von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 13.05.2020
Theater im Konjunktiv
Mit einem eigens entwickelten Hygienekonzept will das Theater Konstanz sein Freilichttheater auch in diesem Sommer auf die Bühne bringen. Aber: Nicht alle Theatermitarbeiter tragen das Konzept mit, das Gesundheitsamt hält sich bedeckt. Ob das Stück jemals aufgeführt wird, bleibt weiter fraglich.
Die Nachricht klingt erstmal gut: Um in diesem Corona-Sommer wenigstens doch noch etwas Kultur zu ermöglichen, hält das Theater Konstanz an der Aufführung seiner Münsterplatzfestspiele fest. Dafür hat Intendant Christoph Nix gemeinsam mit seinem Team ein eigenes Hygiene-Schutzkonzept entwickelt, das Theater in Zeiten der Pandemie möglich machen soll.
Dieses Konzept - fachlich unterstützt vom Freiburger Virologen Hartmut Hengel - sieht mehrere Massnahmen vor: Die Zahl der Zuschauerplätze wird von 692 auf 228 reduziert, statt einer wird es drei Zuschauertribünen geben. Für jeden Zuschauer soll der Mindestabstand von 1,50 Meter gewahrt werden. Das Publikum kommt auf unterschiedlichen Wegen in die Zuschauerblöcke, das Einlasspersonal trägt und verteilt Mund-Nasen-Schutzmasken.
Regelmässige Corona-Tests für das Ensemble
Die Bühnenakteure (acht SchauspielerInnen und 12 StatistInnen) sollen geschützt werden durch ein „agieren auf Distanz“, wie es in dem Konzept heisst. Die in der Inszenierung geplanten gregorianischen Gesänge von 16 Chorsängern sollen von einer separaten Tribüne erklingen. Alle Darsteller schminken sich selbst und nehmen ihre Kostümwechsel alleine vor. Mit Beginn der Proben, die ausschliesslich im Freien stattfinden sollen, soll sich das gesamte Ensemble Corona-Tests unterziehen.
Zudem sollen im Umfeld der Tribünen abgesperrte Räume geschaffen werden, in denen man sich aufhalten und genügend Distanz wahren kann. Die Zahl der Toiletten und Waschgelegenheiten sollen verdreifacht werden im Vergleich zu früheren Münsterplatzfestspielen. Und: Das Stück wird ohne Pause gespielt, es wird keine gastronomische Angebote geben.
«Es gibt Bedenken im Haus, ob sich die Pläne so wie sie im Hygienekonzept beschrieben sind, im Betrieb wirklich realisieren lassen.»
Sebastian Heiland, Ensemblesprecher Theater Konstanz
Die Premiere war ursprünglich für den 19. Juni geplant, ist aber inzwischen auf den 4. Juli verlegt worden. Intendant Christoph Nix führt selbst Regie bei „Hermann, der Krumme oder die Erde ist rund“. Das Stück will den Gelehrten Hermann von Altshausen würdigen, der als Benediktinermönch im Kloster auf der Insel Reichenau im 11. Jahrhundert lebte.
Wenn das Konstanzer Konzept aufgeht, dann wäre das auch ein Modell für Thurgauer Freilufttheater wie das See-Burgtheater in Kreuzlingen beispielsweise. Dort soll ab 9. Juli Shakespeares «Was ihr wollt» auf der See-Bühne gespielt werden.
Problem: Nicht alle MitarbeiterInnen tragen das Konzept mit
Ob das Konzept aber tatsächlich als Vorbild taugt, ist noch nicht ausgemacht. Es gibt noch zu viele Fragezeichen. Auch im Theater selbst ist es umstritten. Offenbar tragen nicht alle MitarbeiterInnen des Theaters die Pläne des Intendanten mit. „Es gibt Bedenken im Haus, ob sich die Pläne so wie im Konzept beschrieben, im Betrieb wirklich realisieren lassen“, sagte Sebastian Heiland, Ensemblesprecher in einer öffentlichen Sitzung des Gemeinderats in der vergangenen Woche. Seine Befürchtung demnach: „Es wird vor allem im Bereich hinter der Bühne Situationen geben, bei denen man diese Hygienevorschriften nicht wird einhalten können“, so Heiland.
Die Äusserungen des Ensemblesprechers sorgten auch deshalb für Aufsehen, weil es eine so offen und öffentlich vorgetragene Kritik an einer Entscheidung des Intendanten aus dem Haus heraus in den vergangenen 14 Jahren der Intendanz Nix nicht gab. Nur wenige trauten sich, ihrem Chef öffentlich zu widersprechen und wenn, dann nur hinter vorgehaltener Hand und nicht zitierbar. Dass sich das jetzt ändert, ist auch ein Hinweis auf den nahenden Abschied von Christoph Nix. Der leidenschaftliche wie streitbare Geist ist nur noch bis zum 15. August 2020 Chef der Konstanzer Bühne.
