von Brigitte Elsner-Heller, 06.07.2020
Abschied in Harmonie
Der Konstanzer Intendant Christoph Nix verabschiedet sich ungewöhnlich leise nach 14 Jahren in der Bodenseestadt mit einem eigenen Stück, das Leben und Wirken des Reichenauer Mönchs zeigt. Neben der historischen Sicht wird ein Bogen geschlagen zu Stephen Hawking und damit einer Zustandserklärung der heutigen Welt.
Man mag ihm das Spektakel zum Abschied schon gönnen, diesem Intendanten Christoph Nix, mit dem Konstanz in den vergangenen 14 Jahren eng verbandelt war (in guten wie in nicht ganz so guten Zeiten). Beinahe hätte ihm die unsägliche Pandemie den letzten Auftritt noch verhagelt, doch nun war es doch soweit: Premiere des diesjährigen Freilichttheaters auf dem Münsterplatz.
„Hermann der Krumme oder die Erde ist rund“ nimmt sich den körperlich versehrten Universalgelehrten des 11. Jahrhunderts vor, der auf der Reichenau im Kloster lebte und wirkte. Ein Stück aus der Feder des Intendanten selbst, der sich bekanntlich gern mit Gott und der Welt auseinandersetzt und dabei im Grundsatz auch kämpferische Positionen nicht scheut.
Nicht zum Kämpfer geboren
Diesmal allerdings eher menschenfreundliche Zurückhaltung, die soweit reicht, dass Hermann (1013-1054) sogar ein gutes Einvernehmen mit Abt, Papst und Kaiser hat – also all jenen Machtinstitutionen des Mittelalters, mit denen gemeinhin nicht gut Kirschen essen war. Geschuldet war dies wohl zuvörderst der Persönlichkeit des historischen Vorbilds selbst, das rein physisch nicht zum Kämpfer geboren war und sich auf seine geistigen Kräfte konzentrierte.
Als Sohn von Graf Wolfrad von Altshausen und dessen Frau Hiltrud (Historie und Stellung diktieren wie so oft diese Reihenfolge der Nennung), wohlhabender Eltern demnach, wird er als „Krüppel“ im Alter von sieben Jahren im Kloster Reichenau abgegeben. Doch Hermann wird nicht etwa wie gewünscht unscheinbar, sondern weckt das Interesse des Abtes Berno, der ihn fördert und ausbildet, bis Hermann selbst wieder Schüler hat. Genannt und auf die Bühne gebracht wird einer dieser Schüler, Bruder Berthold, der nach Hermanns Tod dessen Weltchronik weiterschreiben wird.
Bilderstrecke: Einblicke in die Inszenierung
Die Fassade des Münsters prägt das Bild
Eine ungetrübte Erfolgsgeschichte ist dies freilich nicht, was auch Christoph Nix ausführt, der zusammen mit Zenta Haerter und Lorenz Leander Haas auch Regie führt. Wichtigstes „Ausstattungsmerkmal“ ist und bleibt wie immer bei den Münsterfestspielen das mittelalterliche Gotteshaus selbst, dessen romanischer Kern 1089 geweiht wurde und Hermann somit nicht mehr bekannt wurde. Dennoch bietet sich die Kulisse natürlich für derlei Stoffe an.
Jetzt setzt das Spiel um die Frage nach den Implikationen von Wissen und Erkenntnis, auch nach persönlichen Tiefschlägen, mit einem Kinderchor ein, der das Lied vom „Bucklig Männlein“ singt, während ein geradezu ätherisch durchscheinender Hermann in der Schale einer Erdkugel ruht, um die sich die Himmelssphären golden aufspannen (die Sonne war in der Vorstellung des Mittelalters noch nicht Zentralgestirn).
„Wir brauchen Demut und Geduld.“
Hermann der Krumme zu Berthold, der gegen den neuen Abt aufbegehrt.
Gespielt wird Hermann von der schmalen Sarah Siri Lee König, die ganz in Weiss und mit stockend gehauchter, milder Stimme so etwas wie einen „Astralleib“ des Hermann auf die Bühne bringt. Als körperhafter Gegenentwurf tritt der Tänzer Mike Planz in Erscheinung: schwarz gewandet, verkrümmt, dem Irdisch-Schweren barfuss ausgeliefert.
