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von Stefan Böker, 19.05.2020

Hilf Dir selbst

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Die Kulturklinik versteht sich als Alternative zu offiziellen Massnahmen. | © zVg

Die Corona-Krise hat Kulturschaffenden existenzielle Ängste bereitet, sie aber auch zu spannenden Solidaritäts-Aktionen inspiriert. Drei davon stellen wir euch vor.

Auf Kulturklinik.ch gibt es fast alles. Vulven aus Beton etwa, 1,30 Meter hohe Wandschmuck-Unikate, die sinnliches Betrachten garantieren. Oder Vulven aus Seife, angeboten in verschiedenen Düften (Zitronengras, Orangenblüte, Eukalyptus, Rosmarin). Slogan: „So macht Händewaschen Spass!“

Natürlich haufenweise Bandmerchandise von Bands verschiedener Genres – Taschen, T-Shirts, Tonträger, Poster. Designerprodukte wie Grusskarten, Siebdrucke, aufwendig gestaltete Bücher oder handgeschriebene Texte. Schmuck und Accessoires. Und mehr oder weniger skurrile Dienstleistungen: Gutenachtgeschichten über Skype, ein Vocalcoaching oder einen Zeichenkurs, alles online, na klar.

Von der Idee bis zur Umsetzung ging's fix – dank Internet. Bild: zVg

 

Ein wunderbarer Ort zum Stöbern

Nicht nur für Menschen, die in diesen Tagen und Wochen gelangweilt zuhause sassen, ist die Seite ein wunderbarer Ort zum Stöbern – für die beteiligten Kulturschaffenden ist sie ein wichtiges Hilfsprojekt. „Für mich und viele meiner FreundInnen ging erst mal eine Welt unter“, erinnert sich Luca Piazzalonga, einer der GründerInnen, an den Moment, als der Lockdown light ausgerufen wurde.

Den Kulturveranstalter und selbständigen Ilustrator traf es dann doch nicht so hart. Viele andere sassen hingegen richtig in der Tinte: keine Aufträge, kein Einkommen mehr. „Darum wollten wir etwas starten, um schnell helfen zu können“, sagt Piazzalonga. Die Kulturklinik.ch, eine Initiative aus Basel, ging am 17. März online.

Im Grunde handelt es sich um einen Web-Shop – allerdings um einen, bei dem der Gewinn gerecht aufgeteilt wird. Bald hundert Personen oder Kollektive sind auf der Seite aufgelistet, viele mit mehreren Produkten. Sie spenden den Gewinn aus dem Verkauf ganz oder zu einem Teil der Kulturklinik. KundInnen können auch spenden: Etwa durch „Kulturpfläschterli“ oder direkt an KünstlerInnen über Erste-Hilfe-Kits.

Besonders bedürftige KünstlerInnen werden besonders unterstützt

Die Kulturklinik teilt den Gewinn aus Spenden und Verkauf unter denjenigen auf, die sich zusätzlich als „IntensivpatientInnen“ registrieren. Über 30'000 Franken seien so unter bisher 36 Teilnehmenden verteilt worden, sagt Piazzalonga. „Bisher mussten wir nur ganz wenige ablehnen. Was zeigt: Es melden sich nur solche, die es wirklich nötig haben.“ Der Zugang ist unkompliziert und funktioniert über einen unbürokratischen Bedarfsnachweis. Bankauszug nicht nötig. „Der Antrag muss für uns überzeugend sein“, verdeutlicht er. 

Das ehrenamtlich betriebene Projekt nahm schnell Fahrt auf und erreichte einen Bekanntheitsgrad über die Basler Kulturblase hinaus. Finanziell steht das Team erst mal auf sicheren Beinen: Kürzlich hat die Christoph-Merian-Stiftung 25'000 Franken gespendet. Jetzt wollen die MacherInnen weiter wachsen. „Eigentlich in die gesamte Schweiz“, sagt Piazzalonga. Dass die Struktur funktioniert, haben sie bewiesen: „Wir können effektiv helfen, wo staatliche Massnahmen nur bedingt greifen.“

So funktioniert das System der Kulturklinik: Am Ende kommt der Gewinn allen Intensivpatient*innen zugute.