«Wir haben uns nicht nur bemüht, sondern einen Ort im Freien geschaffen, an dem die Kunst, die Kunstfreiheit gelebt werden kann.»
Christoph Nix, Intendant am Theater Konstanz (Bild: Theater Konstanz)
Innerhalb der Belegschaft gebe es eben kein einheitliches Meinungsbild zur Durchführung der Münsterspiele, so Heiland weiter. Vor allem die technische Abteilung habe gesundheitliche Sorgen, sollte man an den Plänen festhalten, erklärte der Ensemblesprecher.
Intendant Nix will ein Zeichen der Hoffnung setzen
Intendant Christoph Nix zeigte sich darüber verwundert. „Mir hat diese Bedenken bislang niemand vorgetragen, ich habe ein ganz anderes Meinungsbild aus dem Haus“, so der 65-Jährige, der das Theater am Ende der Spielzeit nach 14 Jahren verlässt. „Wir haben uns nicht nur bemüht, sondern einen Ort im Freien geschaffen, an dem die Kunst, die Kunstfreiheit gelebt werden kann, ohne das Publikum mehr zu gefährden als an anderen öffentlichen Orten“, so Nix weiter. Es gehe in diesen Zeiten auch darum, ein Zeichen zu setzen. Die Inszenierung könne Hoffnung geben in schweren Zeiten, ist der Intendant überzeugt.
Er sagt aber auch klar: „Wenn die Mehrheit im Haus das nicht will, dann lassen wir es. Ich bin aber überzeugt, dass wir genügend Mitstreiter finden, die den Weg mit uns gehen wollen“, so Nix. Niemand werde gezwungen an den Aufführungen teilzunehmen. Es gelte das Freiwilligkeitsprinzip, erklärte der Intendant.
Mit Mehrkosten durch die Umsetzung des Schutzkonzeptes rechnet Nix auf Nachfrage von thurgaukultur.ch nicht. Die Produktion sei solide durchkalkuliert. Finanziell könne dies das Theater leisten - trotz der erwartbar geringeren Einnahmen wegen geringerer Zuschauerzahl.
Knapp die Hälfte der verfügbaren Corona-Tests würden gebraucht
Das zuständige Gesundheitsamt des Landkreises Konstanz hält sich bedeckt mit einer Einschätzung. Auf Anfrage von thurgaukultur.ch erklärte Pressesprecherin Marlene Pellhammer: «Zum gegenwärtigen Konzept können wir noch keine Aussage treffen. Das Konzept kann erst vor dem Hintergrund der zum Aufführungszeitpunkt gültigen Verordnung bewertet werden.»
Zur Frage, ob denn im Landkreis überhaupt ausreichend Testkapazitäten für regelmässige Corona-Tests bei einem knapp 40-köpfigen Ensemble vorhanden seien, schrieb Pellhammer: «Die Abstrichkapazität des Informations- und Diagnostik-Zentrums in Singen liegt bei rund 50 Abstrichen pro Tag und in Konstanz bei etwa 100 Abstrichen pro Tag. Die Testungen selbst finden in Laboren statt. Wie die Kapazitäten zum Zeitpunkt der Aufführung verfügbar sind, kann auch erst anhand der dann herrschenden Lage eingeschätzt werden.»
Das Theater probt jetzt erstmal auf eigenes Risiko
Nimmt man also die bisherigen Test-Kapazitäten als Grundlage, dann würden im Zweifel in Konstanz knapp die Hälfte aller verfügbaren Testkapazitäten für das Freilichttheater gebraucht. Ob das vertretbar wäre, hängt vor allem an der Corona-Lage zum Zeitpunkt der Aufführung. Nichts genaues weiss man also nicht. Das Theater probt erstmal auf eigenes Risiko.
Die Entscheidung darüber, ob eine solche Veranstaltung wie ein Open-Air-Theater stattfinden kann, trifft am Ende ohnehin das Land Baden-Württemberg. Mit dem am 13. Mai vorgelegten «Masterplan Kultur» ist die Wahrscheinlichkeit für eine Durchführung der Münsterfestspiele gesunken. Darin legt das Land fest, dass ab 1. Juni zunächst kleinere Veranstaltungsformate möglich sein werden. Und das auch nur dann, wenn die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsvorgaben zum Schutz des Publikums und der Mitwirkenden garantiert werden kann. Ausserdem müsse die Rückverfolgbarkeit der Teilnehmer gewährleistet sein. „Daraus ergibt sich, dass wir in einem ersten Schritt Veranstaltungen mit einem Richtwert von unter 100 Personen vorsehen», wird Kulturministerin Theresia Bauer in einer Medienmitteilung zitiert.
