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von Anabel Roque Rodríguez, 09.08.2022

Lasst uns reden!

Lasst uns reden!
Nachdenken über Kunst und die Welt: Geht gut in der aktuellen Ausstellung in der Remise Weinfelden von Katharina Henking und Guido von Stürler. | © Anabel Roque Rodriguez

In diesem Jahr bespielen Guido von Stürler und Katharina Henking das Sommeratelier in der Remise Weinfelden. Gemeinsam schaffen sie einen Dialog über den Zustand der Welt. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Kollaborationen sind in Mode. Trotzdem muss man sich jedes Mal fragen, wie sinnvoll sie sind – jenseits des Trends. Der Künstler Guido von Stürler beantwortet die Frage bereits, bevor man sie ihm direkt stellen kann – auf der Homepage der Remise:

«Da ich sehr gerne im Team arbeite, hat mich dies dazu bewogen, jemanden zu suchen, die oder der plastisch/installativ und unter anderem mit natürlichen Materialien, aber auch mit Kunststoff beziehungsweise industriellem Abfall arbeitet. Zudem wollte ich mich nicht in diesem seltsamen closed-gender Fahrwasser (nur männliche/nur weibliche Duos/Teams) begeben. Uninteressant!»

Die beiden arbeiten im Sommeratelier zum ersten Mal zusammen und die Fragen, die sich Guido von Stürler im Frühjahr noch stellte: «Wie stark wird der gegenseitige Einfluss sein, der Einfluss des Ortes? Werden wir sogar auf neue Ideen stossen?» finden jetzt in der Remise Weinfelden ihre Beantwortung. Oder in den Worten von Guido von Stürler «davor haben wir uns angehimmelt, jetzt haben wir uns kennengelernt.»

 

Kunsthistorikerin Corinne Schatz mit den Künstler:innen Guido von Stürler und Katharina Henking. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Gegenseitige Beeinflussung

Die Ausstellung fühlt sich an wie ein gemeinsamer Dialog. Es ist auffällig, wie sehr sich beide Künstler gegenseitig während dem Arbeiten beeinflusst haben. Guido von Stürler erzählt, wie er vom Staub, der bei einer Schleif-Arbeit von Katharina entstand, inspiriert wurde und schliesslich sogar zur Grundlage einer eigenen Arbeit wurde.

Beide Kunstschaffenden arbeiten medial vielseitig und installativ. Ihr Interesse gilt oft gefundenen, alltäglichen Materialien aus Natur, Baumarkt oder Industrie.

Obwohl die Arbeitsweise sehr unterschiedlich ist, teilen sie poetische Sichtweisen auf das Leben und beschäftigen sich mit existentiellen Fragen zu Schönheit, Vergänglichkeit und den schwindenden Ressourcen auf dieser Welt.

In der Krise liegt die Kraft

Katharina Henking erzählt während des Rundgangs, wie ihre Arbeiten häufig im Moment der Krise beginnen. So auch dieses Mal, denn Guido von Stürler hatte bereits zu arbeiten begonnen und dieser Vorsprung erzeugte einen Druck bei ihr.

Gleich am Eingang des Untergeschosses befindet sich dazu eine Arbeit, die sich dem Gefühl des existenziellen Nichts als eine Art Vakuum und transformative Kraft widmet. Auf einer Schiefertafel steht mit Kreide auf Französisch: pas d’idés / pas d’inspiration / pas de rêves / pas de sens / pas de message / rien

 

«Ich thematisiere Krise und Leere, weil sie oft der Anfang von meinem Transformationsprozess ist.»

Katharina Henking, Künstlerin

«Jede Ausstellung verlangt etwas von einem Künstler und es ist immer eine Frage danach, wie stark man sich unterordnet. Es wird erwartet, dass man immer inspiriert ist. Leere ist das Gegenspiel von Inspiration. Ich thematisiere Krise und Leere, weil sie oft der Anfang von meinem Transformationsprozess ist. Während der Pandemie gab es immer wieder Momente der Leere und des Nichts», gibt Katharina Henking einen Einblick in ihr Schaffen.

Die Vergänglichkeit bleibt ein Grundelement im Untergeschoss und zeigt sich auch in der weiteren Arbeit «Danse de Vanités». Sie besteht aus getrockneten Ästen, die ineinandergesteckt sind und zum Teil aus recycelten Gebrauchsgegenständen.

«Ich mag den Gedanken, dass die Installation nicht einfach eingepackt werden kann. Vanitas bildet eine Art Spannungsgrundlage von Geburt zu tot. Ich habe Mühe mit dem Anspruch, Kunst für die Ewigkeit zu schaffen. Ich habe schon immer gesammelt und eine Liebe für pflanzliches Material», sagt die Künstlerin.

 

«Danse de Vanités» von Katharina Henking. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

«Ich habe Mühe mit dem Anspruch, Kunst für die Ewigkeit zu schaffen.»

Katharina Henking, Künstlerin

Katharina Henkings Interesse an der Vergänglichkeit des Materials ist auch von der Idee des zyklischen Lebens durchzogen. Es geht nicht um die lineare Vorstellung von ständigem Wachstum, sondern viel eher darum, wie das menschliche Leben selbst von Brüchen gezeichnet ist.

Perioden des Schaffens wechseln mit Episoden der Stille und manchmal ist da auch das grosse Nichts oder die Frage, wie wir Menschen mit den begrenzten Ressourcen arbeiten können. Es überrascht also weniger, dass ihre pflanzlichen Materialien auch immer wieder im Dialog mit Alltagsmaterial wie Gummi eine Verbindung eingehen.