Auch aus dem Thurgau sind KünstlerInnen vertreten

Thurgauer Beteiligte sind vereinzelt schon dabei, etwa der Frauenfelder Cloudrapper DAIF, der mit seiner neuen EP „Bitte Baby“ und dem Doku-Film „Dieter Meiers Rinderfarm“ vertreten ist. Oder die Doom-Rocker Wolf Counsel, die mehr oder weniger aus der Region kommen: Sie haben Mitglieder aus Zürich, Schaffhausen und Konstanz.

Ralf W. Garcia, Sänger und Bassist der Letzteren, kommt aus Konstanz, ist bekannt in der Schweizer Metalszene und mit mehreren seiner Bands vertreten. „Bei uns sind diverse  Shows ausgefallen. Aber ich arbeite auch als Techniker für international tourende Bands oder als Stage Manager/Backline Techniker für diverse Festivals in ganz Europa“, sagt er. „Da findet natürlich aktuell und bis auf Weiteres nichts statt.“

Darum bietet er Unterricht im Bassspielen, in Musiktheorie oder ein Bandcoaching an. Es geht ihm weniger ums Geld als darum, Öffentlichkeit zu schaffen. Kunst und Kultur würden fälschlicherweise von vielen Menschen als nicht systemrelevant angesehen. „Das ist die harte und brutale Lektion der letzten Wochen“, sagt der Musiker. Das Ziel der Kulturklinik, Kulturschaffende zu unterstützen, kann er darum voll und ganz unterstützen.

Dominik Rüegg ist einer der GründerInnen von SupportYourLocalArtist.ch und verkauft dort auch eigene Werke.

Ein St. Galler Projekt unterstützt junge Schweizer KünstlerInnen

SupportYourLocalArtist.ch ist ein Projekt aus St. Gallen, das einen ähnlichen Ansatz verfolgt, sich aber auf junge Kunst aus der Schweiz fokussiert, auf Illustration, Animation, Street Art, Fotografie. Zu bestellen gibt es viele Originale, mit Öl auf Papier gemalt oder mit Marker auf Holz und vieles mehr. Im Angebot sind auch Linolschnitte, Kunstdrucke, Plakate und Bücher sowie alle möglichen Objekte, die Grafiker gerne verschönern: Kleidungsstücke natürlich, Jutetaschen, Postkarten, Skateboards, Stickers.

Die äusseren weiblichen Geschlechtsorgane der Frau tauchen auch hier als Sujet auf: in der Lithographie „Viva la Vulva“ (auf Büttenpapier) zum Beispiel oder als Filmplakat für „Die göttliche Ordnung“ im Postkartenformat. Über 70 Künstlerinnen und Künstler sind mit dabei.

Die Plattform funktioniert allerdings als reine Vermittlerin und nimmt dafür eine kleine Provision, um die Unkosten zu decken. „Als unser Ausstellungsraum wegen der Pandemie schliessen musste, haben wir nach einer anderen Möglichkeit gesucht, Werke auszustellen und zu verkaufen“, sagt Dominik Rüegg, selbst Illustrator und einer drei GründerInnen, die alle im „Haus zur Ameise“ aktiv sind.

Das Ergebnis: 18‘000 Franken Direkthilfe an 70 beteiligte KünstlerInnen

Support Your Local Artist ist ein Sideprojekt des Ausstellungsorts in der St. Galler Altstadt, für das die BetreiberInnen ihr Netzwerk aktiviert haben. Über 250 Bestellungen hat der Shop schon abgewickelt, über 18'000 Franken Direkthilfe an die rund 70 beteiligten KünstlerInnen kamen zusammen. Der Versand läuft über die KünstlerInnen selbst. Vorteil dabei seien, neben der Logistik, die individuellen und persönlichen Verpackungen, findet Rüegg.

