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Stiller Rebell

Stiller Rebell
Gleichmass und Üben statt Spektakel und Abwechslung: Der Thurgauer Künstler Daniel Gallmann widersetzt sich den gängigen Erwartungen des Kunstbetriebs. | © Michael Lünstroth

Seit Jahrzehnten malt Daniel Gallmann immer wieder die zwei gleichen Motive: eine Landschaftsdarstellung und ein Figurensensemble. Das ist seine Form des Protestes gegen das System. Zu Besuch bei einem Überzeugungstäter

Von Michael Lünstroth

Manchmal fühlt sich Daniel Gallmann schon ein bisschen wie Sisyphos. Nicht, dass er wirklich einen schweren Stein von seinem Atelier in Oberbussnang rauf nach Weinfelden rollen würde, aber auch sein Schaffen ist geprägt vom ständigen Wechsel zwischen Neuanfang und Vollendung des immer Gleichen. Man könnte auch sagen, sein Werk ist eine einzige Wiederholung. Daniel Gallmann ist Künstler. Seit mehr als 30 Jahren malt er immer wieder die zwei gleichen Motive: eine Landschaftsdarstellung und ein Figurenensemble. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr. 2476 Einzelbilder hat er auf diese Weise seit 1983 geschaffen. Die Frage, die sich da aufdrängt, lautet: Warum macht der das? Was treibt einen Menschen dazu an, immer wieder das Gleiche zu tun? Die Antwort darauf klingt wie die Einleitung zu einem Manifest: „Der Forderung nach immer neuen kreativen Hervorbringungen setze ich das immer Gleiche und immer schon Dagewesene entgegen, man muss sich widersetzen. Wir können auf dem bisherigen Weg nicht zu uns selbst finden“, sagt Daniel Gallmann, wenn man ihn nach dem Warum fragt. 

Seine Arbeit ist für ihn Protest, Rebellion, Widerstand gegen all das, was ihn am Kunstbetrieb anekelt: Die Kommerzialisierung. Die Degradierung zur Unterhaltungssparte. Die Fortschrittsgläubigkeit. Die Eventisierung. „Der Forderung nach Spektakel und Abwechslung setze ich das Gleichmass und das Üben entgegen. Man muss das Gegenteil von dem machen, was gefordert wird. Weil wir doch inzwischen wissen, dass wir schon längst das Paradies auf Erden installiert hätten, wenn wir mit unserer Leitidee des immer weiter, höher, schneller erfolgreich wären.“ Das hat Daniel Gallmann schon 2012 geschrieben. Sein Protest gegen das System ist also keine spontane Reaktion auf die absurd hohen Summen, die einige Kunstwerke bei Auktionen im vergangenen Jahr erzielt haben. Sein Protest ist eine grundlegende Haltung. Mit dieser konsequenten Haltung ist Gallmann zu einer der interessantesten Künstlerpersönlichkeiten in der ganzen Ostschweiz geworden. Stellt sich nur die Frage: Kann man als Künstler mit dieser Haltung überleben?

Die Gier nach immer Neuem kann und will er nicht bedienen

Die ehrliche Antwort ist: Man muss sich diese Haltung auch leisten können. Daniel Gallmann kann es, weil er von seiner Kunst nicht leben muss. Seine Frau verdient als Lehrerin den Lebensunterhalt der Familie. „Galeristen haben immer die Nase gerümpft bei meiner Arbeit, ich wurde oft behandelt als hätte ich eine ansteckende Krankheit“, sagt Gallmann. Auf dem Kunstmarkt kann man nicht bestehen, wenn man immer dasselbe macht. Aber die Gier nach immer Neuem wollte er nicht bedienen. „Es kam mir nicht ehrlich vor, immer etwas Neues zu machen“, sagt der 58-Jährige. Aufgehört hat er trotz der Ablehnung nicht. Es gab für ihn auch keine Alternative. „Wenn ich meine Arbeit nicht mache, geht es mir auch nicht besser, dann zweifle ich“, sagt er. 

