von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 18.10.2018
Allein unter Männern
Am 8. März ist Weltfrauentag. Grund genug, mal zu fragen, wie es Frauen in der Kunst heute geht. Werden sie endlich gesehen oder dominieren Männer auch im 21. Jahrhundert noch Markt und Szene? Künstlerinnen aus dem Thurgau sprechen offen über Männer, Frauen, Quoten und anhaltende Ungerechtigkeiten in der Kunstwelt.
So sehr sie sich auch anstrengte, die Malerin Helen Dahm (1878-1968) fand zu ihrer Zeit kaum Zugang in den damals noch sehr männlich dominierten Kunstbetrieb. «Als Frau werde ich nicht angenommen, auch mein Werk nicht. Das gehört auch zu meinem Schicksal. Es gibt eine Gesellschaft der Maler (GSMBA). Ich bin in dem Verein gewesen mit anderen Frauen zusammen. Wir kamen nicht zu Wort und konnten nichts bestimmen. Man hat uns dort weder als Kamerad noch als Kollege angenommen. Das habe ich nicht ausgehalten, und ich bin ausgetreten.» Dieses Zitat kann man in der aktuellen Helen-Dahm-Ausstellung des Kunstmuseum Thurgau nachlesen. Und heute? Hat sich für Frauen in der Kunst etwas verändert? Ist es für sie leichter geworden, künstlerisch sichtbar zu werden? Auf den ersten Blick ist das sicher so. Frauen sind heute selbstverständlicher Teil des Kunstbetriebs. Frauen sind Künstlerinnen, Kuratorinnen, Museumsdirektorinnen. Spricht man mit Künstlerinnen aus dem Thurgau über das Thema, dann tauchen da trotzdem Zweifel auf, ob es tatsächlich schon so etwas wie Gleichberechtigung in der Kunst gibt.
Zwischen Erotik und Bullterriertum: Realität für Frauen 2018
Zum Beispiel bei Rahel Müller. Die in Pfyn angesiedelte Künstlerin hat schon etliche Ausstellungen gezeigt, einige ihrer Arbeiten sind in der Sammlung des Kunstmuseum Thurgau vertreten und trotzdem sagt sie: „Frauen werden nach wie vor als Pufferzone im Kunstmarkt eingesetzt. Unser Werk wird weniger gut gehandelt, weniger präsentiert, in so genannten sehr wichtigen Ausstellungen unterschlagen.“ Sie ist überzeugt, dass sich die Lage für Frauen seit Helen Dahms Zeiten nur unwesentlich zum besseren entwickelt hat. „Als Frau, wenn überhaupt, hast du nur zwei Chancen. Entweder du siehst attraktiv aus und mischt eine Prise Erotik in das Ganze. Oder du klopfst mit einer Bullterriermentalität die Institutionen weich.“
Ist das so? Hat sich tatsächlich so wenig getan in den vergangenen Jahrzehnten? Ein paar konkrete Zahlen aus dem Thurgau zeigen, dass es auch hier noch ein offensichtliches Missverhältnis gibt. Seit 1986 wurde der Thurgauer Kulturpreis 9 mal an Frauen vergeben, viermal so häufig ging er an Männer, insgesamt 36 Mal. Die jährlichen Förderbeiträge des Kantons erhielten seit 1996 87 Männer und 65 Frauen. Die Ausstellungen im Kunstmuseum Thurgau beschäftigten sich von 1995 bis heute mit 18 Künstlerinnen. Mehr als doppelt so viele Ausstellungen, insgesamt 39, widmeten sich männlichen Künstlern. Noch immer ist die Sicht auf Kunst offenbar sehr männlich geprägt. Dazu passt: Nach den Ergebnissen eines Kunstindexes im «Manager-Magazin» befindet sich unter den fünfzig gefragtesten Künstlern (nach Auktionsumsatz) keine einzige Frau.
Denkt man über das Thema nach, landet man schnell bei Klischees
Woran liegt das im Jahr 2018? Denkt man darüber nach, landet man sehr schnell bei sehr üblichen Geschlechterklischees. Frauen hätten es halt nicht so mit dem grossen Auftritt. Sie seien einfach bescheidener und fielen deswegen weniger auf. Ihre Kunst sei filigraner, kleinteiliger und eigne sich deswegen nicht so für die ganz grosse Bühne. Jaja. Oder liegt es vielleicht doch eher daran, dass Männer seit Jahrzehnten in entscheidenden Positionen sitzen und darüber wachen, was gesammelt, ausgestellt und als herausragend betrachtet wird?
