von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 14.01.2017
Splish! Splash! Shakespeare!
Ist es ernsthaft möglich einen Badetempel zu einem Theater zu machen? Es ist. Das beweist die gemeinsame Produktion „LIEBE MACHT NASS" vom Theater der Hochschule Konstanz und der Südwestdeutschen Philharmonie. Dreimal spielte das Ensemble vor ausverkauftem und schwitzendem Publikum bei 35 Grad. Celsius.
Popularität wird im Showgeschäft gerne auch daran gemessen, wie schnell bestimmte Aufführungen ausverkauft sind. Keine Tournee von Rolling Stones, Rammstein oder Depeche Mode, die ohne den Hinweis auskäme, wie irrsinnig schnell nun wieder die Tickets verkauft worden sind. Nimmt man das tatsächlich zum Massstab für Beliebtheit, dann zählt die Produktion „LIEBE MACHT NASS" von Südwestdeutscher Philharmonie und dem Theater der Hochschule Konstanz wohl zu einer der begehrtesten Veranstaltungen der jüngeren Vergangenheit. Innerhalb weniger Tage waren fast alle Karten für die nur drei Aufführungen dieses irrsinnigen Projektes verkauft.
Das hat wahrscheinlich sehr viel mit dieser betörenden Verrücktheit des gesamten Vorhabens zu tun. Wer käme schon bei Sinnen auf die Idee ein philharmonisches Konzert mit sensiblen Instrumenten im subtropischen Klima einer Therme aufzuführen? Und das Ganze noch um die Interpretation eines Shakespeare-Klassikers durch ein Studententheater an, um und in den Badebecken der Konstanzer Bodenseetherme zu erweitern? Der Aufwand aus dieser gewagten und verführerischen Idee Realität werden zu lassen war jedenfalls immens. Für alle Beteiligten.
Dann kommt man an einem Freitagabend in dieses Thermaltheater. Lufttemperatur mindestens 35 Grad Celsius, Luftfeuchtigkeit sehr tropisch. Und rund 400 Zuschauer drängen sich um die nasse Bühne namens Schwimmbad. Einige sitzen wie die Lemminge am Rand des Beckens und warten auf den Sprung der Anderen. Der Schauspieler. Der Musiker. Der Sänger und Sängerinnen.
Bilder von poetischer Kraft: Julia im Dialog mit ihrer Mutter - getragen von menschlichen Flössen. Bild: Ilja Mess/Theater der Hochschule Konstanz
Noch eine kurze Durchsage. Dann beginnt das Spiel. Romeo und Julia also. Beziehungsweise wie es hier nun heisst „LIEBE MACHT NASS". Aus dem bitterernsten Familienstreit der Montagues und Capulets wird hier das Ringen zweier Konstanzer Familien. Hier die Amanns. Dort die Moosbrugger. Statt um Liebe, Ehre, Moral gehen sie sich wegen des Bau eines Konzerthauses an die Gurgel. Zumindest vordergründig geht es um dieses sehr lokale Konstanzer Thema.
Als Zuschauer findet man sich zunächst auf einer PR-Benefizgala der Amanns für den Konzerthausbau wieder. Durch diesen Bau solle Konstanz wieder „great" gemacht werden, so der Slogan der Familie. Diese Werbeveranstaltung ist allerdings nur von kurzer Dauer - dann stürmen die Moosbrugger die Bühne. Eine Bande wildgewordener Häuslebauer, die statt eines Konzerthauses lieber viele neue Wohnungen bauen wollen, um des eigenen Profit willen.
Schon dieses erste Aufeinandertreffen macht deutlich wohin die Reise in den kommenden rund 75 Minuten gehen wird. Irgendwas zwischen Parodie, Hommage und Tragödie. Shakespeare wird lokal herunter gebrochen und es ist eigentlich ein Wunder, dass das am Ende wirklich gut geht. Der vorgegebene Ton der ersten Szenen: herrlich komisch bis albern. Wie die beiden Familien mit ihren Gummischwimmtieren und den Badenudeln aufeinander eindreschen, das hat durchaus Monty-Pythonsche-Komik-Qualität.
Natürlich verlässt die Geschichte irgendwann den engen Konstanzer Blick. Spätestens als die Liebe zwischen Roman, so heisst der Romeo hier, und Julia ins Zentrum rückt, geht der Himmel auf und es geht längst um mehr als um den Bau irgendeines Gebäudes. In diesen Momenten ist es die klassische Geschichte - sie sehen sich, lernen sich kennen, verlieben sich und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Am Ende sind auch hier Roman und Julia tot. So wie Shakespeare es wollte.
"Fickt Euch! Ich bring mich um!": Julias letzte Botschaft sollte eigentlich nur ein Täuschungsmanöver sein. Sollte. Am Ende schwimmt auch sie oben an der Wasseroberfläche. Wie es Shakespeare wollte. Bild: Ilja Mess
Puristen mögen nun sagen: Eine solche Produktion in einer Therme bedient doch nur den Eventhunger der Massen und die Kultur ist nur noch schmückendes Beiwerk. Jaja, kann man sagen. Im konkreten Fall ginge diese Kritik aber am Ziel vorbei. Die Inszenierung ist für sich so stark, dass sie sich gegen diesen wirkmächtigen Ort behaupten kann. Das hat vor allem drei Gründe. Erstens: Das Konzept. Der Textfassung von Felix Strasser und Fridolin Weiner gelingt etwas ziemlich Verblüffendes: Sie ist einerseits sehr konkret, sehr lokal, was eine leichte Anbindung an das Konstanzer Publikum schafft. Und andererseits bricht sie doch immer wieder aus diesem engen Rahmen aus und öffnet den Horizont für die eigentlichen und universalen Gedanken, die der britische Dichter in seinem Stück verankert hatte.
