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von Jeremias Heppeler, 31.08.2021

Bittere Absage kurz vor Festivalstart

Bittere Absage kurz vor Festivalstart
Das grösste Festival der Ostschweiz: Das Open Air Frauenfeld lockt jedes Jahr 50.000 Hip-Hop-Fans aus aller Welt an. | © Open Air Frauenfeld

Dies hätte eine Vorschau auf das Frauenfeldli geben sollen. Auf die Miniaturversion – mit 20‘000 Zuschauenden pro Tag – des noch grösseren Openairs Frauenfeld, das dieses Jahr wieder abgesagt werden musste. Nun hat es auch das Frauenfeldli getroffen, es wurde abgesagt. Besonders bitter: Die Behörden haben dem Anlass die Bewilligung entzogen und das erst 14 Tage vor Festivalstart.

Zufälle gibt es nicht, nur Wahrscheinlichkeiten. Diese sind manchmal grösser und manchmal kleiner und immer, wenn wir etwas als Zufall wahrnehmen, fallen eben verschiedene Kleinst-Wahrscheinlichkeiten ineinander, die in einem Netz aus anderen Wahrscheinlichkeiten gar nicht mehr so unwahrscheinlich sind.

Im konkreten Fall bedeutet das: Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass du als Kulturjournalist einen umfangreichen Vorschautext schreibst, mit diesem nach langem Hin und Her auch einigermassen zufrieden bist, sodass du kurz vor Absenden nur noch den Direktlink zur Veranstaltung in dein Word-Dokument kopieren willst und du aber während des Kopierens besagter Internetadresse feststellst, dass ebendiese Veranstaltung just in diesem Moment abgesagt wurde. Nicht besonders gross, wenn auch in Zeiten der Corona-Pandemie sicherlich erhöht. Aber genau so passiert, an diesem Morgen. Die Veranstaltung, von der wir sprechen, ist (beziehungsweise war) das „Frauenfeldli”. Das als Miniaturversion des Openair Frauenfeld, eines der grössten Open-Air-Festivals Europas, vom 14. bis 18. September stattgefunden hätte. 

„Frauenfeldli“ klang irgendwie niedlich und nach Dorfidylle

Zu diesem Titel hatte ich in meiner Vorschau, die jetzt obsolet ist, folgendes geschrieben:

“Frauenfeldli”. Hm. Irgendwie klingt das niedlich. Irgendwie klingt das nach Dorffest. Nach Coverbands. Nach abgestandener Weinschorle. Und angebrannten Flammkuchen. Aber nach Hip-Hop klingt das nicht. Zumindest nicht nach dem grössten Hip-Hop-Festival Europas. Dabei ist das Frauenfeldli genau das. Also irgendwie. Nach der coronabedingten Absagen des Openair Frauenfeld in zwei Jahreszyklen, versucht der Veranstalter mit diesem Open-Air-Junior eine Art Ersatzprogramm zu etablieren. Dabei wird stetig betont, dass das Frauenfeldli eben kein das Openair Frauenfeld ist, sondern eine eigenständige Veranstaltung, welche die entstandenen Sehnsuchts- und Erlebnislöcher der Hip-Hop-Community so gut es geht stopfen soll. Ehe dann im kommenden Jahr das Openair Frauenfeld in gewohnter Blockbuster-Manier zurückkehren wird. 

„Frauenfeldli”. Hm. Irgendwie klingt das niedlich. Irgendwie klingt das nach Dorffest. Nach Coverbands. Nach abgestandener Weinschorle. Und angebrannten Flammkuchen. Aber nach Hip-Hop klingt das nicht. Zumindest nicht nach dem grössten Hip-Hop-Festival Europas.”

Jeremias Heppeler

Auf der Website heisst in den überaus umfassenden Q&As passend dazu: „Das Frauenfeldli erinnert an das Festival das wir alle kennen. Allerdings ist es bedingt durch die limitierte Platzzahl viel intimer und persönlicher. Ein Festival unter Freunden.” Und vor diesem Hintergrund erscheint der Namenswechsel zunächst als ziemlich charmante Strategie der Umcodierung.

