von Brigitte Elsner-Heller, 29.09.2020
Spiel um tödlichen Ernst
«Generation Extinction» sorgt als zweite Premiere des Auftakt-Wochenendes am Theater Konstanz zwar für frischen Wind, wirkt allerdings in seiner inneren Logik unausgegoren. Das „immersive Theaterprojekt“, früher schlicht als Schnitzeljagd bezeichnet, macht Spass, bietet aber zu einfache – wenn nicht sogar falsche – Antworten auf zu schwierige Fragen an.
Die zweite Premiere des Auftaktwochenendes ist eine Uraufführung, die Theater anders verortet als gewohnt. Was „einst“ als interaktives Theater begann (das Publikum durfte damals auf einmal Bälle werfen!), trägt heute das Attribut „immersiv“ und spiegelt die Veränderung der Medien und ihrer Nutzung wider. Bei „Generation Extinction“, dem Theaterprojekt von Philipp J. Ehmann, gibt es kein Publikum mehr, sondern Mitspieler, die sich auf die Spuren von Miriam begeben.
Die ist nämlich verschwunden, setzt einen Hilferuf ab. Gruppenweise machen sich die Mitspieler, die dafür aber schon noch eine Eintrittskarte brauchen, auf die Suche nach ihr, erkunden dabei nicht nur die Lebensumstände der jungen Frau, sondern stossen auch auf ihr politisches Engagement als Umweltaktivistin.
Kritische Vorbemerkungen gefragt?
„Die drei???“ auf Konstanz-Tour? Nein, diese Aussage wäre vermessen, zumal die Detektive wohl eher als lustige Retro-Unterhaltung die Millennials ansprechen (also die zwischen 1980 und 1999 Geborenen) als die „Generation Z“, die danach Geborenen, die heute als Klimaaktivisten, gut vernetzt und medientechnisch erfahren, in Erscheinung treten. Während die Millennials sich um den Berufseinstieg Sorgen machten und zwischen den Praktikumsstellen vielleicht vom eigenen Haus zu träumen begannen, politisieren sich die „Nachgeborenen“ nun deutlich angesichts der spürbar werdenden Folgen des Klimawandels.
Wobei daran erinnert werden darf, dass es auch Ende der Sechziger und in den Siebzigerjahren eine deutliche Politisierung – auch im Bereich Klima – gab. Es gab den Bericht des Club of Rome, Demos gegen Atomkraftwerke und Endlagerstätten, den sauren Regen als Ergebnis der „Politik der hohen Schornsteine“. Nur, dass die Klimakatastrophe noch nicht so sichtbar war. Und die mediale Struktur noch eine ganz andere. Wen hätte es 1970 interessiert, dass ein Mädchen aus Protest nicht mehr in die Schule geht? Wie hätte die Nachricht überhaupt um den Globus laufen können? Und steht hinter Greta Thunberg nicht auch ein gut funktionierender PR-Apparat?
Dann also los
Also „Generation Extinction“. Wer schon einiges an Leben gelebt hat, mag dem Projekt kritischer gegenüberstehen, selbst wenn das Thema der Auslöschung der Biosphäre fraglos unter den Nägeln brennt. Dabei ist es ein interessanter Ansatz, aus den bekannten Theatersphären auszubrechen, die zum Teil immer noch als verkrustet gelten dürfen. Von daher ist es erfreulich, dass die neue Intendantin Karin Becker Sauerstoff ins System pumpt.
Was erschreckt, ist allerdings die Selbstgerechtigkeit, mit der die – unsichtbar bleibende – Spielfigur Miriam, die die Mitspieler immerhin einmal ans Telefon bekommen, sich im Theaterprojekt Philipp J. Ehmanns dem Problem nähert. Sie radikalisiert sich, und während der unterschiedlichen Spielzüge an unterschiedlichen Orten geraten die Mitspieler in die Situation, sie bei Anschlagsvorbereitungen zu unterstützen.
Ob man der „Spielanweisung“, sich dabei zwischen drei Anschlagszielen zu entscheiden, hätte entziehen sollen oder sogar müssen? In dem fiktiven und doch konkreten Gespräch mit Miriams Mutter (die Schauspielerin Sabine Martin ist aus dem Irgendwo live zugeschaltet, Miriam wird von Sarah Siri Lee König aus dem Off gesprochen) wird genau das thematisiert. Und die Mitspieler, mitgerissen vom Spiel, zeigen sich schon ein wenig betreten.
Fiktional heisst nicht: unlogisch
Die innere Logik bleibt trotzdem durch die verführerische Konzentration auf den Aspekt des Spiels auf der Strecke, oder man muss den Hilferuf Miriams zur blossen Finte deklarieren. Welche Umweltaktivistin würde denn die Wasserversorgung attackieren und Menschen vergiften wollen? Und wenn sich am Ende Miriam verabschiedet hat, die Welt auf der Werkstattbühne als vermülltes Paradies präsentiert wird, geraten die Zettel, die den unbedingten Party-Willen einer überhitzten Menschheit implizit anprangern, ein Stück weit zur Farce. Beleuchtung und Soundtrack verführen am Ende dazu, die Apokalypse einfach mitzufeiern.
Die per Video eingespielte Rede der damals 12-jährigen Severn Suzuki, die schon 1992 auf der UN-Umweltkonferenz von Rio für die Umweltorganisation ECO sprach (Environmental Children's Organization), ist da bereits ebenso ausgeblendet wie Greta Thunbergs bekanntes „How dare you!“.
Emotionen können auch blind machen
Severn Suzuki hatte 1992 noch gesagt: „In my anger I' m not blind“. Oder um dies weiter zu spinnen: Es ist bitter nötig, die Welt mehr auf kühlen, analytischen Verstand hin einzuschwören und dem dann auch politisch Nachdruck zu verschaffen. „Extinction“ betrifft nämlich längst die gesamte Biosphäre, nicht nur eine Generation der Menschheit.
Video: Severn Suzuki, eine Vorgängerin von Greta Thunberg
Weitere Aufführungen von «Generation Extinction»
29./30. September, 1./2./6./7./8./9. und 10. Oktober. Alle Termine und Tickets im Überblick gibt es auf der Internetseite des Theaters.
Eine Besprechung der zweiten Auftaktpremiere «Jeder stirbt für sich allein», könnt ihr hier lesen.
Ein Porträt der neuen Intendantin Karin Becker findet ihr hier: «Die Teamspielerin»
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