von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 19.01.2018
Ist Kreuzlingen jetzt reif für ein Kulturzentrum?
Seit fast 10 Jahren denkt Kreuzlingen über die Schaffung eines Kulturzentrums nach. Das Gelände ist da, trotzdem stockt das Projekt immer wieder. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf - und alte Zweifel
Es ist nicht so, dass Simon Hungerbühler nicht ohnehin schon genug zu tun hätte. Er hat einen ausfüllenden Job bei einer Künstleragentur in Winterthur, ist Programmchef beim Theater an der Grenze in Kreuzlingen und zweifacher Vater. Klingt nicht unbedingt nach Langeweile. Und trotzdem hat sich der 40-Jährige jetzt einem Projekt verpflichtet, an dem schon andere verzweifelt sind: Hungerbühler soll Kreuzlingen ein Kulturzentrum schaffen. Seit fast zehn Jahren doktert die Stadt an dem Projekt herum, ohne wesentliche Fortschritte zu erzielen. Frage an Simon Hungerbühler: Ob er weiss, auf was er sich da eingelassen hat? „Ja, eigentlich verrückt, oder? Ich war immer einer derjenigen, die gesagt haben, das klappt nie. Als ich jetzt gefragt wurde, ob ich das Projekt begleiten wolle, konnte ich aber nicht ‚Nein‘ sagen“, erklärt Hungerbühler. Die Neugier habe ihn angetrieben. „Ich will mich selbst eines Besseren belehren und beweisen, dass es eben doch möglich ist“, so Hungerbühler.
Natürlich ist es auch die Idee selbst, die ihn gereizt hat. Es klingt ja auch zu schön: Bildende Kunst, Kino, Theater und Musik sollen eine neue zentrale Heimat in der Grenzstadt bekommen. Es soll Platz für Ateliers, Künstlerwohnungen, Proberäume, einen Konzertraum und einen multifunktionalen Theater- und Kinosaal für bis zu 200 Personen geschaffen werden. Die in der Stadt bekannten Einrichtungen Theater an der Grenze, Kunstraum und Z88 könnten hier untergebracht werden. Mit eigener Kulturbeiz und dem Ziel, dass alle beteiligten Projektpartner nicht nur ihr Programm abspulen, sondern gemeinsam auch Neues schaffen: neue Veranstaltungsformate erdenken, Grenzen sprengen und die kulturelle Kraft der Stadt zum Leuchten bringen. Den passenden Ort für all das gibt es auch schon: die Stadt hat das ehemalige Schiesser-Areal 2008 für 2,1 Millionen Franken gekauft. Alles gut also?
Die Lage des Schiesser-Areals
Zwischen Haupt- und Bodanstrasse befindet sich das Gelände. Heute sitzt dort schon der Kunstraum Kreuzlingen.
Viele Ideen, unzählige Arbeitsgruppen, aber kaum Fortschritte
Eher nicht. Die Vorgeschichte des Projektes ist dabei nur eines der Probleme. Nach dem Kauf des Areals 2008 ist erstmal lange nichts passiert. Im Frühjahr 2012 gab es dann erste zaghafte Zwischennutzungsversuche mit dem Kultur-im-Shop-Konzept. Das kam gut an. Mehr als 1000 Unterschriften wurden gesammelt für die Schaffung eines Kulturzentrums. Und dann passierte erstmal wieder: nichts. Ein Jahr später wurde eine neue Arbeitsgruppe eingesetzt, um ein Nutzungskonzept für das Areal zu erstellen. Im selben Jahr liess die Stadt eine Machbarkeitsstudie über das Gesamtareal erstellen. Und dann passiert erstmal wieder: nichts. Ja, sagt Dorena Raggenbass, zuständige Stadträtin für Kulturfragen in Kreuzlingen, es habe immer wieder bedauerliche Denkpausen bei dem Projekt gegeben. Woran das lag? „In der Politik gibt es eben auch zwei Lager zu dem Thema: Die einen, die das Kulturzentrum wollen und die anderen, die nur die Kosten sehen“, räumt Raggenbass ein.
Dabei ist nicht mal klar, wie hoch diese Kosten am Ende überhaupt sein werden. Unabhängig von einer kulturellen Nutzung des Geländes hat die Stadt bereits bauliche Investitionen von 2,7 Millionen Franken bis 2020 in den Finanzplan eingestellt. Die Kosten für die Einrichtung eines Kulturzentrums dürften sich je nach Ausbaustufe auch auf einen weiteren mittleren bis niedrigen Millionenbetrag belaufen. Ohne Volksabstimmung wird das nicht gehen. Eine Mehrheit für ein solches Projekt an der Wahlurne ist in Kreuzlingen aber derzeit nicht in Sicht.
Gefährdet die Politik der kleinen Schritte die Dynamik des Projektes?