 

Fans beim Einlass zum Openair Frauenfeld 2017. | Bild: Openair Frauenfeld

Ein Festival unter Freunden – mit 100‘000 Besuchenden

„Frauenfeldli”. Hm. Ein Festival unter Freunden. Das klingt extrem konträr zum gewohnten Hip-Hop-Erlebnispark, der sich einmal jährlich auf der Grossen Allmend entspinnt. Aber: Die Verniedlichung legt eine gehörig falsche Fährte. Denn in Sachen Line-Up und auch in Sachen Zuschauerrahmen könnte das Festival kaum weiter von der eingangs beschriebener Dorffest-Idylle entfernt sein.

Insgesamt 10‘000 Festivalbesucherinnen und -besucher können sich Tickets für die gesamten fünf Festivaltage (inklusive Camping) ab Dienstag oder von Donnerstag bis Samstag besorgen. Hinzu gibt es pro Tag 10‘000 weitere Tageskarten. Insgesamt könnten sich im Falle eines „ausverkauft“ also circa 20‘000 Besucher auf dem Festivalgelände, welches dieses Jahr komplett innerhalb der Rennbahn installiert werden wird, tummeln. In Pandemie-Zeiten klingt das beinahe utopisch. Oder gar dystopisch?

Die Behörden entzogen dem Festival die Bewilligung

Eine Spielart dieser Dystopie ist nun eingetreten. Wie so oft in den vergangenen Monaten. Kurz: Auch das Frauenfeldli wird nicht stattfinden. Der Grund, Sie ahnen es: Corona. In einer Pressemitteilung des Kantons Thurgau heisst es:

„Aufgrund der aktuellen epidemiologischen Lage sowie zu geringer Kapazitäten in der Gesundheitsversorgung ziehen der Kanton Thurgau und die Stadt Frauenfeld die Bewilligungen zur Durchführung des Open-Airs «Frauenfeldli» am 14. bis 18. September 2021 zurück. Das fünftägige Open-Air wird demzufolge abgesagt. Die Erfahrungen zeigen, dass bisher bei jeder Durchführung des Openair Frauenfeld pro Tag 15 bis 20 Festival-Besucherinnen oder -Besucher notfallmässig ins Spital Frauenfeld eingeliefert werden mussten, wovon drei bis vier einer Überwachung auf der Intensivstation bedurften. Das Spital hat dafür in den vergangenen Jahren jeweils die personellen Ressourcen und die Kapazitäten vorübergehend erhöht. Dies ist dieses Jahr nicht möglich, da die Kapazitätsgrenzen auf der Intensivstation aufgrund des erhöhten Betreuungsaufwands durch COVID-19-Patientinnen und -Patienten bereits erreicht sind. Diese hohe Belastung wird voraussichtlich auch in den nächsten Wochen anhalten. Eine zusätzliche Belastung durch Besucherinnen und Besucher des Open-Airs, die eine intensive Überwachung benötigen, ist daher nicht tragbar.”

„Aufgrund der aktuellen epidemiologischen Lage sowie zu geringer Kapazitäten in der Gesundheitsversorgung ziehen der Kanton Thurgau und die Stadt Frauenfeld die Bewilligungen zur Durchführung des Open-Airs «Frauenfeldli» am 14. bis 18. September 2021 zurück.”

Kanton Thurgau

Wichtig erscheint vor allem ein Punkt: Es war nicht das Sicherheitskonzept, welches Lücken aufwies oder als zu unsicher eingestuft wurde. Und es war auch nicht die Angst vor einem Superspreader-Event. Es ist die reale, epidemiologische Lage in den Krankenhäusern, die dazu führt, dass der Kulturevent nicht durchgeführt werden kann.

„Wichtig erscheint vor allem ein Punkt: Es war nicht das Sicherheitskonzept, welches Lücken aufwies oder als zu unsicher eingestuft wurde. Und es war auch nicht die Angst vor einem Superspreader-Event. Es ist die reale, epidemiologische Lage in den Krankenhäusern, die dazu führt, dass der Kulturevent nicht durchgeführt werden kann.”

