ergebung vernahmen sie das Todesurtheil des Klosters.»
Hübsch zu lesen sind aber auch die Erinnerungen von Eduard Mörike, der 1838 im Thurgau zu Gast war und damals wie auch 1840 und 1857 die Kartause Ittingen besuchte. Er schreib 1846 das romantische Gedicht «Dem Herrn Prior der Kartause I.» und 1861 die Epistel «Besuch in der Kartause».
Vortrag: Am Dienstag, 21. Februar um 19 Uhr findet im Rahmen der Raumeröffnung ein Vortrag von Felix Ackermann statt. Der Eintritt ist frei.
Von Inka Grabowsky
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