von Inka Grabowsky, 27.02.2019
Die Basis von allem
Nach mehreren Ensemble-Produktionen erforscht die Performerin Micha Stuhlmann wieder einmal als Solo-Tänzerin das magische Denken und Erleben von Menschen. Premiere ist am 15. März in Kreuzlingen.
Parallel zu ihrem Ensemble-Projekt „Laboratorium für den Artenschutz“, für das sie den Förderbeitrag des Kantons bekommen hat, arbeitet Micha Stuhlmann an ihrer Performance „Ich esse deinen Schatten“. Gemeinsam mit dem Musiker Beat Keller schafft sie sicht- und hörbare Bilder mit archaischen und rituellen Motiven. Kennengelernt haben sie sich bei Vergabe der Förderbeiträge: „Ich habe seine Musik gehört, und sie machte etwas mit mir“, erzählt Micha Stuhlmann. „Ich sah Räume, in denen ich spazieren gehen kann.“ Beat Keller hat seinerseits eine Aufführung ihres letzten Projekts „Beine baumeln Himmelwärts“ angesehen. „Wir haben eine gemeinsame Sprache gefunden“, sagt er. Er habe schon vorher freie Improvisationen mit Tanz gemacht. „Es fühlt sich an wie ein Zusammenspiel mit anderen Musikern - erstaunlich, wie gut das klappt.“
„Wenn wir in unterschiedliche Richtungen gehen wollen, finden wir schnell eine Lösung“, sagt René Schmalz, der als dramaturgischer Berater die beiden Akteure mit dem Blick von Aussen unterstützt. Der Tänzer und Performer hatte lange ein Duo mit Micha Stuhlmann gebildet und war leicht für die Mitarbeit zu motivieren: „Ich sah es als absolute Notwendigkeit an, dass Micha endlich wieder als Tänzerin zu sehen ist“, sagt er. „Wir haben zusammen unsere innere Bilderwelt erforscht“, so Micha Stuhlmann. „René hat die Gabe, bei mir Bilder in Bewegung zu bringen. Ein Wort von ihm reicht, und in mir geht ein Buch auf.“ Umgekehrt funktioniert das auch, wie René Schmalz ergänzt: „Wir kennen uns nun seit zwanzig Jahren. Micha hebt den Finger und ich weiss, was es bedeutet. Wir haben gelernt, das Schöpferische in unserer Streitkultur zu schätzen.“
Kammerspiel aus Bewegung und Klang
Zehn Bilder gestaltet das Trio gemeinsam. Sie nehmen Bezug auf Schöpfungsmythen der Welt und wollen zeigen, was Menschen über Jahrtausende immer beschäftigt hat. Das sei ein Dauerbrenner, sagt Micha Stuhlmann. „Es findet sich in jeder Alltagsgeste wieder, wenn man einmal darauf achtet. Eigentlich gibt es ja kein anders Thema. Aber ich möchte niemanden bei der Deutung an die Hand nehmen.“ Ein Gedicht von ihr gibt die Grundfarbe für die Performance vor:
Am Anfang war kein Licht und kein Schatten
Am Anfang war keine Fülle und keine Leere
Am Anfang war keine Zeit und kein Vergehen
Am Anfang war kein Anfang und so auch kein End
Dann war da die Asche
Dann kam die Nacht
Dann kam der Wind und der trug die Asche in den Schoss der Nacht.
Die Nacht lächelte und gebar den Sinn.
Lyrik neben Tanz und Ton
Von zentraler Bedeutung für das Stück sind die vier „Hungerlieder“, die Micha Stuhlmann geschrieben hat. „Sie liegen mir so am Herzen, dass es schon ihretwegen ein Programmheft geben muss, in dem den Zuschauer sie nachlesen können.“ Ein Beispiel (Auszug):
Auch Tiere kauen
am eigenen Fleisch
Das Hungerloch stopfen
Stopfen bis es nicht mehr will
stopfen bis es nicht mehr kann.
Das Hungerloch einschläfern
Einschläfern
Bis es nicht mehr schreit
Bis es nicht mehr will,
bis es nicht mehr kann,
bis es nicht mehr schreit
nach der Mutter...
Video: Einblick in die Probenarbeit
Streitkultur bei der Erarbeitung
Micha Stuhlmann tanzt, rezitiert die Gedichte und tanzt weiter. „Ich bin gespannt, wie ich das mit meinem Atem hinbekomme“, sagt sie während der Probe. Noch gibt es kurze Unterbrechungen, in denen die drei Beteiligten diskutieren, welche Töne der Musiker anschlagen sollte, welche Rhythmen das Bild unterstützen. „Kannst du deine Stimme noch mehr variieren?“, fragt René und erntet Entrüstung bei Micha: „Ich bekomme jetzt schon Gänsehaut, weil die Bilder so stark sind. Ich will das nicht weiter inszenieren.“
Später wird die Vorstellung rund 75 Minuten dauern und dicht am Publikum ablaufen. Mehr als 40 Personen sollen nicht rund um die Tanzfläche aufgereiht sitzen. Die Inszenierung kommt mit wenig Ausstattung aus: Micha Stuhlmann schlüpft mal aus einem Kokon und mal in ein Kleid. Sie schüttet sich Asche aufs Haupt und wäscht sich in Unschuld. Nichts aber lenkt den Betrachter von vom Ausdruck der Bewegungen zu den Klängen ab. Jedes Detail ist wichtig. „Wir bieten ein Buffet an“, so Micha Stuhlmann. „Manches wird den Zuschauern schmecken, manches wird schwer im Magen liegen und erst Tage später seine Wirkung entfalten.“
Video: Einen Trailer zur Produktion gibt es hier: https://videos.files.wordpress.com/nahUvalu/schattenfresser-final-vorspann_hd.mp4
Alle Aufführungstermine
Premiere ist am Freitag, 15.03.2019 im Kult-X Kreuzlingen.
Anschliessend zu sehen hier:
16. März 2019 Kult-X Kreuzlingen
29. März 2019 Tanzraum Herisau
26. / 27. April 2019 Kammgarn West Schaffhausen
05. Mai 2019 LOK St. Gallen
25. Mai 2019 Hof zu Wil
21. Juni 2019 Theater Konstanz
06. / 07. September 2019 Kunstmuseum Thurgau Warth
03. / 04. Oktober 2019 Kulturhaus Helferei Zürich
Tickets gibt es entweder über die Internetseite von Micha Stuhlmann oder jeweils über die Veranstaltungsorte.
Von Inka Grabowsky
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