Jeremias Heppeler

Befürchtete Überlastung der Spitäler

Dies ist ein entscheidender Punkt in der allgemeinen Bekämpfung der Pandemie, vor der Gesundheitsexpertinnen und -experten stetig warnten: Wenn die Spitäler mit zahlreichen Einweisungen von Corona-Patientinnen und -Patienten zu kämpfen haben, droht ein Kollaps auf den Intensiv-Stationen, wenn dort die gewohnte Anzahl an „normalen” Notfällen eintrifft. Die Entscheidung des Kantons ist also mehr als nachvollziehbar – auch für die Veranstalter, die sich in ihrem offiziellen Statement trotzdem und nachvollziehbarer Weise enttäuscht geben:

„Wir stehen hinter der Entscheidung der Behörden. Aber wir sind enttäuscht, denn wir sind überzeugt, dass die Absage dieses Mal vermeidbar gewesen wäre. Hiermit appellieren wir an die Bevölkerung: Bitte verhaltet euch entsprechend oder lasst euch impfen, damit (nicht nur in der Kulturbranche) endlich wieder ein wenig Normalität einkehrt.”

„Wir stehen hinter der Entscheidung der Behörden. Aber wir sind enttäuscht, denn wir sind überzeugt, dass die Absage dieses Mal vermeidbar gewesen wäre.”

Openair Frauenfeld

Dieser kurze Abschnitt ist aus mehreren Sichtweisen bemerkenswert. Die Zürcher First Event AG gab sich stets selbstbewusst im Bezug auf die Durchführung – auch als ein Grossteil anderer Veranstaltungen dieser Grössenordnung europaweit abgesagt wurde.

Während die meisten grossen Festivals bereits auf 2022 verschoben waren, transformierten die Organisatoren das Openair Frauenfeld zum Frauenfeldli. Ein spannender Schritt, der vor allem auch eine Menge Hingabe verlangt.

Vor der Absage hatten sich die First Event AG online überaus zuversichtlich gegeben: „Wir, Expert*innen und die Behörden rechnen fest mit der Durchführung. Auch wenn sich die Pandemie nochmals verschärfen sollte, bieten wir die geeigneten Schutzmassnahmen. Die Erfahrungen der letzten Monate lehren uns jedoch, dass man nichts ausschliessen kann.”

Future, der Rapstar aus Atlanta, einer der Headliner am Frauenfeldli

Die Absage wäre vermeidbar gewesen, so die Veranstalter

Nun überholte die Pandemie einmal mehr die Kulturbranche, die durch alle Sparten hinweg extrem zu kämpfen hat. Das stetige Auf- und Ab aus Hoffnung, Planung und Absage ist extrem zermürbend und ab einem gewissen Punkt kaum mehr zu ertragen. Das nagt. Und nagt. Und nagt. Auch oder gerade wenn man die Massnahmen der Behörden nachvollziehen kann und für richtig erachtet.

„Das stetige Auf- und Ab aus Hoffnung, Planung und Absage ist extrem zermürbend und ab einem gewissen Punkt kaum mehr zu ertragen. Das nagt. Und nagt. Und nagt.”

Jeremias Heppeler

Entsprechend räsoniert vor allem der Impfaufruf der Veranstalter nach. Die Corona-Zahlen sprechen momentan eine eindeutige Sprache: Ein Grossteil der Krankenhauseinweisungen besteht aus Ungeimpften. Die Wahrscheinlichkeit als geimpfte Person, aber mit Corona-Erkrankung auf einer Intensivstation zu landen, geht gegen Null. Und in einem Satz wird der Frust der Veranstaltenden (sowohl im konkreten Beispiel, wie auch im Allgemeinen) mehr als deutlich: Diese Art der Absage wäre (bei höherer Impfquote) vermeidbar gewesen.

Zu früh zu gross geplant?

Die Frage, inwiefern es überhaupt sinnvoll gewesen wäre das Frauenfeldli durchzuführen, ist an dieser Stelle nun obsolet. Nichtsdestotrotz möchte ich meine Gedanken zu diesem durchaus mehrschichtigen Fragekomplex nicht vorenthalten. Abermals spricht mein Vergangenheits-Ich:

Darüber hinaus erscheint eine Veranstaltung wie das Frauenfeldli nach einer derart entbehrungsreichen Zeit, die vor allem auch die jüngeren Generationen in den vergangenen eineinhalb Jahren durchstehen mussten (trotz geringer gesundheitlicher Gefahr), wie ein Hoffnungsblitzen am Horizont.