Dass Daniel Gallmann überhaupt in der Kunst gelandet ist, hat auch viel mit seiner Persönlichkeit zu tun. „Als junger Mensch war ich auf der Suche. Ich hatte keine Freude am Konsum, ging nicht auf in der so genannten ‚coolen’Welt“, erinnert sich Gallmann. Also sucht er sich die Kunst als seine Sprache aus. Er besucht die Schule für Gestaltung in Basel, 1981 geht er an die Kunstakademie Düsseldorf. Die Arbeiten von Beuys fand er inspirierend. Der war zwar nicht mehr an der Akademie als Gallmann sich dort einschreibt, trotzdem will er dort sein. Gallmann studiert bei Eugen Gomringer und Franz Eggenschwiler. Er erhält in den folgenden Jahren nach dem Studium Förder- und Anerkennungspreise, der ganz grosse Durchbruch bleibt aber aus. Seine Arbeiten fallen am Markt durch. Erst in den vergangenen fünf, sechs Jahren habe sich die Haltung ihm gegenüber etwas aufgehellt, sagt der 58-Jährige. 

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"Die Arbeiten sagen mir, wie sie sein wollen", sagt der Künstler

Das hat ihn ermutigt, weiterzumachen, nicht aufzugeben. Und so steht er nach wie vor jeden Tag am Arbeitstisch in seinem Atelier. Vor sich eine neue Serie seines Werkes. Eine Serie besteht aus 12 kachelgleichen Leinwänden. Und dann geht es los. Er malt nicht Kachel für Kachel, sondern der Zyklus entsteht eher in einer kreisenden Bewegung. Mal malt er hier, dann geht es dort weiter. Die Technik und das Material ist immer dasselbe, die Farben variieren. Der Rest entstehe intuitiv, sagt Gallmann. „Die Arbeiten sagen mir, wie sie sein wollen, sie sagen mir auch, wann sie fertig sind“, so der Künstler. Zwei bis drei Monate arbeitet er an einer neuen Serie.

Daniel Gallmann ist ein zurückhaltender Mensch. Er redet leise, über Fragen denkt er ernsthaft nach. Obwohl er schon so lange über seine Lebensthemen und sein Hadern mit dem Kunstbetrieb nachdenkt, hört man keine vorgestanzten Antworten von ihm. Daniel Gallmann ist auch keiner, der einem ständig seine Meinung unter die Nase reiben muss. Aber er ist einer, der klar seine Meinung sagt, wenn er gefragt wird. Was viele Künstler heute machen, findet er grenzwertig. Den Loop in der Kartause Ittingen vom Künstler-Duo Bildstein⎢Glatz zum Beispiel hält er für ziemlich misslungen: oberflächlich, unreflektiert, eine „Anbiederung an den Markt“, sagt Gallmann.

Nahaufnahme: Daniel Gallmanns Arbeiten waren im vergangenen Jahr auch im Kunstmuseum Thurgau zu sehen. Bild: Michael Lünstroth

Das Kunstmuseum zählt ihn zu den wichtigsten Künstlern des Kantons

Auch im Kunstmuseum Thurgau ist man im vergangenen Jahr wieder aufmerksam auf den gebürtigen Oltener geworden. 210 Gemälde aus seinem Werk wurden gezeigt. Kuratorin Stefanie Hoch sagt, Gallmann gehöre zu den wichtigsten Künstlern im Thurgau, er nehme eine einzigartige Stellung ein. Was seine Arbeit ausmacht? „Die Vervielfältigung eines Motivs als künstlerische Strategie begann vermutlich mit Andy Warhol in der Pop Art. Daniel Gallmann kehrt diese Vervielfältigung in der Anlehnung an kommerzielle Produktionsprozesse um. Seine konzeptuelle Verweigerung führt allerdings nicht zur völligen Auflösung in die Immaterialität. Trotz der Beschränkung ist ein bildnerisches Wollen da, ein Schaffensdrang, der noch immer in einem Tafelbild resultiert. Innerhalb der selbstgewählten „Zensur“ schöpft Gallmann die kleinen Spielräume aus: Seine pastorale Landschaft und die Figurendarstellung wird durch immer neue Farbkombinationen in einer Weise bildnerisch befragt und tiefgehend „erforscht“, wie sie nur über jahrelanges, konzentriertes Schaffen erreicht werden kann“, erklärt Stefanie Hoch. 