Eine andere Frage ist allerdings, ob es so etwas wie Gleichberechtigung in der Kunst überhaupt geben kann. Sollte am Ende nicht die Qualität der Arbeit darüber entscheiden, was gesammelt, ausgestellt und besprochen wird? Man kann sich darüber sehr lange und sehr trefflich mit Gioia Dal Molin unterhalten. Sie ist Beauftragte der Kulturstiftung des Kantons Thurgau und beschäftigt sich immer wieder mit feministisch motivierten Fragestellungen zur Situation der Frauen in der Kunstwelt und zum Thema der Geschlechtergerechtigkeit. In der Kunst passiere letztlich das, was auch in der restlichen Gesellschaft passiere: „Die Männer machen sorglos Karriere und die Frauen müssen gucken, dass sie ihre Kariere und die ganzen gesellschaftlichen Ansprüche an die Reproduktionsarbeit irgendwie unter einen Hut bekommen“, sagt Dal Molin.
Eine Frauenquote als Ausweg?
Ein Weg um an der aktuellen Situation etwas zu ändern ist für sie eine Frauenquote. „Die staatliche Schweizer Kunstförderung beispielsweise muss immer darauf bedacht sein, dass alle Sprachregionen der Schweiz angemessen vertreten sind – wieso nicht also auch zwingend darauf gucken, dass die Geschlechter zu gleichen Teilen vertreten sind? Eine Quotenregelung in Jurys und Ausstellungen würde dazu führen, dass aktiv nach spannenden Künstlerinnen geguckt wird. Denn ja – und davon bin ich fest überzeugt – es gibt derer mindestens so viele wie Männer“, so die Beauftragte der Kulturstiftung. Bis es so weit ist, müsse jeder, dem das wichtig ist, selbst schauen, wie man so etwas wie Gendergerechtigkeit zumindest ansatzweise umsetzen kann: „Meine feministische Haltung im Feld der Kunst sehe ich darin, dass ich im Reden und Schreiben über die Themen eine Sensibilität schaffen kann. Und dass wir uns als Frauen, die in diesem Bereich arbeiten, gegenseitig unterstützen und unsere eigenen Netzwerke bilden. Wenn ich gebeten werde, KünstlerInnen für einen Preis vorzuschlagen, schlage ich in der Regel Frauen vor, ebenso wenn ich irgendwo eine Jobempfehlung abgeben muss. In meiner eigenen kuratorischen Arbeit gucke ich, dass Künstlerinnen immer mindestens die Hälfte der TeilnehmerInnen ausmachen.“
Auch bei der Kulturstiftung selbst bemühe man sich um „ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern“, erklärt Gioia Dal Molin. Bei den Projekten, die sie selbst betreue wie die Lyriktage oder die Werkschau achte sie immer auf die Anzahl der involvierten Künstlerinnen. Allerdings räumt sie auch ein, dass bei der Vergabepraxis von Fördergeldern nicht aktiv darauf geschaut werde - das Geschlecht der Gesuchssteller und Gesuchsstellerinnen sei kaum je ein Thema.
Künstlerinnen sehen die Quote kritisch
Ist die Quote also eine Lösung? Auch Martha Monstein, Leiterin des Thurgauer Kulturamts, findet: Ja. Zumindest sei es eine Möglichkeit, vermehrt Frauen zu fördern, erklärt Monstein auf Nachfrage von thurgaukultur.ch: „Dies gilt für die Kunst wie für die Wirtschaft oder Verwaltung. Dazu gehören würde aber auch, dass Kaderstellen nicht notgedrungen 100-%-Stellen sein müssen, sondern die Stellenprozente flexibler gehandhabt werden. Meine Erfahrung ist, dass Frauen mehr auf Gendergerechtigkeit schauen. Deshalb sollten vermehrt Frauen an Entscheidstellen sitzen“, so Monstein.