Weil das so gut läuft und quer durch die Schweiz KünstlerInnen darauf angesprungen sind, will das Kollektiv seinen Online-Shop auch über den Lockdown hinaus am Leben erhalten. „Die Seite soll übersichtlicher werden und mehr Features bekommen, sich zu präsentieren“, sagt Rüegg. „Dafür wollen wir auch mehr Marketing machen, werden dann aber mit Provision von 15 Prozent arbeiten.“

Die Frauenfelder Illustratorin Rina Jost ist auch dabei

Für Rina Jost ist das eine gute Nachricht. Denn wächst der Store, wächst auch das Kollektiv und damit die Aufmerksamkeit. Die Illustratorin bietet auf SupportYourLocalArtist.ch Postkartensets, Tattoo-Aufkleber, Anstecker und Baumwolltaschen an – günstige Produkte, bei denen sich der Gewinn in Grenzen hält, da Aufwand und Ausgaben mit dem Produzieren, Verpacken und Versand entstehen.

Dennoch ein willkommener Zustupf in unsicheren Zeiten, sagt die Künstlerin, die am Innovent Pop-Up-Store in Frauenfeld beteiligt ist und auch für thurgaukultur.ch schon grafisch gearbeitet hat: „Für mich als Urheberin ist das eine tolle Gelegenheit, meine Arbeit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Während dem Lockdown wurde ausser den Kreditkartengebühren keinerlei Provision erhoben, die Organisation und Kommunikation lief einwandfrei und KunstfreundInnen konnten so unkompliziert und direkt die jeweiligen Kunstschaffenden mit einem Kauf unterstützen.“

Ein Literaturmagazin für den Lockdown

Ihr Literaturmagazin Stoff für den Lockdown könnten die Herausgeber Benjamin von Wyl und Daniel Kissling direkt auf beiden Plattformen anbieten. Von Wyl ist freier Journalist und Autor, Kissling Geschäftsführer des Kulturlokals Coq d’Or in Olten und Mitherausgeber des Literaturmagazins «Narr». Zwei Ausgaben sind bereits erschienen, die dritte wird definitiv am 9. Juni in die Briefkästen flattern.

Um Beiträge für das Heft zu bekommen, hat von Wyl eigenen Angaben nach „die gesamte Schweizer Literaturwelt“ abtelefoniert. Am Freitag war Lockdown, am Sonntag legte er los, wenige Tage später war schon Deadline. Der Auftrag: Schreibt, was ihr empfindet, was aktuell ist und sich mit der Corona-Situation auseinandersetzt.

Auf Twitter liess sich live verfolgen, wie Herausgeber Benjamin von Wyl seine Texte eintrieb.

 

Von Wyls Ruf folgten trotz Zeitdruck pro Ausgabe 30 deutschsprachige AutorInnen aus allen möglichen Ecken, hauptsächlich aber der Schweiz. Ihre Beiträge reichen vom abstrakten Gedicht bis zur herkömmlichen Kurzgeschichte und sind meist humorvolle Alltagsbeobachtungen, Einblicke in das Leben von Menschen, die sich im Kulturbereich durchschlagen. 

Das Ziel, den AutorInnen wenn es geht einen kleinen Zustupf, ein Honorar, zu bescheren, konnten die Herausgeber bei den ersten beiden Ausgaben erfüllen. Und das Ziel, eine kleine literarische Umarmung zu ermöglichen, bis richtige Umarmungen wieder möglich sind, ebenfalls.

Und auch hier: die Vulva. Wird zumindest erwähnt, in Romana Ganzonis Beitrag der Ausgabe 1.

Wer die dritte Ausgabe bestellen möchte, kann das unter diesem Link tun.

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