„Festivals sind durchaus identitätsstiftend und schaffen Erinnungskomplexe, die ganze Leben prägen können. Das ist Fakt und es wäre diesen Generationen von Herzen zu wünschen, dass sie nach diesen verlorenen Sommern sich ein wenig Normalität, und ja, auch ein wenig positiv besetzten Ausnahmezustand zurückerobern könnten.”

Jeremias Heppeler 

Festivals sind durchaus identitätsstiftend und schaffen Erinnungskomplexe, die ganze Leben prägen können. Das ist Fakt und es wäre diesen Generationen von Herzen zu wünschen, dass sie nach diesen verlorenen Sommern sich ein wenig Normalität, und ja, auch ein wenig positiv besetzten Ausnahmezustand zurückerobern könnten. Und auch den Bookerinnen und Bookern, Veranstaltenden, den Gastro-Leuten und nicht zuletzt den Künstlerinnen und Künstlern sei eine herausragende Festival-Woche von Herzen gegönnt!

Aber eine Frage bleibt eben trotzdem: Kann eine Veranstaltung dieser Art und diesen Ausmasses wirklich sicher durchgeführt werden? Klar, das Publikum des Openair Frauenfeld liegt traditionsgemäss grösstenteils in den Altersklassen zwischen 15 und 35, gepaart mit den 3G-Regeln und  dem Freiluft-Charakter der gesamten Veranstaltung, kann und wird sich das Risiko für die aktiven Besucherinnen und Besucher stark minimieren.

Auch Schweizer Stars wie Loredana wären ans Frauenfeldli gekommen

Die Gefahr im Angesicht von stetig steigenden Zahlen liegt aber in der Schneeballwirkung, die eine solche Massenveranstaltung – gerade auch durch eine potentiell stärkere Vermischung durch die Tageskarten-Regelung – mit sich bringt. Bei allem guten Willen und allen Hygiene-Anweisungen: Auf einem Festival können Abstandsregelungen nicht eingehalten werden. Das ist unmöglich.

Und so ergibt sich ein Cocktail der gemischten Gefühle mit Blick auf das Frauenfeldli – ein Gefühl, das gegenwärtig auch die potentiellen Festivalbesucherinnen und -besucher zu teilen scheinen: Aktuell sind alle Kategorien von Tickets – trotz der limiertierten Besucherzahl und des mehr als anständigen Line-Ups – noch zu haben. Das scheint ungewöhnlich und ist vielleicht auch Indiz dafür, dass das Festival-Publikum noch abwartend auf die gegenwärtigen Pandemie-Entwicklungen blickt. Zu oft mussten Termine zuletzt (und teils mehrfach) verschoben werden. Zu viele Veranstaltungen wurden in den vergangenen Monaten teils auch kurzfristig abgesagt. Eine neue, wenn auch bittere Realität der Veranstaltungsbranche.”

Der Deutsche Rapper RIN wäre ebenfalls live aufgetreten

Die Pandemie und der Überlebenskampf der Kulturbranche ist noch nicht vorbei

Besagten Cocktail müssen wir nun nicht auslöffeln, wir haben ihn mit einem grossen Schluck geleert. Und es bleibt doch ein bitterer Nachgeschmack. Denn die Absage des Frauenfeldli ist im grossen und ganzen Zusammenhang zwar nur eine Absage von Tausenden, nichtsdestotrotz besitzt sie ganz konkrete Signalwirkung: Diese Pandemie ist noch nicht zu Ende. Wir sind mittendrin.

„Denn die Absage des Frauenfeldli ist im grossen und ganzen Zusammenhang zwar nur eine Absage von Tausenden, nichtsdestotrotz besitzt sie ganz konkrete Signalwirkung: Diese Pandemie ist noch nicht zu Ende. Wir sind mittendrin.”

Jeremias Heppeler

Und der Überlebenskampf der Kulturbranche ist noch nicht vorbei. Mit jedem Wochenende, an dem keine Konzerte, kein Theater, keine Festivals oder Ausstellungen stattfinden können, rücken Kulturschaffende weiter an den Abgrund. Das klingt ein wenig überdramatisch, aber nur weil wir uns langsam an die Umstände gewöhnt haben, macht es diese nicht erträglicher. Bald sind es zwei Jahre, in denen die Kulturbranche nur gelähmt und in Zeitlupe agieren konnte.

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