von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 19.12.2022
«Das Stapferhaus ist ein Ort des Empowerments!»
Sibylle Lichtensteiger hat das Stapferhaus in Lenzburg zu einem der besten Museen Europas gemacht. Wie hat sie das geschafft? Ein Interview über moderne Museumsarbeit und konsequente Besucher:innen-Orientierung. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Frau Lichtensteiger, wie würden Sie das Stapferhaus beschreiben?
Das Stapferhaus ist ein Raum an dem man sich physisch begegnen kann, aber auch ein Ort an dem man Sachen ausprobieren kann und neue Denkweisen erleben kann. Wir wollen in unseren Ausstellungen verschiedene Positionen aufeinander treffen lassen. Was die Besucher:innen dann damit machen, überlassen wir ihnen.
Was macht das Stapferhaus anders als andere Museen?
Wir stellen Wertefragen unseres Zusammenlebens und wollen dabei aber in keine Polarisierung gehen. Uns geht es auch darum, dafür zu werben, Unterschiede auszuhalten in einer demokratischen Gesellschaft und das im respektvollen Miteinander. Das Stapferhaus ist auch ein Ort des Empowerments. Unsere Besucher:innen sollen die Ausstellungen nicht frustriert verlassen, sondern das Gefühl haben, dass sie selbst etwas zur Lösung eines Problems beitragen können.
Ist das Stapferhaus ein Museum?
Wir haben uns lange von Museumsbegriff abgegrenzt, aber inzwischen sehen wir, dass sich die Definition von Museen wandelt und mehr zu dem entwickelt, was auch wir tun: Geschichten im Raum zu erzählen. Insofern haben wir auch weniger Hemmungen, uns als Museum zu bezeichnen. Trotzdem sind wie nach wie vor kein klassisches Museum, weil wir beispielsweise keine eigene Sammlung im klassischen Sinn haben. Vielleicht trifft die Bezeichnung‚ «eine Bühne, die frei bespielbar ist» eher zu dem, was wir hier tun.
«Unsere Besucher:innen sollen die Ausstellungen nicht frustriert verlassen, sondern das Gefühl haben, dass sie selbst etwas zur Lösung eines Problems beitragen können.»
Sibylle Lichtensteiger, Direktorin Stapferhaus Lenzburg
Wie finden Sie Ihre Themen?
Bei der Themenfindung unserer Ausstellungen sind wir sehr frei, das läuft, je nach Thema, auch verschieden ab. Wir überlegen gemeinsam, was relevant sein könnte und am Ende entscheidet das Inhaltsteam über die Richtung. Allen Ausstellungen gemein ist, dass wir immer einen direkten Bezug zu den persönlichen Leben unserer Besucher:innen herstellen wollen. Die Menschen müssen das Gefühl bekommen, dass das Thema jetzt auch für sie relevant und wichtig ist – wenn es das nicht bereits ist.
Wenn Sie eine neue Ausstellung vorbereiten, welche Frage stellen Sie sich da am Anfang?
Eine der wichtigsten Fragen für uns bei der Konzeptionierung neuer Ausstellungen lautet: Was können wir zum gesellschaftlichen Diskurs beitragen, das nicht schon in anderen Ausstellungen gesagt wurde?
Gibt es so etwas wie eine klare Haltung mit der Sie an Themen gehen?
Ich glaube, was sich als Haltung durch all unsere Ausstellungen zieht, ist der Gedanke, dass alles meistens komplizierter ist, als es auf den ersten Blick scheint, es aber trotzdem lohnt sich auf eine Auseinandersetzung einzulassen.
«Man muss sich auch als Ausstellungsort ein gewisses Piratentum bewahren.»
Sibylle Lichtensteiger, Direktorin Stapferhaus Lenzburg
Wenn Sie jetzt nochmal ein neues Museum planen müssten, worauf würden Sie besonders achten?
Bei der Planung eines neuen Museums muss man sehr genau wissen, was man will. Und man muss das Glück haben, für das Gebäude Architekten und für die Ausstellungen ein Szenografie-Büro zu finden, die diese Idee genau umsetzen können.
Wenn der Start glückt - wie bleibt man als Museum erfolgreich?
Man muss sich auch als Ausstellungsort ein gewisses Piratentum bewahren. Das heisst zum Beispiel über die klassischen Vorstellungen von Ausstellungen hinauszudenken. Und nicht in Grenzen, sondern Möglichkeiten zu denken.
Zur Person
Sibylle Lichtensteiger (53) leitet seit 2012 das Stapferhaus in Lenzburg, bereits 2002 übernahm sie die Co-Leitung des Ausstellungshauses. Sie verantwortet als Gesamtleiterin den Neubau, der dem Stapferhaus seit 2018 eine neue Heimat bietet. Nebst den strategischen Entscheiden ist sie auch für die Themensetzung und die Kuration verantwortlich. Sie bringt mit: 20 Jahre Stapferhauserfahrung, Redaktionserfahrung als Journalistin bei Radio SRF, Studium der Geschichte und Germanistik in Zürich und Berlin. Lichtensteiger stammt ursprünglich aus dem Thurgau. Sie ist an Aadorf aufgewachsen. Während dem Studium unterrichtete sie an der Primarschule in Aadorf und war beim Radio Thurgau.
Zur aktuellen Ausstellung im Stapferhaus
Mehr zur aktuellen Natur-Ausstellung im Stapferhaus, kannst du hier nachlesen.
Das Stapferhaus im Internet: https://stapferhaus.ch/
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