von Inka Grabowsky, 25.01.2022
Idyll mit Widerhaken
Ernst Kreidolf war nicht nur Maler, sondern auch Kinderbuchillustrator und Grafiker. Jetzt widmen sich zwei Ausstellungen in Kreuzlingen und Konstanz seinem Werk. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
„Wir haben eine eigenständige Ausstellung zusammengestellt, die wir durchaus mit Selbstbewusstsein präsentieren können“, sagt die Kreuzlinger Museumsdirektorin Yvonne Istas. „Wir zeigen nicht nur Kreidolfs Werke querbeet durch sein Leben, sondern auch seine Wurzeln in Tägerwilen.“
Die Ausstellungsmacher der Rosenegg konnten auf einen besonderen Schatz in ihrem Magazin zurückgreifen. Die letzte Erbin von Ernst Kreidolf, das Patenkind seiner Nichte, hatte dem Museum vor Jahren bereits Gegenstände aus dem Nachlass übergeben. Zusammen mit Leihgaben aus Tägerwilen illustrieren nun etwa sein Reisekoffer, ein Chapeau Claque, ein Lehnstuhl und seine Staffelei Phasen im Leben des Künstlers.
Vor allem aber sind in Kreuzlingen rund 200 Werke zu sehen, die Yvonne Istas von Privatsammlern, Museen und der Gemeinde Tägerwilen ausleihen konnte. Die Lithografie der Ansicht von Tägerwilen, mit der der junge Kreidolf das Geld für die Kunst- und Gewerbeschule und später die Akademie in München verdiente, hat einen Ehrenplatz.
Synergien mit Konstanz
Den Anstoss zur Ausstellung gab bereits 2019 Barbara Stark. Sie ist nicht nur Leiterin der Konstanzer Wessenberg-Galerie, sondern auch Präsidentin des Ernst-Kreidolf-Vereins, der rund 3000 Grafiken und 150 Gemälde besitzt und im Kunstmuseum Bern deponiert hat.
Hier entstand vor zwei Jahren die Zusammenstellung „Wachsen – Blühen – Welken“, die sich auf Kreidolf und die Pflanzen konzentriert. Stark holt sie nach der Präsentation in Bern nun nach Konstanz - quasi als krönenden Abschluss ihrer Reihe, die 2002 mit den Bilderbüchern begann, und die 2007 mit seinen Künstlerfreunden und 2014 mit seinen Tierbildern fortgesetzt wurde.
Vergängliches verewigt
Sowohl in Kreuzlingen (als Druck) als auch in Konstanz (im Original) ist das Motiv zu sehen, das 1894 die Initialzündung zu Kreidolfs berühmten vermenschlichten Blumen gab. „Er sah bei einem Spaziergang in den Bergen an einer geschützten Stelle Enzian, Edelweiss und Schlüsselblumen und pflückte sie“, erzählt Istas. „Zuhause packte ihn dann die Reue. Wie zum Trost verewigte er die Blüten auf Papier.“
Kreidolf selbst notierte auf dem Blatt „Auf diesem Blatt beruht meine ganze Bilderbuchkunst.“ Das Schlüsselerlebnis mit den Schlüsselblumen nennt Yvonne Istas diesen Moment. Vier Jahre später erschien das Buch „Blumen-Märchen“. „Er hatte erst keinen Verleger dafür gefunden, aber eine Gönnerin schoss ihm Geld vor. Und als ausgebildeter Lithograf machte er sich selbst an die Arbeit.“ Das Buch wurde ein grosser Erfolg, dem er noch 13 weitere Bilderbücher folgen liess.
„Wir wissen, dass die Menschen viele Erinnerungen mit Kreidolfs Büchern verbinden“, so die Kreuzlinger Museumsleiterin. „Deshalb haben wir als kleine Reminiszenz eine Auswahl der beliebten Motive im Altbau ausgestellt.“ Pandemiebedingt kann man nicht in Neuauflagen der Bücher aus Papier blättern (ausser man kauft sie im Museumsshop). Ein I-Pad ermöglicht das hygienisch einwandfrei.
Wirkung bis in die Schule hinein
In der Wessenberg-Galerie In Konstanz lässt sich die Nachwirkung von Kreidolfs Arbeit bestaunen. Er hat mit seinen Illustrationen zum Lesebuch für die dritte Klasse der Berner Primarschulen „Roti Rösli im Garte“, das von 1925 bis 48 immer wieder aufgelegt wurde, Generationen von Schülerinnen und Schülern geprägt. Er hat selbst Kostüme entworfen, die bis in die vierziger Jahre Kindern ermöglichten, einmal Blümchen zu spielen. Seine Gedichte wurden in den zwanziger Jahren vertont.
