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von Stefan Böker, 12.06.2020

Z88 zügelt ins Billard-Lokal

Z88 zügelt ins Billard-Lokal
Die Zukunft des Z88 ist gesichert. Das freut Vereinspräsidentin Lisa Maria Rosenzweig. | © Stefan Böker

Die Kreuzlinger Kulturinstitution Z88 zieht an die Löwenstrasse und nicht ins Kult-X.  In den Räumlichkeiten des Billard-Lokals Jolly 2.0 kann der Verein, unterstützt von der Stadt, wie gewohnt selbstverwaltet arbeiten. Um Teil des neuen Kulturzentrums zu werden, hätten die Vereinsmitglieder aus ihrer Sicht zu viele Kompromisse eingehen müssen.

Fast 20 Jahre lang war das Z88 an der Hauptstrasse 88A untergebracht. Das Gebäude hinter der Bauverwaltung muss allerdings im Herbst der Erweiterung des Schwimmbads Egelsee weichen. Der Kulturverein wollte darum am zweiten Maiwochenende ein rauschendes Abschiedsfest feiern. Doch Corona machte den Plänen einen Strich durch die Rechnung. Nun ist eine Wiedergutmachung in Sicht: Am 4. und 5. September wollen die Z88er stattdessen die Neueröffnung an der Löwenstrasse 6 feiern.

„Für uns ist das ein Volltreffer“, freut sich Lisa Maria Rosenzweig über die Möglichkeiten, die sich im Billard-Lokal Jolly 2.0 bieten. Der grosse Raum mit der Glasfront ist durch eine Trennwand zweigeteilt. Vorne soll die Bar hinkommen, hinten die Bühne. Von der Grösse und vom Aufbau her optimal, findet sie. Bisher wurde hier Billard, Dart oder Poker gespielt. Aber auch lautere Events wie Salsa-Konzerte hätten schon stattgefunden. Auch gut: Nachbarn die sich über Lärm beschweren könnten, gibt es hier nicht. Das zweistöckigen Haus wird ausschliesslich für gewerbliche Zwecke benutzt. 

„Für uns ist der neue Standort ein Volltreffer!“

Lisa Maria Rosenzweig, Vereinspräsidentin des Z88 (Bild: Stefan Böker)

Rosenzweig ist seit fünf Jahren im Verein und wurde im Frühling zur Präsidentin gewählt. Schon immer war die 30-jährige begeisterter Gast. „Hier war ich das erste Mal im Ausgang“, erzählt sie. Auch ihr Mann arbeitet im Verein. Der Umzug ist ihr erstes grosses Projekt. Aufwändige Umbauarbeiten sind nicht vorgesehen. „Viel investieren müssen wir nicht“, nennt sie einen weiteren Vorteil. „Wir können mit dem arbeiten, was wir haben.“ Allein mit der Bühnentechnik könnte es knifflig werden. Das Z88 ist bekannt für hervorragenden Sound und der soll natürlich am neuen Standort in der gewohnten Qualität erklingen.

Drei Konzerte sind am alten Standort wegen Corona geplatzt. Mit den gebuchten Bands ist man sich jedoch bereits einig geworden und hat Ersatztermine im Herbst vereinbart. Die Bar möchten die Z88ger sogar schon früher öffnen. „So schnell wie möglich eigentlich“, sagt Rosenzweig. Ab 1. Juni beginnt der Mietvertrag. Dabei geht es auch um Finanzen: Denn bis jetzt ist die traditionelle Sommeraktion des Z88, die SonderBar unter den Platanen am Bärenplatz, noch nicht genehmigt. Sie sollte am 20. Juli starten. Die fehlenden Einnahmen daraus würden den Geldbeutel des Z88 stark schmälern.

Hierhin zügelt das Z88: das Billard-Lokal Jolly 2.0 an der Löwenstrasse 6. Bild: Stefan Böker

Kein Konsens mit dem Kult-X

Dem Kult-X den Rücken zu kehren, bedauern die Z88ger nicht. Denn die neue Ausrichtung des Kulturzentrums hin zu „einem kleinen Dreispitz mit Räumen zum Mieten“ passe nicht mehr zu ihnen, sagt Kurt Peter, einer der Gründer des Vereins. Auch wenn er von der Grundidee des Kult-X nach wie vor überzeugt sei. „Wir haben uns schliesslich jahrelang an der Vorarbeit beteiligt. Wäre das Egelsee-Projekt nicht im ersten Anlauf abgelehnt worden, dann wären wir schon längst Teils des Ganzen“, stellt er klar.

Grösster Streitpunkt war, dass das Z88 keinen eigenen Raum im Kult-X bekommen konnte. Daneben habe es „100 kleine Baustellen“ gegeben, so Peter, vom Booking über die Finanzen bis zu den Getränken. „Wir sind ein eingespieltes Team und es gewohnt, alles selbst zu machen“, sagt Präsidentin Rosenzweig. „Und diese Variante bestand einfach nicht.“

„Der Vielfalt des Kreuzlinger Nachtlebens tut es gut, wenn unsere unabhängige Bühne erhalten bleibt.“

Kurt Peter, einer der Gründer des Vereins

Den Anstoss, eine neue Location zu finden, gab die Vereinsversammlung im Februar. Kurt Peter ist unter anderem von der Lage begeistert. Sie sei präsenter als das vom Boulevard zurückgesetzte Kulturzentrum auf dem Schiesser-Areal.