Eine Frage der Geduld

Blickt man auf die andere Hälfte des Untergeschosses begegnet uns auch bei Guido von Stürler der Moment der Vergänglichkeit. Er dekonstruiert die Allegorie der Geduld des italienischen Renaissance Malers Giorgio Vasari in sehr zeitgenössische Einzelteile und schafft daraus eine skulpturale Installation.

Hinter einem Vorhang verbirgt sich eine Installation mit Schläuchen, einem Material, das bei dem Künstler immer wieder auftaucht. Von oben tropft ganz langsam Wasser auf einen Untergrund. Eine Referenz auf das Sprichwort: «Steter Tropfen höhlt den Stein».

Der Künstler schafft seine Werke stets in Dialog mit der Zeit, so gibt es in den Werken meist einen sozio-politischen Moment. Hier sind es Bezüge zu Zitaten des früheren US-Präsidenten Donald Trump bei Twitter. «Wir leben in einem trumpesken Zeitalter. Es wirft die Frage auf, wie viel Duldsamkeit man braucht, um das zu ertragen oder ob man diese Geduld aufbringen sollte.».

 

Guido von Stürler und seine Arbeit «Jetztzeit revisietd». Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

«Wir leben in einem trumpesken Zeitalter. Es wirft die Frage auf, wie viel Duldsamkeit man braucht, um das zu ertragen oder ob man diese Geduld aufbringen sollte.»

Guido von Stürler, Künstler

Neben seiner Vorliebe für Gebrauchsmaterialien interessiert sich Guido von Stürler auch für Technologie. So begann er vor ein paar Monaten mit dem Experimentieren mit Augmented Reality und zeigt dies auch in seinen Arbeiten. An den Installationen sind QR-Codes zu finden, die eine zusätzliche Ebene zu den Arbeiten vor Ort schaffen.

Wie viel kann man mit Material erzählen?

Im Obergeschoss werden verschiedene Elemente in Dialog gebracht, aber vor allem zeigen sich kritische Kommentare auf die heutige Zeit. Die Arbeit «Pirouette (Das Ende des Eisbergs)» von Henking nähert sich in einem bittersüssen Totentanz und birgt die Botschaft des Klimawandels.

 

«Pirouette (Das Ende des Eisbergs)», Katharina Henking. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

Ihre Arbeit stellt damit essentielle Fragen einer Kunst in der heutigen Zeit: Welche Ästhetik nutzt man authentisch für ein solches Thema? Wie kann man mit den Mitteln der Kunst politische Themen aufbereiten? Ist Kunst Mahnmal oder Plattform für Dialog?

Beständiges Suchen

Im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Corinne Schatz gibt Guido von Stürler ein paar Einblicke in sein Verständnis von Ästhetik. Es ist ein Suchen danach, wie narrativ man mit Material sein kann und die Grenzen davon auszutesten.

«Ich bin nicht am griechischen perfekten Schönheitsbegriff interessiert, sondern vom japanischen Wabi-Sabi, der Ästhetik des Unvollkommenen fasziniert. Insbesondere die Kintsugi Ästhethik des Zerbrochenen spricht mich an. Schönheit liegt in der Autentizität und nicht in der Perfektion. Mich interessieren bei den Arbeiten Momente der Präsenz – Es muss nicht immer alles neu geschaffen werden».

 

«Windscreens» von Guido von Stürler. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

«Schönheit liegt in der Autentizität und nicht in der Perfektion.»

Guido von Stürler, Künstler

So sehen wir in seiner Installation vier gesplitterte Auto-Frontscheiben in einer Art Dialog mit Augmented Reality via QR-Code. Fotografiert man ihn ab können wir auf dem Handybildschirm einen Vogelflug, Ameisen oder eine Wespe beobachten. Diese Ästhetik ruft durchaus eine kontrollierte Endzeitstimmung hervor und man fragt sich, ob wir noch im Dialog mit der Natur leben können und wie ein solches Leben aussehen könnte.

Minimal als Essenz

An der Ausstellung überzeugt, dass in ihrem Nachdenken über Kunst und die Welt nicht alles neu geschaffen wurde. So verwendet Katharina Henking eine Installation mit Gummibändern erneut. Ursprünglich Teil einer anderen Arbeit, passen die Gummibänder perfekt in den Raum ohne verändert werden zu müssen.

In Referenz auf Minimal Art, einer Kunstrichtung aus den 1960-er Jahren, die sich auf elementare Formen, serielle Anordnungen, industrielle Materialien und Fertigungsweisen konzentrierte, schafft der Raum hier eine Art Pufferzone. Ist die Antwort auf zu viel Konsumkultur also Minimalismus? In seinem bedrückenden schwarz muss man unweigerlich an einen Raum der Bestrafung oder Busse denken. Das Raumerlebnis erzeugt mit dem Geruch und dem Licht auf jeden Fall eine körperliche Reaktion.

 

«Soft Balls» von Katharina Henking. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Das unbestimmte Grollen in der Gesellschaft

Die Ausstellung mündet im Dachgeschoss in der Arbeit «Unbestimmtes Grollen». Im Nachdenken über Leben und Tod und wie wir Menschen in Gemeinschaft denken, geht es hier um Konflikte. Natürlich kommt man nicht umher, an die Situation in der Ukraine zu denken.

Katharina Henking zerredet die Arbeit nicht, sondern sagt zum Abschluss, dass es die Gedanken dazu bei einem Glas Wein gibt. Überhaupt lädt der Besuch in der Remise in Weinfelden zum Dialog ein – es ist die Art wie wir Menschen im Diskurs bleiben und die Grundlage in Gemeinschaft zu leben. Also hingehen und die Gedanken kreisen lassen.

Termin: Die Ausstellung ist noch bis zum 11. September zu sehen.

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