Deshalb hat man sich jetzt erstmal für die Strategie der kleinen Schritte entschieden. Es gibt ein von Christine Forster erdachtes Grobkonzept für das Kulturzentrum, das nun dem Praxistext unterzogen wird. In zwei Räumen, auf 360 Quadratmetern, sollen die Kulturschaffenden erstmal beweisen, wie unverzichtbar das Projekt wirklich ist. „Wir wollen nichts Neues erfinden, es soll etwas Neues entstehen mit den Kulturschaffenden vor Ort“, sagt Dorena Raggenbass. Und da kommt dann wieder Simon Hungerbühler ins Spiel. Er ist der Kopf der neuen Arbeitsgruppe mit dem schönen Namen Kult-X, die die Kreuzlingerinnen und Kreuzlinger nun langsam an die Idee eines Kulturzentrums heranführen soll. Mit einem Jahresbudget von 70 000 Franken (50 000 für die Miete, 20 000 für den Betrieb) sollen Hungerbühler und seine Mitstreiter bis zu 15 Veranstaltungen pro Jahr auf die Beine stellen. Die Frage ist: Ist das realistisch? Ein Kulturzentrum aufzubauen mit einem realen Budget von 20 000 Franken? Dorena Raggenbass glaubt ja, „mit Sparsamkeit und Effizienz“ sei die Phase des Testbetriebs möglich. Simon Hungerbühler ist da etwas zurückhaltender: „Das ist nicht viel, aber wir versuchen das jetzt mal. Ich habe den Ehrgeiz, dort etwas zu bewegen“, sagt er. Theaterprojekte, Ausstellungen, Akustik-Konzerte und Kinovorführungen soll es für den Start im Programm geben. Die ersten Veranstaltungen sind bereits angelaufen. Man sei da zudem im Gespräch mit weiteren Partnern, sagt Hungerbühler. Für das Kino unter anderem mit der Konstanzer Initiative, die 2016 vergeblich gegen die Schliessung des Programmkinos Scala gekämpft hatte.
Hier könnte viel Platz für Kultur entstehen: Ansicht des Schiesser-Areals in Kreuzlingen. Bild: Stadt Kreuzlingen
Man verfolge jetzt die Strategie des langsamen, organischen Wachstums. „Ich halte das für die bessere Strategie an diesem Ort. Jedenfalls besser als mit einem grossen Knall zu starten und dann keine Luft für die weiteren Jahre zu haben“, sagt der 40-Jährige. Darin ist er sich mit der Politikerin Dorena Raggenbass einig. Auch sie sagt: „Wir machen kleine Schritte, festigen das Projekt, dann folgen weitere kleine Schritte. Für Kreuzlingen ist das der nachhaltigere Weg, allemal besser als mit einer grossen Blase zu starten, der dann schnell die Luft ausgehen könnte“, so Raggenbass. Auf die Frage, ob es nicht auch eine Gefahr sei, die Dynamik des Projektes auszubremsen mit allzu kleinen Schritten, antwortet Raggenbass, ja, das sei möglich. Es gehe darum nun die richtige Balance in der Entwicklung zu finden. „Die Kulturnutzung jetzt ist ein wichtiger Teil der Präsenz und ermöglicht die Bekanntmachung der Räume für einen möglichen späteren Ausbau“, ergänzt Raggenbass. Wie gross dieser Ausbau werden könnte, ist noch offen. Die Ideen variieren zwischen 1000 und 2000 Quadratmetern für die kulturelle Nutzung. Daneben soll es auf dem Areal aber auch in Zukunft weiterhin Platz für Gewerbe geben.
Mit dem Projekt könnte sich die Stadt neu erfinden. Das will nicht jeder
Die Vereinbarung zwischen Kult-X und der Stadt gilt zunächst mal nur für 2018. Bis zum Sommer soll ein tragfähiges Betriebskonzept feststehen und dem Gemeinderat vorgelegt werden. Erst danach wird entschieden, ob das Projekt eine Zukunft hat. Zentral dabei wird wohl die Frage sein, wer das Kulturzentrum trägt. Die Stadt? Die Vereine? Die Kulturschaffenden? Der Stadt wäre es am liebsten, sagt Dorena Raggenbass, wenn es bliebe wie es jetzt ist: Die Stadt stellt die Räume bereit und unterstützt sonst eher im Hintergrund, die inhaltliche und betriebswirtschaftliche Verantwortung soll bei den Kulturschaffenden liegen. Ob beispielsweise ein künftiger Betriebsleiter, eine Betriebsleiterin bezahlt wird, auch das muss noch geklärt werden. Vieles ist noch vage an dem Projekt, etliches soll jetzt im Echtzeitbetrieb erstmal getestet werden. Welche Räume eignen sich für welche Veranstaltungen? Welche technische Ausrüstung wird benötigt? Wie muss man die Räume umbauen für die kulturelle Nutzung? Und wie gelingt das Zusammenleben mit den Nachbarn? Für ein Projekt dieser Grösse und mit dieser potenziellen Strahlkraft für die Stadt ist derzeit noch ziemlich viel, ziemlich ungeklärt. Aber vielleicht ist das auch eine Chance. Weil man Ort und Programm so nun perfekt aufeinander abstimmen kann.
Immerhin: Es gibt zwar nicht unbedingt eine Vision, aber doch so etwas wie eine Vorstellung davon, was der Ort mal werden soll. In 10 bis 15 Jahren könne man so weit sein, dass das Kulturzentrum „ein Treffpunkt für Leute ist, an dem es ein attraktives, regelmässiges Programm gibt“, hofft Dorena Raggenbass. Proberäume wären ideal und multifunktionale Räume, die ein vielfältiges Programm ermöglichten. Und grenzüberschreitend soll es zudem sein: „Wir streben eine Zusammenarbeit mit Konstanzer Institutionen an“, sagt Raggenbass.
Für Simon Hungerbühler ist klar: „Kult-X soll eine Dynamik schaffen, um das ganze Projekt voranzutreiben und dafür zu werben.“ Dass es nicht einfach wird, weiss er selbst: „Es gibt so viele verschiedene Interessen, die berücksichtigt werden wollen. Aber ich habe Lust auf diese Aufgabe, möchte Motivator in dem Prozess sein“, erklärt Hungerbühler. Sich selbst mit seiner Arbeit jetzt als späteren Betriebsleiter des Hauses ins Spiel zu bringen, sei nicht das Ziel. Sein Ziel bei der ganzen Geschichte: „Wir wollen den Bürgern zeigen, dass ein solches Kulturzentrum einen Unterschied machen kann. Und wir wollen der Politik zeigen, was die Arbeit für ein Kulturzentrum bedeutet. Auch finanziell.“
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