Grosser Auftritt der Münstermusik Konstanz
Doch das muss man nicht auf den ersten Blick entziffern, ist der Zug der ganz in Schwarz auftretenden Mönche doch lang. Während Schauspieler sich langsam aus der Gruppe schälen, entpuppen sich die als Schutzmassnahme mit Plastikvisieren gewappneten „Mönche“ als Chor, der den Szenen mit mehrstimmigem Gesang aus unterschiedlichen Jahrhunderten Seele einhaucht (Leitung: Steffen Schreyer). Zum Kinderchor der Münstermusik Konstanz hat sich auch deren Vokalensemble gesellt – eine sinnstiftende Ergänzung, die manche Leerstelle des Stückes füllt (auch wenn man die Stimmen der Sängerinnen und Sänger lieber ohne Verstärkung hören würde).
Schwierige Struktur des Stückes
Das Stück ist darauf angelegt, die äussere Handlung mit einer inneren zu verbinden, neben der Situation im Kloster also auch die Gedanken- und Gefühlssphären des von der Natur körperlich benachteiligten Menschen, erfahrbar zu machen. Das gelingt nur bedingt, da die Figur Hermanns keinen wirklichen Gegenspieler hat und somit Spannungsmomente wegfallen.
Mit Peter Cieslinski ist Abt Berno ein ruhiger und verständiger Mensch, der Hermann auf den Weg hilft. Die offenbar aus Missgunst murrenden Mitbrüder bleiben eine eher undefinierbare Menge Mensch. Mit einiger Schärfe tritt dafür Harald Schröpfer als Hermanns Vater auf, eine Haltung, die er dann auch als teuflischer Verführer sowie als Nachfolger des Abtes beibehält.
Aufgedreht gibt Anne Simmering nicht nur Hermanns Mutter, sondern auch den Kaiser, der in aller Freundlichkeit anregt, Hermann möge doch eine Weltchronik verfassen.
Hermanns Seele
So weit, so harmlos, was das Bühnengeschehen angeht. Für die auf weit ausladender „Bühne“ eindrücklichere Geste sind eher andere zuständig: Odo Jergitsch kommt als Papst geradezu herein geweht – sehr erstaunlich, dass er den Thesen Hermanns nicht ablehnend gegenüber steht. Georg Melich als Bruder Berthold und der „stumme“ Tänzer Mike Planz vermitteln dann die Gedanken und Gefühle Hermanns – wie auch eine Stimme aus dem Off, die dem verstorbenen Physiker Stephen Hawking zugeordnet wird. Das erfährt jedenfalls, wer auch Stück und/oder Programmheft liest.
Berthold unterstützt Hermann, auch wenn dieser von Zweifeln und Dämonen heimgesucht wird, von der Lust auf Leben ausserhalb der Klostermauern. Das bietet Gelegenheit für Massenszenen, die den Raum füllen. Wer „Seele“ sucht, wird sie vor allem im Zusammenspiel von Berthold mit den beiden Erscheinungsformen von Hermann finden, wobei solche Momente bei einem Freilichtspektakel (als solches wird es tatsächlich angekündigt) naturgemäss eher rar gesät sind.
Weltentheorien, die 1000 Jahre auseinander liegen, werden dann mit der fast gottgleichen Stimme von Hawkings eingespielten Worten dialogisch verhandelt (Odo Jergitsch spricht), wobei deutlich wird, dass wir die letzten Dinge nicht wissen und wohl auch nie wissen werden.
Frieden auf Erden
Hermann verabschiedet sich als frommer Untertan des neuen Abtes, der andere Saiten aufzieht. Und er fordert seine Mitbrüder sogar auf, sich im Frieden zu üben. Christoph Nix zum Abschied noch einmal auf Pfaden jenseits aller Revolution? Das letzte Wort ist da gewiss noch nicht gesprochen.
Nix wird nämlich Intendant der Tiroler Volksschauspiele. Und was stand dazu in der Pressemitteilung? „Volkstheater ist immer subversiv. Es ist ein Mittel der Kritik an herrschenden und verkrusteten Verhältnissen“. Na dann los in die nächste Runde!
Weitere Aufführungen: Das Stück «Hermann, der Krumme» ist bis 2. August fast täglich auf der Bühne am Münsterplatz zu sehen. Alle Termine und Infos zum Ticketvorverkauf gibt es auf der Internetseite des Theaters.
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