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von Maria Schorpp, 14.03.2022

Der Grusel des Alltags

Der Grusel des Alltags
Meister des Irrsinns: Sebastian Rüger und Frank Smilgies sind Ulan & Bator und verblüffen ihr Publikum jedes Mal aufs Neue | © Enrico Meyer

Das Bühnen-Duo Ulan & Bator spielte beim KIK-Festival Kreuzlingen im Theater an der Grenze auf und brachte sein Publikum mehr zum Nachdenken als zum Lachen. Ihr Programm «Zukunst» birgt die Erkenntnisschätze Absudistans. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Am Ende ist man meistens schlauer: Die beiden Männer im grauen Anzug, die auf der Bühne sitzend in den Publikumsraum schauen, sind eigentlich das Publikum, wie sich herausstellen wird. Bis sie in ihren Hosentaschen jeweils diese Strickkappen mit Bommel finden und sie sich anziehen.

Die dadurch verursachte Verwandlung zum Bühnenduo Ulan & Bator geht mit körperlichen Verwerfungen einher. Als ob sich mit dem Aufsetzen alles in ihnen umstülpen würde und nun nichts mehr so wäre wie zuvor. Das erinnert an einschlägige Science-Fiction-Monster-Filme und ist ein bisschen gruslig.

Und so ist man auch schon ein bisschen auf alles gefasst, wie es losgeht mit der logischen Ungereimtheit, dass jemand ins Sportgeschäft kommt, um keine Einbauküche zu kaufen (siehe Video unten). Der Witz mit dem vergegenständlichten Nichts ist zwar nicht ganz neu, aber jedes Mal doch wieder frappierend. Zumal wenn der Sketch so Loriot-like gestrickt ist und von zwei gelernten Schauspielern wie Sebastian Rüger und Frank Smilgies gegeben wird, die ihre Kunst zum Vergnügen ihres Publikums einsetzen.

Video: Einblicke in das Programm «Zukunst»

Spotlights auf den Irrsinn

Der Sketch gehört zu ihrem Bühnenprogramm mit dem Titel „Zukunst“, in dem vieles zusammenkommt, das nicht unbedingt zusammengehört, aber am Ende trotzdem etwas Ganzes ergibt. Über das, was es mit der „Zukunst“ auf sich hat, lässt sich nachdenken, was für einiges in diesem Programm gilt, das nicht so sehr auf die Eindeutigkeit von Pointen setzt, sondern kurze Spotlights auf Szenerien wirft, die dem Irrsinn den ihm gebührenden Platz einräumen.

Da steht der zum Menschen mutierte Käsezwerg im Wohnzimmer, einst im Kühlschrank vergessen, und verlangt Bleiberecht. Im Grunde auch nicht irrer als der Volksweisheit vortäuschende Spruch „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“.

Vielleicht sollte man die Nummer im Gleichklang sehen mit dem ebenfalls vorgetragenen Drei-Worte-Singsang der beiden „Hunger, Pippi, kalt“. Klingt verdächtig nach der derselben zivilisatorischen Entwicklungsstufe.

 

Ulan & Bator in Aktion. Bild: Sandra Klein

Der Reichtum Absudistans

Die Vielseitigkeit des Programms, der Figuren, Formen und Szenerien, garantiert meist beste Unterhaltung mit doppeltem Boden. Da ist dieser eitle Geck, der als Grossintellektueller in der Talkshow sitzt und sich auf pseudointellektuelle Fragen damit aufbläst, wen er schon alles getroffen hat im Leben – angefangen bei Hitler und endend mit Christo und Jeanne-Claude.

Während solche Sachen wie das Interview mit dem fünfmaligen Nicht-Europas-Fussballer-des-Jahres eher etwas mau ausfallen, sind die beiden Arbeiter, die sich beim täglichen brutalen Routinestumpfsinn als harte Jungs geben, um sich in jeder unbeaufsichtigten Minute dem Ausdruckstanz hinzugeben, nach wie vor der Hammer.

Vieles bei Ulan & Bator hat seinen Ursprung in der Sprache und der Musik: der Physik-Nobelpreisträger, der in seiner Dankesrede in Stockholm unbeirrbar seinem verehrten Vorbild „Isaak Nutten“ huldigt, oder die Musiker, die sich in der Endlosschleife immer desselben banalen Refrains verlieren. Luftgitarren gibt’s obendrauf.

Aliens und Kafka

Ja, und dann das anfangs erwähnte Gruselmoment. Der neue Nachbar steht vor der Tür, um sich vorzustellen. Sebastian Rüger und Frank Smilgies bringen dabei – ein genialer Streich – Aliens mit Kafka zusammen. Anfänglich winden sich die beiden benachbarten Anlieger, als könnten sie angesichts des Fremden, das ihnen nahekommt, das Unwesen in sich kaum noch im Zaum halten.

Bis sie feststellen, dass sie nicht nur ein völlig identisches Haus bewohnen, sondern auch eine völlig identische Vergangenheit besitzen. Das scheint sie versöhnlich zu stimmen – zunächst. Man möchte angesichts dieser Monster gar nicht weiterdenken.

Apropos weiterdenken: Am Ende, wenn sich die zwei Bühnenmenschen wieder in Publikum zurückverwandelt haben, sieht es aus, als sei tatsächlich etwas anders als zuvor. Was ist, wenn sich in den beiden Anzugträgern mehr verbirgt als biedere Graumäusigkeit?

Die Suggestivkraft der Komödianten

Dass man auf solche Gedanken kommen kann, hat mit der Suggestivkraft der bezwingenden Komödianten zu tun, die mal anders auf die Welt schauen und uns mitschauen lassen.

Sebastian Rüger hat sich dann noch im Namen von Ulan & Bator vom Spielort des Theaters an der Grenze verabschiedet. Schade fand er es, dass in dem Schopf im Hinterhof der Kreuzlinger Hauptstrasse, über 50 Jahre der Spielort des Theater, sehr bald die Lichter ausgehen werden. Dem kann man sich anschliessen.

Video: Nach dem Auftritt: Backstagegespräch mit Ulan & Bator (2017)

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