von Inka Grabowsky, 27.02.2023
Monumentale Messe im März
Der Oratorienchor Kreuzlingen hat sich eine grosse Aufgabe gestellt. Schuberts Messe in Es-Dur besteht aus rund einer Stunde pausenloser Chormusik – eine Herausforderung für die ambitionierten Amateure. Bis zur Aufführung am 19. März müssen sie noch ein paar Kanten abschleifen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Das Kyrie jubelt aus gut vierzig Kehlen und füllt den Probenraum im Kreuzlinger Pestalozzi-Schulhaus. Doch der Dirigent ist noch nicht zufrieden. «Erstens: Schaut nicht in die Noten! Ihr kennt sie doch, schaut auf mich und eure Nachbarn. Verbindet euch! Und zweitens: Achtet auf die Atembögen. Markiert euch, wo ihr Luft holen könnt.“
Christian Bielefeldt lässt die Amateure des Kreuzlinger Oratorienchors die Passage noch einmal anstimmen – diesmal ohne Atmer, dafür mit einem gleichmässigen Crescendo. «Es beginnt jetzt schön zu wirken», sagt der Leiter schliesslich. Und er erklärt, wie man für das Schubert-typische Zittern in der Lautstärkesteigerung die Stimme zurücknimmt, damit man nicht wirkt wie ein Heldentenor.
Die Probe läuft nicht ohne Gelächter ab, obwohl alle Beteiligten ihre Aufgabe sehr ernst nehmen. Gerade hat Christian Bielefeldt erklärt, wo die Sänger das Piano halten müssen, ohne automatisch lauter zu werden. «Wenn ich Schubert gewesen wäre, dann hätte ich das bestimmt auch so geschrieben», sagt er – und alle prusten los.
Der Chor in der Hauptrolle
Unzählige Übungsstunden liegen schon hinter den Sängerinnen und Sängern des Oratorienchors, aber einige liegen noch vor ihnen bis zum Konzert am 19. März in St. Stefan. «Sie müssen viel lernen», sagt Christian Bielefeldt. «Es ist fast eine Stunde Chormusik, die Solostimmen sind wie Einschübe darin eingebettet.»
Die Mitwirkenden müssen also pausenlos konzentriert sein, und trotzdem – oder gerade deshalb – sind sie mit grosser Begeisterung dabei. Fünf Profi-Solisten werden den Chor beim Konzert unterstützen. Das ist ungewöhnlich für eine Messe, normalerweise kommt man mit je einem Sopran, Alt, Tenor und Bass aus, doch Schubert sah zwei Tenöre vor.
«Ich kenne unsere Solisten alle schon länger», so Bielefeldt. «Zwei waren meine Schülerinnen und studieren jetzt an der ZHdK.» Die jugendlichen Stimmen gäben eine schöne zusätzliche Farbe. «Der Chor selbst ist ja nicht mehr der Jüngste.»
Bürgerliche Emanzipation in der Instrumentierung
Die Konzertmeisterin des Schaffhauser Barockensembles, das für das Konzert engagiert wurde, arbeitet ebenfalls schon lange mit Bielefeldt zusammen. «Das Orchester ist deshalb ideal, weil es nicht nur mit barocken, sondern auch klassischen Instrumenten spielt. Das ist für dieses Werk von entscheidender Bedeutung.»
Neben den üblichen Streichern stehen Oboen, Klarinetten, Fagotte sowie Trompeten, Hörner, Posaunen und Pauken auf Schuberts Besetzungsliste. «Bezeichnend ist, dass es keine Orgel gibt», sagt der Musikwissenschaftler. «Schubert hat die Messe nicht für die Aufführung in einer Kirche komponiert, sondern für einen Konzertsaal.»
Sie sei damit ein Beitrag zur Emanzipation des Bürgertums von Hof und Kirche. Das ist mit ein Grund dafür, dass Bielefeldt die Messe in Es-Dur so sehr mag. «Das Stück wird zu selten in der Schweiz aufgeführt, dabei ist es einfach sagenhaft.»
«Man wächst an einem solchen Stück.»
Christian Bielefeldt, Dirigent des Oratorienchores.
Für die Zuhörer verspricht die Messe ein Genuss zu werden, für die Sängerinnen und Sänger bedeutet sie harte Arbeit: «Sie ist an der Schwelle der Laienmusik», erklärt Bielefeldt. «Damit passt sie perfekt zum Kreuzlinger Oratorienchor.»
Nur kurz hatte er überlegt, die extrem langen Fugen am Ende des Werks zu kürzen, aber inzwischen habe sich herausgestellt, dass der Chor sie gut bewältigen könne. Die Chormitglieder hätten mit einer Mischung aus Scheu und Stolz auf seine Auswahl reagiert, meint der Leiter: «Man wächst ja an einem solchen Stück.»
Erst seit vier Jahren singt Elias Vierneisel im Chor, nach eigener Einschätzung ist er damit einer der eher Unerfahrenen. «Die Stücke, die wir aufführen, waren für mich bisher immer unbekannt. Das gilt genauso für die Schubert-Messe. Aber wenn wir sie dann zusammen singen, macht es mir immer grosse Freude.» So sieht das auch Chorsängerin Ambrosia Weisser: «Wir vertrauen unseren Dirigenten, und ich finde die Messe wirklich spannend.»
Schwierig zu finanzieren
Schlucken musste Doris Kradolfer, die Präsidentin und Finanz-Verantwortliche des Chores, als Christian Bielefeldt die Messe vorschlug. Allerdings nicht aus künstlerischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen: «Das Orchester kostet uns 18.500 Franken, jeder Solist noch einmal rund tausend Franken. Das ist schwer zu stemmen, zumal zwei langjährige Sponsoren sich zurückgezogen haben und wir im vergangenen Jahr ein Minus bei den Einnahmen verzeichnen mussten.»
In den Nachwehen der Pandemie habe die Auslastung nur bei 50 Prozent gelegen, so die Präsidentin. „Wir werden auf jeden Fall beim Herbstkonzert etwas sparen müssen. Wir verzichten da auf eine Orchesterbegleitung. Aber der Pianist Benjamin Engeli hat für den Auftritt im September erfreulicherweise zugesagt.»
Ausserdem beteiligt sich der Oratorienchor Kreuzlingen an der Aktion «Support culture» von Migros. Je mehr Konsumenten ihm ihre Stimm-Bons zuteilen, desto grösster wird das Stück aus dem Sponsoring-Kuchen des Grossverteilers.
Tickets für das Konzert
Messe in Es-Dur von Franz Schubert
Sonntag, 19. März 2023 um 17 Uhr in St. Stefan in Kreuzlingen
mit dem Oratorienchor Kreuzlingen
den Solisten
Antonia Exter, Sopran
Johanna Rademacher, Alt
Davud Werner, Tenor
Kilian Brandscherdt, Tenor
Sascha Litschi, Bass
und dem Schaffhauser Barockensemble
Leitung: Christian Bielefeldt
Karten kosten 45 – 50 Franken
Es gibt sie über die Website des Chores und im Vorverkauf in der Buchhandlung Bodan in Kreuzlingen.
Von Inka Grabowsky
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