von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 16.12.2022
Der Grenzgänger
Seit Herbst leitet David Bruder das Museum Rosenegg. Welche Pläne hat der Konstanzer mit dem Kreuzlinger Museum? Eine Begegnung. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Bevor die Rosenegg ein Museum wurde, war sie erst ein herrschaftliches Palais, dann eine Schule und seit 1937 auch eine Sammelstelle für heimatkundlich wertvolle Gegenstände. Auslöser hierfür war eine in der Stadt angeordnete „Estrich-Entrümpelungs-Aktion“: Alles, was hier bewahrenswert erschien, wurde im Vorfeld des drohenden Krieges auf dem Dachstock der Rosenegg gelagert.
So kamen zusammengewürfelte Objekte in ein Haus, das selbst über die Jahrzehnte wie ein Puzzle gewachsen war. Das Hinterhaus stammt vermutlich bereits aus dem 17. Jahrhundert.
Im Süden schliesst sich ein um 1750 erstellter Mittelbau an. Den sichtbarsten Teil des Gebäudes, der Palais mit seiner herrschaftlicher Fassade, errichtete der Wein- und Sanitätsmaterialhändler Johann Jakob Bächler (1752-1802) um 1785.
Raus aus dem Museum, rein ins Leben
Diese ursprünglich zusammengewürfelte Sammlung in einem zusammengepuzzleten Gebäude hat nun einen neuen Hausherren - der Historiker David Bruder ist seit August neuer Leiter des Museum Rosenegg. Er folgte auf Yvonne Istas, die sich nach fünf Jahren Richtung Hermann-Hesse-Haus verabschiedete.
Bruder ist kein Unbekannter in der Rosenegg. Er hatte zuletzt massgeblich dazu beigetragen, dass die Grenz-Ausstellung im Keller des Gebäudes zeitgemässer und publikumsnäher inszeniert wurde.
Die Geschichten wurden nicht nur multimedialer erzählt, sondern auch mittels QR-Codes aus dem Museum raus, in den öffentlichen Raum rein transportiert. An jene Orte, an denen sich Geschichte tatsächlich ereignete.
„Die Stadt soll sich hier widerspiegeln, die Rosenegg soll ein Ort werden an dem Geschichte und Geschichten erzählt werden.“
David Bruder, Leiter Museum Rosenegg
Jetzt ist er Museumsleiter und kann das Haus nach seinen Ideen neu gestalten. Wie das aussehen könnte? „Die Stadt soll sich hier widerspiegeln, die Rosenegg soll ein Ort werden an dem Geschichte und Geschichten erzählt werden“, sagt David Bruder.
Die Stadtgeschichte soll zentral werden, aber nicht ausschliesslich: „Auch Kunstausstellungen werden weiterhin ihren Platz haben. Eine alleinige Fokussierung auf Stadtgeschichte würde das Museum kleiner machen als es ist“, glaubt Bruder.
Seine Berufung zum Museumsleiter bezeichnet er für sich persönlich als grosse Möglichkeit: „Ich hab mir schon vorstellen können, mal ein Museum zu leiten, aber die Möglichkeit dazu schien lange nicht greifbar. Deshalb freue ich mich über die Chance, die ich hier bekomme.“
Erfahrungen als Stadtführer helfen jetzt
Wie er arbeitet und wie er sich Museumsarbeit heute vorstellt, das hat der 46-Jährige mit der Neugestaltung der Grenz-Ausstellung bereits gezeigt. Seine Erfahrungen als Autor lokalgeschichtlicher Themen helfen ihm dabei vermutlich ebenso wie seine Vermittlungsfähigkeiten aus den Stadtführungen, die er regelmässig zu historischen Themen zwischen Kreuzlingen und Konstanz anbietet. Ein Schwerpunkt dabei: Geschichten rund um die Grenze.
