von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 28.09.2020
Kommt das dicke Ende erst noch?
Viele Kulturschaffende ächzen unter der Corona-Krise. Dass es danach besser wird, ist längst noch nicht ausgemacht. Denn: Neue Sparprogramme könnten auch die Kultur treffen. Warum das gefährlich wäre.
Wenn es dumm läuft, behält Thomas Ostermeier am Ende recht. Bereits im April hatte der Theaterregisseur und künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne, dunkle Wolken an den Himmel vieler Kulturschaffender und Kultureinrichtungen gezeichnet. „So wie man jetzt offenbar in den Krankenhäusern in Italien entscheiden muss, welche Kranken die lebensnotwendige Behandlung erhalten, fragt man sich vielleicht nach der Krise, welche Firmen und Institutionen man braucht und auf welche man verzichten kann", sagte Ostermeier damals der Süddeutschen Zeitung. Ergänzt mit dem angsterfüllten Satz: „Ich weiss nicht, ob die Politik dann alle Kultureinrichtungen retten will.“ Bumm. Das sass.
Tatsächlich reden ja auch in der Schweiz längst einige Politiker darüber, dass nach der Krise alle Ausgaben auf den Prüfstand müssten. Motto: Man müsse sich genau überlegen, was man sich dann noch leisten kann. In der Kultur kennen sie solche Sätze. Und die meisten von ihnen wissen, dass solche Aussagen auch sie irgendwann treffen können. So war es nach der Finanzkrise 2008/2009. So könnte es jetzt wieder kommen. Auch im Thurgau?
Die Abhängigkeit vom Lotteriefonds
Um diese Frage zu beantworten, lohnt ein Blick auf die Kulturfinanzierung im Kanton. Das Kulturleben im Thurgau wird inzwischen nur noch zur Hälfte mit Mitteln aus dem Staatshaushalt unterhalten. Vor allem die Budgets der kantonalen Museen und jenes der Kantonsbibliothek werden darüber finanziert. Der ganze grosse Rest kulturellen Schaffens wird über den Lotteriefonds ermöglicht. In Zahlen sieht das so aus: Aus dem Kantonshaushalt kommen rund 10,5 Millionen Franken pro Jahr, aus dem Lotteriefonds fast 10,8 Millionen Franken pro Jahr.
Eigentlich ist dieses Verhältnis eher ein Problem. Weil es deutlich macht, wie sehr sich der Staat von seiner Aufgabe der Kulturförderung und Kulturpflege zurückgezogen hat und bei der Finanzierung auf Drittmittel setzt von denen niemand weiss, wie lange es sie geben wird.
Mit anderen Worten: Das Wohl der Thurgauer Kulturschaffenden ist ziemlich feste an die Spielleidenschaft der Thurgauerinnen und Thurgauer gebunden. Denn: Wie viel Geld ein Kanton aus dem Topf der Swisslos erhält, hängt neben der Bevölkerungszahl auch am Spielumsatz im jeweiligen Kanton. Dass Kulturschaffende so zumindest teilweise von der Spielsucht anderer profitieren, ist eine Perversion dieses Systems. Einerseits.
«Viele Kulturschaffende wären froh, wenn ihre Arbeit noch etwas mehr unterstützt werden würde. Das Geld im Lotteriefonds zu horten, macht absolut keinen Sinn.»
Ueli Fisch, GLP-Kantonsrat
Andererseits: In der Krise zeigt sich nun, dass diese Art der Kulturfinanzierung viele Kulturschaffende vor allzu grossen Einschnitten bewahren könnte. An den Lotteriefonds-Mitteln ist in den vergangenen Jahren eigentlich nie gerüttelt worden. Im Gegenteil: Der Topf wächst Jahr für Jahr an: Weil immer mehr Geld reinkommt als ausgegeben wird.
Das Ergebnis: 2019 hatte der Thurgauer Lotteriefonds - laut Geschäftsbericht des Kantons - einen Umfang von 44 Millionen Franken. Auch vor diesem Hintergrund hatte Ueli Fisch von der Grünliberalen Partei vor der Kantonsratswahl im März gefordert, die Kulturförderung auszubauen: „Es steht genügend Geld im Lotteriefonds zur Verfügung. Viele Kulturschaffende wären froh, wenn ihre Arbeit noch etwas mehr unterstützt werden würde. Das Geld im Lotteriefonds zu horten, macht absolut keinen Sinn“, so Fisch damals.
Jubel wäre trotzdem noch verfrüht. Denn: Sollte es trotz allem zu Sparrunden im Haushalt kommen, könnten die kantonalen Museen davon betroffen sein. So war es jedenfalls in den Sparrunden nach der Finanzkrise, die Mittel aus dem Lotteriefonds wurden damals nicht gekürzt. Es ist allerdings fraglich, wo die Museen noch kürzen sollten. Sie sind ohnehin nicht besonders üppig ausgestattet. Weitere Kürzungen würden wohl dauerhaften Schaden an der Museumslandschaft anrichten.
Ein gutes Zeichen: Der Finanzdirektor gibt sich gelassen
Wenn dies nicht als Warnung an allzu eifrige Spar-KommissarInnen reicht, kann man sie übrigens auch jederzeit an Aussagen des inzwischen Ex-Finanzchefs des Kantons, Jakob Stark, erinnern. Anlässlich des Besuchs von Bundesrätin Simonetta Sommaruga am 20. Mai auf dem Arenenberg sagte er, dass die Folgen der Corona-Krise den Kanton nicht lange belasten werden. Eine einjährige Rezession, schon. Aber nicht mehr. Der Thurgauer Staatshaushalt werde dies dank der „zurzeit exzellenten Verfassung“ verkraften können.
Weitere Beiträge von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter
- Konstanz, wir müssen reden! (26.05.2023)
- Die verlorene Ehre eines Bauern (25.05.2023)
- Zehnmal Zeit für Entdeckungen (17.05.2023)
- Wie wir uns weiter entwickelt haben (01.05.2023)
- Das 127-Millionen-Paket (02.05.2023)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kolumne
Kommt vor in diesen Interessen
- Debatte
- Die Dinge der Woche
- Kulturförderung
Ist Teil dieser Dossiers
Ähnliche Beiträge
Gemeinsam in die Zukunft
Das Ostschweizer Kulturmagazin «Saiten» und thurgaukultur.ch schaffen gemeinsam eine neue IT-Infrastruktur für Non-Profit-Kulturportale und einen einheitlichen Veranstaltungskalender. mehr
Es ist angerichtet
Als die Kulturstiftung ihren neuen Wettbewerb „Ratartouille“ lancierte, gab es viel Kritik. Die drei Final-Teilnehmer zeigen: Keine der Befürchtungen hat sich bewahrheitet. mehr
Geht das gut?
Mit den Öffnungsschritten inmitten steigender Infektionszahlen geht die Politik ins Risiko. Man kann daran verzweifeln. Oder seinen eigenen Teil dazu beitragen, die Gefahr zu minimieren. Ein Appell. mehr