Unter Vorbehalt: Die Stadt hat grünes Licht gegeben
Das bedeutet: Es ist wahrscheinlicher geworden, dass doch alles abgesagt werden muss. Selbst das vom Theater vorgelegte Konzept mit 228 Zuschauern wäre danach nicht zulässig. Das weiss auch Intendant Christoph Nix: „Wir können an jedem Abend neu entscheiden, ob wir spielen oder nicht“, sagte er in der vergangenen Woche in einer Sitzung des Konstanzer Gemeinderats. Gut möglich, dass es erst gar nicht so weit kommt und das ganze Projekt doch abgeblasen wird.
In eben jener Sitzung des Gemeinderats hatte das Gremium am Ende einstimmig grünes Licht für die Aufführungen gegeben - trotz der geäusserten Bedenken einiger Mitarbeiter. Die Indoor-Spielzeit des Theaters wurde zwar für beendet erklärt, das Freilichttheater am Münster soll aber möglich bleiben. Ein Votum, das wohl auch unter dem Eindruck entstand, dass man dem scheidenden Intendanten nach 14 turbulenten Jahren einen gebührenden Abschied nicht verwehren will.
Der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt machte aber zugleich deutlich, dass diese Entscheidung für das Open-Air-Theater immer unter dem Vorbehalt stehe, dass die Infektionszahlen nicht doch wieder gravierend in die Höhe schnellen. Derzeit verläuft die Epidemie in der Region allerdings eher milde: Die Zahlen sind rückläufig, 71 aktuell Corona-Infizierte vermeldete das Landratsamt am 11. Mai für den gesamten Kreis Konstanz.
UPDATE: Wir haben den Artikel am 14. Mai um die Informationen rund um den «Masterplan Kultur» des Landes Baden-Württemberg ergänzt. Diese Passage war in früheren Versionen des Artikels noch nicht enthalten.
«Normalerweise müsste man sagen: Wir beenden die komplette Spielzeit und starten im Herbst neu mit dem Theater. Dieses ist aber auch die letzte Spielzeit von Herrn Nix. Das ist eine besondere Lage, die wir auch berücksichtigen wollen.»
Andreas Osner, Kulturbürgermeister der Stadt Konstanz
Kommentar: Schwere Entscheidung
Eines muss man neidlos anerkennen: Wenn der Konstanzer Theaterintendant Christoph Nix etwas will, dann kämpft er wie ein Löwe darum. So ist es auch jetzt bei der Frage, ob ein Freilichttheater in diesen Corona-Sommer passt oder nicht.
Statt gross zu lamentieren, hat Nix ein Hygiene-Konzept vorgelegt, das beispielhaft sein könnte für Open-Air-Theater in Zeiten der Pandemie. Er hat sich fachliche (der Freiburger Virologe Hartmut Hengel) wie prominente (Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins) Unterstützung an Bord geholt und einen Plan erstellt, der das sein könnte, wonach sich so viele Menschen gerade sehnen - ein Hoffnungszeichen in unsteten Zeiten.
Christoph Nix’ Inszenierung kann das sein, wenn sie sich an die eigenen Vorgaben hält: Niemand darf gezwungen werden, daran mitzuwirken, der Gesundheitsschutz von Ensemble (inklusive technischem Personal) und Zuschauern muss an erster Stelle stehen und wenn virologische und epidemiologische Gründe am Ende gegen eine Aufführung sprechen, darf es auch kein Wehklagen über eine angebliche Beschneidung von Kunstfreiheit geben.
Richtig bleibt zudem auch: Ob es angemesseen ist, knapp die Hälfte der in der Stadt verfügbaren Test-Kapazitäten für Theateraufführungen zu verwenden, kann man erst im Angesicht der Zahlen zum Aufführungszeitpunkt beurteilen. Bei steigenden Infektionszahlen würde das Pendel eher Richtung «Nein» ausschlagen, bei rückläufigen Zahlen hingegen könnte man wohl eher zustimmen.
Es gehe ihm bei der Entscheidung über das Freilichttheater, nicht um sich, hat der Intendant zuletzt immer wieder betont. Man kann ihm das glauben. Oder nicht. Wer Nix kennt, der weiss, dass es für ihn nur schwer erträglich wäre, müsste er nach 14 Jahren die Bühne, seine Bühne, sang- und klanglos verlassen.
Aber dass er jetzt ins Risiko geht und eine Inszenierung erarbeitet, von der keiner weiss, ob sie jemals vor Publikum aufgeführt werden wird, verdient Respekt. Man darf ihm hier abnehmen, dass seine eigene Befindlichkeit zumindest nicht der erste Grund dafür war, so intensiv um das Freilichttheater zu kämpfen.
Am Ende ist es ganz einfach: Respektiert Nix die von ihm selbst formulierten Regeln und Bedingungen für die Corona-Freilichtspiele kann er im Sommer - nach 14 turbulenten Jahren - doch noch den Abschied in Konstanz bekommen, den er verdient hat. Es wäre ihm zu wünschen. (lün)
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