Darüber hinaus passe Gallmanns Werk auch gut zu dem Ort: „Sein Konzept der Askese ist an diesem Ort, dem ehemaligen Kartäuserkloster, eingebettet in einen Kontext, der das Werk in die Vergangenheit hinein erweitert. Der meditative Arbeitsprozess, der durch Reduktion, Konzentration und Wiederholung gekennzeichnet ist, hat deutliche Bezüge zum klösterlichen Leben“, so Hoch. 

Mit der Wertschätzung kommen auch die Widersprüche

Die neue Wertschätzung freut den Künstler. Sie zeigt aber auch gleichzeitig, wie schwierig es sein kann, die konsequente Verweigerungshaltung aufrecht zu erhalten. Mit der Teilnahme an einer Ausstellung in einem Museum beteiligt sich Gallmann letztlich doch an dem Kunstbetrieb, der ihm eigentlich so zuwider ist. Vielleicht dürfte es nicht mal diesen Artikel geben, wenn der Künstler seine Haltung in letzter Konsequenz auslebte. Denn dieser Text schafft Aufmerksamkeit und reproduziert so am Ende auch ein System, das Daniel Gallmann ablehnt. Er weiss natürlich um diese Widersprüche. „Als Künstler macht man die Arbeit schon für sich, aber eben nicht nur“, erklärt Gallmann. Natürlich will er wahrgenommen werden, er wünscht sich Aufmerksamkeit für sein Schaffen, für seine Kritik am irre gewordenen Kunstmarkt, für seine Haltung. Trotz all der Jahres des Schaffens im Schatten hat er nicht vergessen, dass er ja eigentlich eine Botschaft hat. Dass die Kunst sich befreien soll vom Dienstleistungsgedanken, dass sie nicht kapitalistische Muster reproduzieren soll, sondern diese hinterfragen muss, dass sie sich nicht der Unterhaltung unterordnen soll und das Künstler autonom sein müssen, um wahre Kunstwerke schaffen zu können. Man kann das alles auch nur für sich denken, aber dann ändert es eben nichts in der Gesellschaft. Und das wäre dem Anti-Kapitalisten Gallmann dann auch zu wenig. 

Bleibt am Ende noch eine Frage zu klären: Warum ausgerechnet diese beiden Motive? Warum diese Landschaft und warum dieses Figurenensemble? Das sei kein Zufall, sagt Daniel Gallmann. Beides sei eine Nachzeichnung von dem, was wir heute verloren haben. Natur, Ruhe, Beständigkeit, Gemeinschaft. So was. „Sie sind auch ein Gegenentwurf zum allgegenwärtigen Absolutsetzen von technischem Fortschritt und Markt“, erklärt der 58-Jährige. Und dann landet man doch wieder irgendwann, irgendwie bei diesem Sisyphos-Bild. Es ist ein mühsamer Kampf gegen die eingespielten Mechanismen unserer Welt. Man rollt und rollt Stein für Stein bergaufwärts und kurz vor dem Ziel rutscht einem doch wieder alles aus den Händen. Und manchmal kann man das Gefühl haben, je schneller man die Kugel den Berg hochrollt, je lauter man gegen die Zustände anschreit, um so zementierter werden sie. Als würden die bestehenden  Strukturen durch Widerstand nur noch schneller reproduziert. Daniel Gallmann schreckt das nicht ab. Er macht trotzdem weiter. Vielleicht muss man sich diesen Sisyphos nicht unbedingt als glücklichen Menschen vorstellen. Aber doch als einen ziemlich überzeugten Menschen.

 

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