Bei der Vernissage am 28. Januar im Konstanzer Wolkensteinsaal kann man die Werke für Klavier und Gesang hören. Die Popularität hat auch Schattenseiten: „2026 – siebzig Jahre nach dem Tod des Künstlers - erlischt der Schutz der Bildrechte, die bisher der Verein hält“, sagt die Präsidentin Stark. „Dann wird es sicher Tassen, Bettwäsche oder Spielzeug mit Kreidolf-Motiven geben.“
Der Künstler hatte seine Nische gefunden
Kreidolf wollte Zeit seines Lebens mehr sein als ein Kinderbuchautor und Illustrator. „Und er ist sicher weit mehr als ein Blüemli-Maler“, sagt Yvonne Istas. Seit seiner Zeit an der Kunstakademie in München malte er Landschaften oder Städte in Öl oder als Aquarell und suchte Anerkennung als Künstler. „Es hält sich leider bis heute hartnäckig die Überzeugung, dass ein Bilderbuch keine Kunst sei“, ärgert sich Barbara Stark.
Kreidolf selbst wollte eigentlich nach fünf Bilderbüchern keine weiteren Blumenmärchen mehr schaffen, wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt, doch dann entstand 1911 doch der „Gartentraum“, der in Konstanz in vier Originalblättern (geliehen aus München) und zwölf Faksimiles zu sehen ist.
„Kreidolfs Sehnsucht nach einer Frau an seiner Seite kann man in viele seiner Bilder hineininterpretieren.“
Barbara Stark, Leiterin Wessenberg-Galerie Konstanz
Als ihn Adolf Frey 1917 bat, seine Ritornellen – dreizeilige Gedichte über Blumen – zu illustrieren, hatte sich Kreidolf mit seiner Nische arrangiert. Weil der Maler mit einem Verkaufserfolg rechnete, wurde daraus ein zweibändiges Werk. Und dann beauftragte ihn 1918 noch die Schweizerische Graphische Gesellschaft mit Lithografien von Alpenblumen. „Schon wieder Blumenmärchen“, notiert Kreidolf. 1922 kam das „Alpenblumenmärchen“ heraus.
Kreidolf zeige in seinen Werken durchaus oft eine heile Welt, so Stark, „aber mit dem Tod im Hintergrund. Auch ein Friedhof ist bei ihm belebt.“ Der Kreislauf des Lebens sei ihm wichtig gewesen. Der Titel der Konstanzer Schau „Wachsen – Blühen – Welken“ nimmt darauf Bezug.
Gemälde mit Geschichten
„Kreidolf war kränklich“, erzählt Stark. „Er glaubt, nicht lange zu leben, weshalb er auch nie eine Familie gründete. Seine Sehnsucht nach einer Frau an seiner Seite kann man aber in viele seiner Bilder hineininterpretieren.“ Beim grossformatigen Ölbild „Idylle mit Harfner“, zu sehen im ersten Stock in der Rosenegg, fällt das besonders leicht. Ironischerweise war Ernst Kreidolf 93 Jahre alt, als er 1956 starb.
An vielen Bildern von Ernst Kreidolf lassen sich Anekdoten festmachen. Das dürfte einen Teil des Reizes ausmachen, den die Motive immer noch haben. Eine Führung durch die Ausstellungen lohnt sich deshalb auf jeden Fall.
Was sich der Maler im Krieg notierte
Zum Blatt „Der Admiral und seine Flotte“ aus dem Bilderbuch „Sommervögel“ kann Laurent Schmidt eine Geschichte beisteuern. Der angehende Historiker geht Yvonne Istas derzeit im Rosenegg-Museum zur Hand: „Im ersten Weltkrieg hatte Kreidolf sich auf einem Zettel den Titel als Bildidee notiert. Beim Grenzübertritt zwischen Kreuzlingen und Konstanz fiel das einem Grenzschützer auf. Der Künstler geriet kurz in Spionageverdacht.“
Gut, dass man derzeit ungehindert zwischen den beiden Städten hin- und herpendeln kann. So lassen sich beide Ausstellungen besuchen.
Rahmenprogramm zu den Ausstellungen
„Querbeet“ im Kreuzlinger Museum Rosenegg, 23.Januar bis 17. April.
Führungen
18. Februar, 15 Uhr „Kreidolf - Spurensuche“
23. März, 18 Uhr „Kreidolfs Wurzeln“
17. April, 15 Uhr „Abschied Kreidolf“ (Finissage)
„Wachsen – Blühen – Welken. Kreidolf und die Pflanzen“ in der Konstanzer Wessenberg-Galerie. 29. Januar bis 17. April
Führungen 14-täglich sonntags um 11 Uhr, mittwochs um 15 Uhr und fünfmal dienstags um 19 Uhr
Vortrag
online am 3. März: „Wundergärten. Ernst Kreidolf und die Pflanzen in der Kunst"
am 16.März im Wolkensteinsaal: „Als Flora regierte. Ernst Kreidolf und die Pflanzenbegeisterung seiner Zeit"
Es gibt ein extra Programm für Kinder ab 5.
Von Inka Grabowsky
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