Rückblickend erkläre das nun auch seinen Weg in die Rosenegg, findet David Bruder: „Seit fünf Jahren habe ich mich thematisch in Richtung Kreuzlingen entwickelt, besonders mit dem Thema der Grenze habe ich mich intensiv befasst.“
Weil er sich sowohl in Kreuzlingen wie in Konstanz Zuhause fühlt, will er auch die Beziehungen über die Grenze verbessern und den Austausch befördern. Seine Kontakte zum Konstanzer Rosgartenmuseum können da sicher helfen.
Video: Die Grenze ist oft Thema in der Rosenegg
Die Rosenegg soll offener und partizipativer werden
Im Fokus steht für ihn jetzt aber, Kreuzlingen noch besser kennenzulernen. Das geht über die tägliche Arbeit, aber auch über Projekte. „Im Sommer 2023 planen wir eine Ausstellung, an der sich die Kreuzlinger und Kreuzlingerinnen beteiligen können. In ‚Kreuzlingen in 76 Objekten‘ wollen wir gemeinsam ein Mosaik der Stadtgeschichte entstehen lassen“, beschreibt David Bruder die Idee der ersten Ausstellung, die er inhaltlich verantwortet.
Das zeigt auch ein bisschen, in welche Richtung er die Rosenegg verändern will. Das Museum soll partizipativer und offener werden. „Das Publikum verändert sich, das bedeutet, wir müssen auch neue Wege der Vermittlung finden. Wir wollen da verschiedene Formate ausprobieren in den nächsten Jahren“, erklärt der neue Museumsleiter.
„Geschichte wiederholt sich nicht einfach, ist keine Blaupause. Aber sie hilft dabei, in Alternativen zu denken.“
David Bruder, Historiker
Neben der Vermittlung zählt er klassische Aufgaben wie Sammeln, Bewahren und Forschen zu den Kerngebieten eines Museums. „Hier eine Balance zu finden, ist eine der Herausforderungen als Museumsleiter“, sieht sich Bruder vor allem selbst in der Verantwortung.
Er weiss dabei auch um die Grenzen seines Hauses. „Ziel ist es auch, unser museumspädagogisches Angebot auszubauen. Im Moment stossen wir da aber noch an Grenzen der Ressourcen.
Gerade die personelle Ausstattung des Museums hatte auch Bruders Vorgängerin Yvonne Istas nachhaltig frustriert. Die ersten Lehren haben Stadt und Stiftungsrat aus der Kritik gezogen, Bruder bekommt mit Laurent Schmidt einen zumindest in Teilzeit beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter zur Seite gestellt.
Auch Praktikant:innen sollen regelmässig eingebunden werden. „Das Museum braucht insgesamt personelle Verstärkung, wenn wir all unsere Aufgaben erfüllen sollen. Der Stiftungsrat sieht das auch so, aber es geht nicht alles auf einmal“, wirbt David Bruder um Geduld bei der Fortentwicklung der Rosenegg.
„Das Museum ist immer noch viel zu unbekannt. Das möchte ich ändern.“
David Bruder, Leiter Museum Rosenegg
Über die Frage nach seiner grössten Aufgaben in den kommenden Monaten muss David Bruder nicht lange nachdenken: „Die Arbeit mit der Sammlung wird eine grosse Aufgabe bleiben in den kommenden Jahren. Und: Das Museum ist immer noch viel zu unbekannt. Das möchte ich ändern.“
Dabei helfen könnte ihm sein Geschichtsverständnis und seine Herangehensweise an historische Themen. „Wer sich nicht für Geschichte interessiert, läuft blind durch die Welt. Erst durch ein gewisses Geschichtsverständnis bekommt man eine Sensibilität dafür, dass die Welt auch anders sein könnte, dass es andere Wege gab – und gibt. Geschichte wiederholt sich nicht einfach, ist keine Blaupause. Aber sie hilft dabei, in Alternativen zu denken.“
Die grosse Frage: Entsteht hier ein neuer spannender Ort?
Wenn es David Bruder gelingt, diese Haltung in die Arbeit der Rosenegg zu spiegeln, dann könnte das Museum ein inspirierender Ort für Kreuzlingen werden.
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