Künstlerinnen wie Sara Widmer sehen Quotenregelungen eher kritisch: „Eine Frauenquote ist kein ideales Instrument, ich würde es nur als letztes Mittel einsetzen, wenn gar nichts anderes hilft.“ Sie habe auch nicht das Gefühl, dass sie als Frau besonders kämpfen müsse für Anerkennung oder gar benachteiligt werde, aber Widmer sagt auch: „Es ist immer noch ein Unterschied in der Wahrnehmung von Männer- und Frauenkunst spürbar.“ Das merkt sie selbst manchmal ganz persönlich. Zum Beispiel an Vernissagen von Ausstellungen ihres Kollektivs CKÖ, in dem sie mit Männern zusammenarbeitet. „Da ist es schon passiert, dass dem Mann gratuliert wird, und mir die Frage gestellt wird, ob ich die Praktikantin bin.“
Die Hoffnung? Eine junge Generation von Kuratorinnen
Die in Arbon arbeitende Künstlerin Rachel Lumsden findet auch, dass es nach wie vor Unterschiede in der Bewertung von Kunst von Frauen und Kunst von Männern gibt. „Auf dem Kunstmarkt zum Beispiel werden Werke von Männern immer noch anders bewertet als Werke von Frauen. Auch in Museen hängen bei weitem mehr Arbeiten von Männern als von Frauen“, stellt Lumsden fest. Zudem gebe es immer noch „Kritiker und, ich nehme an, Kuratoren, die die Arbeit von Künstlerinnen weniger oder anders schätzen als die von Künstlern. Dies sind aber die Menschen, die Einfluss darauf haben, wie andere den Beitrag von Frauen im Kunstbereich sehen.“ Was also tun?
Eine Frauenquote lehnt Lumsden ab: „Ich möchte eine Chance kriegen, weil meine Arbeit gut ist, nicht weil ich eine Frau bin. Mit positiver Diskriminierung kann ich auch nichts anfangen.“ Gleichwohl fordert die gebürtige Britin, dass der Beitrag von Frauen in der Kunst viel mehr gewürdigt werden sollte. Ihre Hoffnung liegt da vor allem in der Zukunft: „Männer haben heute zwar immer noch mehr Möglichkeiten. Aber vielleicht ändert sich das bald: Es gibt eine junge Generation von Kuratorinnen, Museumsdirektorinnen, die vielleicht einen anderen Blick auf Ausstellungen und Künstlerinnen haben.“
So gehen Kulturamt und Kunstmuseum mit dem Thema um
Bei unserer Recherche zu diesem Thema haben wir auch Kulturamt und Kunstmuseum Thurgau zu ihrem Umgang mit Gendergerechtigkeit befragt. „Bei den Förderbeiträgen und beim Kulturpreis war das Thema der Berücksichtigung von Frauen (zumindest seit ich hier arbeite) jeweils ein Thema“, sagt Martha Monstein, Leiterin des kantonalen Kulturamts. Dort, wo es das Kulturamt beeinflussen könne, achte man darauf, dass die Auswahljurys bezüglich Frauen und Männern ausgeglichen besetzt seien.
Martha Monstein, Leiterin Kulturamt Thurgau
Im Kunstmuseum Thurgau versucht man auch, das Thema zu berücksichtigen, stösst aber an natürliche Grenzen, wie Kuratorin Stefanie Hoch erklärt: „Wir haben natürlich keine Quote und die Männer sind bei den historischen Positionen in der ganz grossen Überzahl, auch was unsere Sammlung anbetrifft, aus der wir schöpfen, die ja die Basis ist für das Ausstellungsprogramm. Dieser museale Bestand ist historisch gewachsen und spiegelt die Verhältnisse damals bis heute.“
Trotzdem bemühe sich das Museum, dem auch entgegenzusteuern, Entdeckungen zu machen und auch die Frauen sichtbar zu machen, „zum Beispiel in Gruppenausstellungen aus der Sammlung wie den „Menschenbildern“ Mathilde van Zuylen-Ammann, oder wie in der Ausstellung „Alles fliesst“, in der viele traditionelle Ölbilder von Männern zu sehen waren, als Gegenpol hingen dort auch Werke von Ute Klein, Doris Naef, Simone Kappeler, Lisa Schiess und Muda Mathis“ so Hoch. Zudem: Bei aktuellen Ankäufen des Museums werde das Thema Geschlechtergerechtigkeit berücksichtigt.
Stefanie Hoch, Kuratorin Kunstmuseum Thurgau.
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