von Judith Schuck, 23.08.2022
Kultur inklusiv von Pro infirmis
Für Menschen mit einer Behinderung ist der Zugang zu Kultur im Thurgau besonders schwierig. Die Fachstelle Kultur inklusiv von Pro Infirmis möchte das ändern. (Lesedauer: 3 Min.)
Kultur bedeutet Teilhabe an der Gesellschaft und muss allen Menschen zugänglich sein. Gerade in schwierigen Lebenslagen oder Krisensituationen kann Kultur in ihrer Breite helfen, Zusammenhänge besser zu verstehen, ob durch einen Perspektivwechsel oder einen intuitiveren Zugang zu Sachverhalten. Menschen mit einer Geh-, Seh- oder Hörbehinderung und auch kognitiver oder psychischer Beeinträchtigung haben es hier schwer.
2014 startete Pro Infirmis, die Fachorganisation für Menschen mit Behinderung, und die Fachstelle Gleichstellung von Menschen mit Behinderung der Stadt Bern mit der Fachstelle «Kultur inklusiv» ein Pilotprojekt. «Kultur inklusiv» gilt inzwischen als Label, das an Institutionen vergeben wird, welche sich für die Zugänglichkeit von Kultur stark machen. 2018 erhielten es das Kunstmuseum Thurgau und das Ittinger Museum. «Beide Museen sind im Bereich der Partizipativen Kunst aktiv und engagiert», erklärt Markus Böni diese Auszeichnung. Er ist Leiter der Fachstelle Inklusion bei Pro Infirmis Thurgau. «Zudem werden Mitarbeiter:innen mit einer Behinderung im Kloster beschäftigt.»
Den Thurgau in Sachen Inklusion vorantreiben
Das Label «Kultur inklusiv» möchte dabei nicht nur Institutionen fördern, welche Menschen mit Beeinträchtigung als Konsument:innen berücksichtigen. «Uns geht es um die Förderung allen kulturellen Schaffens, verständliche Websites, einfache Sprache, offene Kanäle», sagt Jutta Röösli, Geschäftsstellenleiterin von Pro Infirmis Thurgau, «aber auch darum, wie ich als Mensch mit einer Beeinträchtigung einen Arbeitsplatz im Kulturbereich finden oder als Kulturschaffende:r selbst auftreten kann.» Gemeinsam mit Markus Böni möchte sie den Kanton in diesen Belangen endlich vorantreiben, auch in dem sie die Gründung eines Vereins anstreben.
«Uns geht es um die Förderung allen kulturellen Schaffens, verständliche Websites, einfache Sprache, offene Kanäle»
Jutta Röösli, Pro infirmis Thurgau
Unter Leitung der nationalen Fachstelle fanden Januar und Mai Workshops statt, um Inklusion in der Ostschweiz zu fördern. Am 10. Juni wurden die Ergebnisse der Workshops bei einem regionalen Netzwerktreffen in Rorschach präsentiert. «Leider waren praktisch keine Vertreter:innen aus dem Thurgau an den Workshops oder an der Präsentation vertreten», so Markus Böni, der bei den Arbeitsgruppen mitgewirkte. Was das Thema Inklusion betreffe, «darbt es im Kanton. Auch Auftritte von Menschen mit Behinderungen finden nur am Rande statt», sagt Jutta Röösli. Beim Netzwerkaufbau Ostschweiz waren vor allem die Kantone St. Gallen, die beiden Appenzell und Graubünden vertreten. Im Gegensatz zum Thurgau verfügt beispielsweise der Kanton St. Gallen über eine Behindertenkonferenz und ist schon seit Jahren am Thema dran. Diese Strukturen gebe es im Thurgau nicht, sagt Röösli.
«Ich habe das Gefühl, Inklusion, Strukturen und institutionelle Gefässe sind hier noch nicht so weit wie in anderen Regionen. Um es prägnant auszudrücken: der Thurgau ist diesbezüglich ein noch zu beackerndes Feld.»
Kanton Zürich als gutes Beispiel
Doch woran liegt dieses Hinterwäldlertum beim Thema Inklusion? Röösli vermutete dahinter die politische Prägung. «Der Thurgau ist sehr ländlich, mit traditionellen Mustern.» Wirtschaft und Familie hätten einen hohen Stellenwert. Demgegenüber habe der Sozialbereich nicht dieselbe Bedeutung. Als konkretes Beispiel nennt Röösli das kantonale Departement Finanzen und Soziales. Ein Departement, welches für die Finanzen und zugleich für das Soziale zuständig ist, kenne sie in dieser Kombination nicht. «Das gibt schon gewisse Reibungspunkte.» Eigentlich sollte der Inhalt die Finanzen steuern und nicht umgekehrt, wie sie es häufig beim Thema Inklusion erlebe.
Es gebe zwar viele einzelne Institutionen mit starken Angeboten, aber der Kanton präsentiere sich eher verhalten. «Ein starkes Zeichen des Kantons wäre, wenn dieser beispielsweise systematisch die Umsetzung der UNO-Behindertenrechtkonvention angehen oder wenn dieser nur schon die Schaffung einer Behindertenkonferenz mit dem Zusammenführen der Anspruchsgruppen und als Ansprechstelle auch für den Kanton unterstützen würde, wie letzteres gerade der Kanton Schaffhausen gemacht hat», findet Jutta Röösli. Sie verweist hier zudem auf den Kanton Zürich, welcher in diesem Frühling das «wegweisende und national beachtete Selbstbestimmungsgesetz für Menschen mit Behinderungen beschlossen hat. Und nebenbei bemerkt, hat der Kanton Zürich den Einbezug der vorhandenen Behindertenkonferenz und von Betroffenen massgeblich ausgestaltet.».
Was Kultur inklusiv Ostschweiz betrifft, soll es im September zu einer Vereinsgründung kommen. «Dazu würde ich gerne den Thurgau mit reinholen», sagt Jutta Röösli. Darum werde sie in den kommendenTagen mit Markus Böni zusammen gezielt Institutionen und Kulturschaffende anschreiben. Bei der Vereinsgründung will Pro Infirmis Starthilfe geben: «Wir unterstützen anfangs mit personellen und bei Bedarf mit finanzielleen Ressourcen. Nach einer Zeit sollte der Verein dann aber selbst laufen.»
Von Judith Schuck
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