Mit dem Horst Klub gebe es ausserdem bereits ein gut frequentiertes Kulturlokal direkt gegenüber. Diese Nachbarschaft könne für beide Veranstaltungsorte fruchtbar werden, hofft er. „Vielleicht entwickelt sich das zur neuen Partymeile. Und der Vielfalt des Kreuzlinger Nachtlebens tut es auch gut, wenn unsere unabhängige Bühne erhalten bleibt.“ 

Das alte Gebäude war eine Werkstätte der Uhren- und Bijouteriehandlung Schenk & Holzach. Bild: Stefan Böker

Die Stadt will den Verein Z88 weiter unterstützen

Die Förderung durch die Stadt Kreuzlingen über eine Leistungsvereinbarung bleibe bestehen, versichert Stadträtin Dorena Raggenbass. „Wir schätzen das Kulturangebot und das Engagement des Z88 sehr“, lobt sie. „In den über 30 Jahren ist der Verein aus der Pionierrolle zu einer eigenständigen Marke gewachsen und setzt im vielseitigen Kulturleben unserer Stadt einen besonderen Akzent.“ Bisher wurde der Kulturbetrieb mit 14'000 Franken jährlich unterstützt.

Im Gegenzug verpflichtete sich der Verein, mindestens 20 kulturelle Veranstaltungen jährlich durchzuführen. Auch einen Zustupf an die Miete zu geben, hält Stadträtin Raggenbass nicht für ausgeschlossen. Diesbezüglich seien aber noch keine Anträge eingegangen. Weil der Verein bislang in einem städtischen Gebäude zuhause war, musste er keine Miete zahlen.

Full House: Gäste an der Einweihungsfeier des alten Z88 im Dezember 1991. Bild: Stefan Böker

 

Ein hart erkämpftes Kulturzentrum: Blick in die Geschichte des Z88

In den ersten Jahren seiner Gründung organisierte der Verein Zentrum 88 Veranstaltungen an wechselnden Orten, hatte aber noch kein festes Zuhause. Es war eine Zeit, in der die Bürger*innen diskutierten, ob Rock-Musik förderungswürdige Kultur sei oder nicht. Kreuzlingen, ja der ganze Thurgau, galt vielen als „Kulturwüste“. Ziel der Mitglieder war es, frischen Wind in die verstaubte Kreuzlinger Kulturlandschaft zu bringen und ein Kulturzentrum auf die Beine zu stellen, einen Ort, wo alternative Bands und ausgefallen Kleinkünstler auftreten und sich die Gäste ohne Konsumzwang treffen können, wo aber auch Proberäume und Räume für andere Aktivitäten bereit stehen – gar nicht so unterschiedlich von den Zielen also, die das Kulturzentrum Kult-X heute hat.

 

Sie wollten aber auch gegen die „Konstanzlastigkeit“ der hiesigen Kulturszene ankämpfen. „Mit Filmen, Konzerten, Diskussionen, Vorlesungen oder ganz einfach als Treffpunkt wollen wir hier aktiv werden“, so ein Schreiben im März 1988 an den Kreuzlinger Stadtrat. Schnell gewann der Verein über 70 Mitglieder und war wegen seiner Aktivitäten im kulturellen Leben der Stadt nicht mehr wegzudenken. Auch ohne eigenes Zuhause organisierten die Mitglieder Konzerte und die SonderBar unter freiem Himmel, führten eine Kulturwoche am Seenachtfest durch oder traten als Theatergruppe auf. Grösster Publikumserfolg war ein ausverkauftes Konzert von Züri West im Bärensaal. Kleiner Wermutstropfen: Es gabe riesen Ärger wegen Zigaretten-Brandlöchern auf dem nagelneuen Holzparkett.

 

Ihre Hartnäckigkeit wurde dennoch 1991 belohnt: Im Dezember konnten die Z88er die untere Etage des ehemaligen Uhrenwerks hinter der Bauverwaltung beziehen. Die Räume fit zu machen, dauerte Monate. Die Stadt Kreuzlingen und der Kanton Thurgau beteiligten sich mit jeweils 30000 Franken an den Kosten. „Jeden Abend volle Hütte“, erinnert sich Kurt Peter an diese Anfangszeit – denn ein vergleichbares Angebot gab es, bis auf das Theater an der Grenze, nicht. 

 

Dass die Bauverwaltung die Hausnummer 88 trug und man hier das Vereinslokal aufbaute, ist purer Zufall. Die Stadt Kreuzlingen hatte die Gebäude eigentlich gekauft, um einmal ein Stadthaus zu errichten. Der Name geht stattdessen auf das Gründungsjahr 1988 zurück, das Z steht für Zentrum. Später kürzten ihn die Vereinsmitglieder, um Verwechslungsgefahr mit dem Zentrum zum Bären zu vermeiden, einem soziokulturellen Zentrum gleich um die Ecke, wo heute die Spitex ist.

 

„Auch mit Nazi-Zeug hat unser Name nichts zu tun“, sagt Kurt Peter. Weil die Zahl 88 in der rechten Szene ein Code für „HH“, also „Heil Hitler“ ist, würden alle deutschen Bands immer sofort nach dem Hintergrund fragen. In der Schweiz sei das aber kein Problem, so Peter. „Eine Namensänderung ist darum auch nicht geplant.“ Stefan Böker

 

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