von Anabel Roque Rodríguez, 18.10.2022
Das Klima, die Krise und die Kunst
In was für einer Welt leben wir eigentlich? Und was können Kunstschaffende darin bewirken? Die Ausstellung «Palm trees und snowballs» im Eisenwerk zeigt, die Möglichkeiten der Kunst, Impulse zu setzen, ohne pädagogisch zu werden. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
«Die Ausstellung ist fast mehr sowas wie ein Forschungsprojekt, in dem verschiedene Perspektiven zu einem Thema zusammenkommen. Daher kann man sie auch nicht einfach in ein paar Sekunden sehen, sondern braucht schon ein bisschen Zeit um zu entdecken» erläutert Stefan Rohner die Ausstellung, die er als Künstlerkurator organisiert hat.
Er hatte die Idee, die auch davon motiviert war, dass die in Berlin lebende Künstlerin Julia Körner gerne in der Schweiz ausstellen wollte. Durch eines ihrer Werke inspiriert, entstand dann wiederum der Ausstellungstitel «Palm trees und snowballs».
Was uns verbindet
Überhaupt ist die Ausstellung von Verbindungen und Verbundenheit geprägt, denn alle eingeladenen Kunstschaffenden stehen in freundschaftlicher Beziehung zu Stefan Rohner und seinem persönlichen künstlerischen Ökosystem.
Auch das Shed im Eisenwerk und die Programmgruppe mit Mirjam Wanner sind durch die Zusammenarbeit zu einem Teil dieses Systems geworden. «Den Herbst halten wir im Programm oft für externe Projekte frei. Es geht dabei darum den Kreis auszudehnen und neue Beziehungen zu neuen Künstler:innen zu knüpfen. Die Zusammenarbeit mit Stefan war toll, weil es ein richtiges Herausarbeiten war», sagt Wanner.
Kein Schenkelklopfhumor
Dieser freundschaftliche Hintergrund lässt die Ausstellung vielleicht auch besonders poetisch wirken. Die Sicht auf die Welt wird von ähnlichen Werten getragen, in der Ausstellung zeigt sich das im durchblitzenden Humor.
«Es muss kein Schenkelklopfhumor sein, aber man steht dem Thema Klimawandel sonst machtlos gegenüber. Die Ausstellung soll spielerisch und humorvoll zeigen, dass Kunst auch andere Perspektiven einnehmen und vor allem auch junge Positionen und Gedanken einbinden kann», fasst es der Kurator zusammen.
Rohners Klima-Sound-Dusche setzt die Überlegung in die Praxis um: als Besucher:in kann man sich unter einen Regenbogenschirm stellen und wird dann mit Statements zum Klima von Schüler:innen der Atelier Schule Zürich berieselt.
Optimismus, Humor und tiefer Respekt
Die Generation Fridays for Future setzt die Denkimpulse, die Kunst schafft den Raum. Der Regenbogen bringt noch ein wenig Hoffnung ins Bild. Auf die Frage, ob der Künstler grundsätzlich positiv ist lacht er ein lautes «Ja» heraus.
Und vielleicht erzählt genau diese Mischung aus Optimismus und Humor, von einem tiefen Respekt für die Welt und sorgt dafür, dass die Ausstellung dadurch nie zu einer Karikatur wird.
Zwischen Ozeanien und Bodensee
Zum Beispiel in Stefan Rohners Installation «Flip-Flop-Wellen», die im ersten Moment Urlaubsgefühle heraufbeschwört, dann aber mit dem nötigen Hintergrund eine Verbindungslinie zwischen dem Südpazifik und dem Bodensee zieht. Der Kreis der Flip-Flops, wird von oben herab mit Aufnahmen von Bodenseewellen fein überflutet.
Es geht um den steigenden Meerespegel in Ozeanien, dem ganze Inselgruppen drohen zum Opfer zu fallen. Einerseits. Andererseits aber auch um die Lage am Bodensee, denn auch hier sorgen die klimatischen Veränderungen für sich wandelnde Ressourcen.
Platz für Ernsthaftigkeit
Gerade in den letzten Jahren zeigt sich zunehmend eine Tendenz, dass Künstler:innen wieder vermehrt mit Forscher:innen arbeiten oder selbst forschend sind, insbesondere wenn es um den Themenschwerpunkt Umwelt und Natur geht. Es wurde bereits der «Ecological turn» ausgerufen, in dem künstlerische Praktiken zusammengefasst werden, die nach dringenden Antworten für zentrale Fragen suchen.