Zum Konzept gehört auch, dass Projektleiter und Regisseur Felix Strasser einige sehr schöne Bilder für den Stoff kreiert hat. Herausragend dabei der Dialog zwischen Julia (Julia Ebner) und ihrer Mutter (Sandra Rudolph). Während sie über Liebe, Ehre und Verantwortung für die Familie streiten, werden sie im Wasser getragen von Flössen aus Menschen. So treiben sie hin und her und umeinander herum. Ein Sinnbild für das tänzerische Ringen der beiden Frauen von enormer poetischer Kraft.
Zweitens: Das Ensemble. Es ist vielleicht ungerecht, immer wieder zu betonen, dass es sich bei den Darstellern um Studenten handelt. Aber man muss das tun, um diese unglaubliche Leistung der Gruppe wirklich würdigen zu können. Vornweg Roman (Stefan Topf) und Julia (Julia Ebner). Sie verkörpern eher ein modernes Paar. Er Typ verliebter Trottel - immer mit Schwimmflügeln unterwegs. Sie eher die toughe, aktivere und fordernde von beiden. Ihr Zusammenspiel ist überzeugend. Herrlich komisch der über Videoleinwand eingespielte Dialog zum Liebesschwur der beiden (Julia zu Roman: „Nimm diese Ente als Zeichen meiner Liebe") an der Wasserrutsche. Sie steht oben, er versucht verzweifelt über die Rutsche zu ihr zu gelangen und stolpert wortwörtlich von einer Verlegenheit in die andere. Das ist zwar bisweilen Mr-Bean-Komik. Aber komisch bleibt es dennoch.
Das Ganze funktioniert vor allem als Gesamtkunstwerk
Erwähnen muss man auch Mela Breucker, die als Amy mit ihren Gesangpartien Erstaunliches leistet. Ihre Interpretation des Songs „Rettet die Wale" der Wiener Band Gustav wird dem irritierenden Original (eine Strophe lautet: „Bittet selten um Verzeihung, und füttert Tauben im Park, und lasst den Kindern ihre Meinung, oder treibt sie früher ab") sehr gerecht. Bemerkenswert auch der selbst geschriebene Rapsong von Fabian Greiner an Romans Grab. Aber wie gesagt - das Ganze ist vor allem eine Ensembleleistung und lebt sehr von der Energie, die diese zufällig zusammengewürfelte Truppe da auf die rutschige Bühne bringt
Drittens: Das Gesamtkunstwerk. Vielleicht ist das der wichtigste Punkt und die grösste Leistung des Projekts. Alles fügt sich harmonisch ineinander. Schauspiel. Orchester. Chor. Erst alle Künste zusammen machen die Aufführung zu einem Ereignis. Liesse man nur ein Element davon aussen vor, alles käme ins Rutschen und verlöre an Wucht. Ohne Tschaikowsky, Grieg und Dvorak verblasste die Wirkung. Und das obwohl die Akustik in einer verglasten und sehr feuchten Therme ist, wie sie nun mal ist. Dass sich Orchester (Südwestdeutsche Philharmonie) und Sänger (Vokalensemble Konstanz), beides dirigiert von Steffen Schreyer, trotzdem auf dieses Tropen-Abenteuer eingelassen haben verdient grössten Respekt.
Für die Philharmonie ist das Projekt auch ein Instrument der Imagepflege
Wer sich fragt, warum vor allem die Südwestdeutsche Philharmonie sich beteiligt hat, der muss wissen, dass das vor allem aus zwei Gründen geschieht. Aus innerer Überzeugung des Intendanten Beat Fehlmann, dass nur eine Öffnung in Richtung neue Publikumsschichten dauerhaft den Fortbestand eines philharmonischen Orchesters sichern kann. Einerseits. Aber natürlich ist das andererseits auch ein Stück Imagearbeit, die das Orchester hier vornimmt. Auf solch sympathische Weise für sich zu werben, könnte, so denn jemals wieder wirklich und ernsthaft ein Konzerthausbau in Konstanz Thema werden würde, am Ende von Vorteil sein.
„LIEBE MACHT NASS" kam beim Publikum am Freitagabend jedenfalls glänzend an. Minutenlanger Applaus kam auch von jenen, die fast 75 Minuten im warmen Thermalwasser standen und nun doch etwas mitgenommen aussahen. Die Frage ist jetzt bloss - was kommt danach? Wer die beiden Väter des Projektes, Beat Fehlmann und Felix Strasser, kennt, der ahnt, dass dies noch nicht das Ende ihrer Zusammenarbeit sein wird. An Irrsinn wird alles Weitere das diesjährige Projekt kaum überbieten können. Ganz gleich was kommt, die Eintrittskarten werden sicher wieder schnell vergriffen sein. Die Macher haben nämlich schon jetzt etwas geschafft, um was sie viele Kollegen beneiden werden - ihre gemeinsamen Produktionen sind nach drei Kooperationen zur Marke geworden, die Neugierde weckt. Das muss ihnen erstmal jemand nachmachen.
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