von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 27.10.2016
Lob eines Linientreuen
Der mit 20 000 Franken dotierte Kulturpreis des Thurgau wurde im Kunstmuseum in der Kartause Ittingen am Mittwochabend feierlich an den Müllheimer Künstler Christoph Rütimann vergeben. Seit 17 Jahren lebt der vielfach begabte Künstler im Thurgau.
Am Ende wollte Christoph Rütimann dann einfach nur noch feiern. Auf die Bitte nach einem kurzen Video-Interview, sagte er, "aber nur, wenn es schnell geht". Durchaus verständlich, waren an diesem Abend doch viele Freunde und Wegbegleiter seinetwegen in die Kartause Ittingen gekommen, um seiner Auszeichnung beizuwohnen und ihn endlich mal wieder zu sehen.
Ausserdem hatte er da schon eine rund 90-minütige Dauerwürdigung seines Werkes erfahren, die dem bescheidenen 61-Jährigen in ihrer Dichte schon fast wieder ein bisschen peinlich war. Rütimann ist kein Mensch, der besonders gerne, besonders lange im Rampenlicht steht. Tatsächlich dürfte es aber auch für ihn in weiten Teilen ein sehr schöner und berührender Abend gewesen sein. "Dass so viele liebe Menschen meinetwegen hierher gekommen sind, freut mich unglaublich", sagt er noch im Gespräch mit thurgaukultur.
Originalton (1): Christoph Rütimann direkt nach der Preisverleihung
Regierungspräsidentin Monika Knill lobte das vielfältige Schaffen von Christoph Rütimann und nutzte die Gelegenheit aber auch zu einer eigenen Positionierung in Sachen Thurgauer Museumslandschaft. "Museen", erklärte Knill, "haben auch den Auftrag, Werke zu erhalten, in die Sammlung aufzunehmen und das Wissen dazu zu sichern. Der Kanton will die Stellung der kantonalen Museen deshalb weiter stärken. Ziel ist die bessere Positionierung der Museen als bedeutende Erlebnis-, Bildungs-, und Erfahrungsorte in einer grösseren Region. Den Museen soll damit zu mehr Sichtbarkeit verholfen werden."
Diese Worte waren natürlich mit Bedacht in diesen Kontext gesetzt. Schliesslich hatte sich der Ausgezeichnete selbst intensiv mit der Beziehung zwischen Künstler und Museum auseinander gesetzt, hat Abhängigkeiten benannt und die Rolle beziehungsweise die Macht von Museumsdirektoren auch schon mal kritisch gesehen.
Im Zentrum des Abends aber stand die Laudatio von Beat Wismer, einem langjährigen künstlerischen Weggefährten von Christoph Rütimann und heutigem Generaldirektor der Stiftung Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Er freute sich nicht nur, die Laudatio halten zu dürfen: "Vor allem freuen wir uns, dass Christoph Rütimann für seine nun 40 Jahre andauernde permanente Auseinandersetzung mit der Kunst geehrt wird – nein, die Formulierung ist falsch: für seine andauernde Auseinandersetzung als Künstler mit der Wirklichkeit, die natürlich wiederum von der Auseinandersetzung mit der Kunst nicht zu trennen ist." Zum Schluss bemerkte er: "Vor allem danke ich ihm, dass er uns mit all seinem Tun seit nunmehr über 35 Jahren keine Ruhe lässt und unsere vorgefasste Meinung immer wieder irritiert und kontaminiert und also herausfordert."
Originalton (3): Laudator Beat Wismer erklärt, warum Christoph Rütimann den Kulturpreis verdient hat
Die bemerkenswerte Laudatio enthielt etliche Sätze, die man sogleich beim Hören unterstreichen wollte: Ohne Rütimanns Faible für die Linie totzureiten, gelang es Wismer doch dieses zentrale Element seines Schaffens zu erläutern. Geduldig und messerscharf schälte er Rütimanns Position im Kunstbetrieb heraus: "Der Künstler als Landvermesser, der unsere Position mit seinen schiefen Ebenen und mit seinen zu Skulpturen aufgeschichteten Waagen, die Sockel ebenso wie Skulptur sein können, ins Wanken und aus dem Lot bringt: auf dass wir uns nicht in falscher Sicherheit wähnen."
Der so Gelobte genoss den Abend in der ersten Reihe und liess seine Kunst für sich sprechen. Bei einer Klang-Performance gemeinsam mit dem Trio Kimmig-Studer-Zimmerlin zeigte er dem staunenden Publikum noch einmal, wie man Kakteen zum Singen bringt.
Originalton (3): Christoph Rütimann und die klingenden Kakteen
Zuvor hatte noch ein Überraschungsgast seinen kleinen Auftritt: Peter Schweiger, Regisseur, Schauspieler und früherer Schauspieldirektor der Theater am Neumarkt Zürich und St. Gallen, erwies dem ausgezeichneten Künstler Rütimann einige literarische Ehren.
Ansonsten? Was wird von diesem Abend bleiben? Vor allem wohl die Erkenntnis, dass es in der Schweiz nach wie vor ein hochinteressiertes Publikum für Kunst jeglicher Art gibt. Auch etwas sperrige Herangehensweisen, die sich nicht auf den ersten Blick erschliessen, wie viele Arbeiten des Preisträgers Rütimann, erhalten ihre Würdigung. Was für eine beruhigende Botschaft.
Videobeitrag von Art-TV zum Preisträger
Mensch und Künstler
Christoph Rütimann, Bürger von Basadingen (TG) und Zürich, ist 1955 in Zürich geboren und im bündnerischen Schiers aufgewachsen. Nach dem Primarlehrerpatent besuchte er von 1976 bis 1980 die Schule für Gestaltung in Luzern, die er mit dem Diplom als Zeichenlehrer abschloss. Bis 1999 in Luzern wohnhaft, zog er mit seiner Lebenspartnerin, der Schriftstellerin Zsuzsanna Gahse, nach Müllheim, wo er seither lebt und arbeitet. Seit 1981 ist er regelmässig an Ausstellungen und Performances im In- und Ausland präsent. 1993 vertrat Christoph Rütimann die Schweiz an der 45. Biennale di Venezia. 2007/2008 zeigten das Kunstmuseum St. Gallen, das Kunstmuseum Bonn und das Kunstmuseum Thurgau eine umfassende Retrospektive. Wichtige Museumsausstellungen fanden 2012 im Kunsthaus Zug und 2016 im Kunstmuseum Solothurn statt. Für sein Werk erhielt Christoph Rütimann diverse Auszeichnungen, unter anderem 1989 und 1992 das Eidgenössische Kunststipendium, 1990 den Nordmann-Kunstpreis, Luzern (heute: Manor-Kunstpreis), 1995 den Eidgenössischen Preis für freie Kunst, 2004 den Internationalen Kunstpreis des Landes Vorarlberg, 2005 einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau, 2007 den Kunst- und Kulturpreis der Stadt Luzern und 2012 den Straubenzeller Kulturpreis St. Gallen. Werke von Christoph Rütimann finden sich in zahlreichen öffentlichen und privaten Kunstsammlungen, von den Kunstmuseen St. Gallen, Winterthur, Luzern bis zum Kunsthaus Zürich.
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