Es ist eine Kunst, die viel Zeit für Forschung benötigt, in langen Projekten arbeitet und deren Ausstellung eine Kontextualisierung braucht. Es sind Themen, die im Augenblick unheimlich zeitgemäss sind und doch oft an den Produktionsbedingungen scheitern. Kurz: Es ist eine Kunst mit wichtigen Werten, aber wenig finanziellem Ertrag.
Die Kunst und ihr Verhältnis zur Welt
Während meines Rundganges mit Stefan Rohner, Brigit Edelmann und Mirjam Wanner entzündet sich genau an dieser Stelle, vor der Arbeit von Julia Körner eine Diskussion darüber, wie schwer verkäuflich diese Versuchsanordnungen sind, wie wenig über die Vereinbarkeit von künstlerischer Praxis und Familie während Residency-Aufenthalten nachgedacht wird und wie viele Kosten der Kunstschaffende oft am Ende selbst trägt. Es sind wichtige Diskussionen, wenn man über Kunst im Verhältnis zur Welt nachdenkt.
Forschung ist kreativ
Brigit Edelmanns Recherche präsentiert ihre Kunst auf einem grossen Tisch mit Palmsamen, Petrischalen und Laborequipment. Im Gespräch erzählt sie, wie sich ihre Ideen anhand von Kontrasten und Polen entwickeln.
So trifft Eis auf Hitze, Gletscherschmelze auf Klimawandel und plötzlich sind wir in St. Gallen, wo seit ein paar Jahren Palmen keimen, die vorher dort nicht heimisch waren, aber das Klima es nun begünstigt.
Die Palme im Kühlschrank
Von hier spannt Edelmann einen Bogen in den Norden, nach Spitzbergen, wo sich der weltweite Saatgut Tresor befindet und sie auf dem Tisch das Modell nachgebaut hat.
Die Geschichte geht in der Ausstellung weiter, wir sehen eine Palme im Kühlschrank, genauer gesagt eine Hanfpalme aus dem Tessin, die vor ein paar hundert Jahren dort heimisch wurde und der er bald selbst zu heiss werden könnte.
Ganz im Einklang mit dem Titel zeigt sie auch eine Installation aus silbernen Rettungsdecken, die sie zu Eisbergen drapiert hat und beleuchtet.
Natürlich ist es ein Mahnmal, aber es ist vor allem auch eine wirklich ästhetische Arbeit, die nicht vergisst, dass hier – in einer Ausstellung – sozialpolitischer Kommentar mit den Mitteln der Kunst funktionieren muss.
Die Natur als Sehnsuchtsort
Immer wieder tauchen während dem Rundgang die Verbindungen zwischen künstlich, künstlerisch und natürlich auf. Überlappungen, die in der Klimakrise eine Rolle spielen.
Auch in der Werkgruppe von Michael Bodenmann finden sich Gedanken dazu. An der Wand steht in roter Neonschrift der Satz «I started noticing tiny Things». Ein Satz, der den Kern jeden Wandels beschreibt, der mit unscheinbaren Veränderungen beginnt.
Dem Satz gegenübergestellt ist eine kleine in Bronze gegossene Palme. Das ursprüngliche Objekt war aus Plastik und hatte der Künstler während einer Reise erworben. Palmen als Urlaubssymbole für Nordeuropäer sind nicht mehr so unschuldig, wie sie einmal waren. Die Welt ist im Wandel und so auch unsere Sehnsuchtsorte.
Was wären wir ohne Hoffnung?
Die Malereien von Julia Körner sprechen ebenfalls von Sehnsucht, gehen dabei aber viel stärker in die Imagination. Ihre Naturdarstellungen sind rein künstlerisch, beschreiben Gefühlszustände.
Wie sieht die Welt aus, wenn wir die Hoffnung aufgeben? Wie, wenn wir an ihr festhalten? In welcher Welt wollen wir dann leben?
Die Ausstellung «Palm trees und snowballs» wird von der Neugierde aller beteiligter Kunstschaffenden getragen, denn obwohl alle sehr unterschiedlich arbeiten, teilen sie einen poetischen Blick auf die Welt. Vor allem glänzt die Ausstellung aber damit Verbindungen zu schaffen, die manchmal sogar die Beteiligten selbst überraschen.
Noch bis 29. Oktober geöffnet
Die Ausstellung «Palm trees und snowballs» ist noch bis zum 29. Oktober im Eisenwerk Shed zu sehen. Am Donnerstag, 27. Oktober, 19 Uhr, gibt es einen gemeinsamen Rundgang durch die Ausstellung mit den Künstler:innen.
Die Öffnungszeiten:
Do/Fr 19 bis 21 Uhr und Sa 16 bis 20 Uhr
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