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von Andrin Uetz, 09.12.2021

Die innere Scheinheiligkeit

Die innere Scheinheiligkeit
Ganz schön explizit und doch irgendwie ausgewogen: Das Leporello 'Der gefallene Mann' von Valentin Magaro. | © Adrian Bleisch.

Ein Politiker, der über einen Sex-Skandal stürzt: Das ist der Kern der neuen Ausstellung von Valentin Magaro in der Galerie Bleisch in Arbon. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Die Lithographie „Der gefallene Mann” ist nach dem „Nonnenleporello” (2020) und „HCON REMMI TBEL SIVLE” (2021) das dritte Leporello von Valentin Magaro. Dieses erzählt die Geschichte des ungarischen Politikers und ehemaligen EU-Abgeordneten József Szájer, der 2020 während des Lockdown in Brüssel an einer Homosexuellen-, Sex- und Drogenparty erwischt wurde, die von der Polizei aufgrund der Missachtung der Coronaregeln aufgelöst wurde.

Gefundenes Fressen für die Medien, denn Szájer, der in der Heimat den ultrakonservativen Familienvater gibt, ist Mitglied der rechtspopulistischen Fidesz-Partei von Viktor Orbán. Jene Partei, die die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare in Ungarn untergräbt. „Diese Geschichte hat mich förmlich angesprungen”, sagt Magaro, denn die Thematik der Doppelmoral ist ein zentrales Moment seiner Arbeit.

Farbenfroh und vielseitig: Valentin Magaro in der Galerie Bleisch. Bild: Adrian Bleisch

Mit Humor und Feingespür erzählt

Wer nun eine plakative Kritik an gesellschaftlichen Moralvorstellungen erwartet, liegt falsch. Die Thematik der Doppelmoral wird von Magaro sehr vielschichtig angegangen und mit viel Feingespür zu kunstvollen Bildkompositionen verarbeitet.

Das Leporello beginnt mit dem Abschied von der Familie in Ungarn, gleitet nahtlos über zur Reise zu einer Konferenz nach Brüssel, und dann zum Besuch des Clubs, wo es durchaus explizit zu und her geht. Darauf folgt der Fluchtversuch einer Dachrinne entlang, wobei der Politiker bei Magaro tödlich stürzt, und dann wieder aufersteht, um zurück bei seiner Familie an der Brust seiner Frau zu landen.

„Wir haben heute eine grosse Diskrepanz zwischen einem liberalen Selbstanspruch und einem moralisierenden Eifer.”

Valentin Magaro, Künstler

 

Durch eine vielschichtige Bild-Komposition wird der Fidesz-Politiker nicht einfach auf seine spiessbürgerliche Doppelmoral reduziert und karikiert. Statt dessen wird den Betrachtenden eine gewisse Identifikation mit seiner Figur ermöglicht.

Gleichzeitig wird das Publikum in die Position des schadenfrohen Voyeurismus versetzt, und eben auf diese an sich genauso unmoralische Lust an der Misere der anderen zurückgeworfen. Das kann durchaus als Kritik am tagtäglichen Medienkonsum verstanden werden. „Wir haben heute eine grosse Diskrepanz zwischen einem liberalen Selbstanspruch und einem moralisierenden Eifer”, sagt der Künstler im Gespräch.

Ausstellungsansicht in der Galerie Bleisch. Bild: Adrian Bleisch

Ornamentik, Komposition und Balance

Die comic-artige Erzählstruktur der Lithographien ist jedoch nur ein Element von Magaros Arbeiten. In der Galerie Bleisch ist eine grosse Fülle von verschiedenen Zeichnungen und Bildern zu bestaunen, welche zumeist eine Affinität zum klassischen Kunsthandwerk vermuten lassen.

So gibt es etwa eine Referenz an Hieronymus Boschs “Der Garten der Lüste” in einem Bild, welches die sommerliche Unbeschwertheit nach dem Lockdown zeigt, und sich dabei an den Symmetrien des berühmten Triptychons aus dem 15. Jahrhundert orientiert.

„Die labyrinthische Verschachtelung von Figur, Raum und Ornamentik ist handwerklich hervorragend gelöst.“

Valentina Bischof, Kunsthistorikerin

Wenn auch die oft pornografischen Körper und Figuren etwas austauschbar wirken, so sind die Kompositionen stets ausgewogen und lassen Humor und gewisse Leichtigkeit nicht vermissen. „Es treffen diverse Sujets und Bildzitate aus der Kunst- und Popkultur aufeinander. Die labyrinthische Verschachtelung von Figur, Raum und Ornamentik ist handwerklich hervorragend gelöst”, sagt die Kunsthistorikerin und Malerin Valentina Bischof zum Nonnenleporello.

Und so schwärmt auch der Galerist Adrian Bleisch: „Es ist unglaublich was für ein Innenleben diese Bilder haben. Wie kommt Valentin Magaro auf so etwas?” Eines ist auf jeden Fall klar, wer sich die Ausstellung in der Galerie Bleisch anschauen geht, sollte sich Zeit nehmen, und die Bigotterie besser zuhause lassen.

 

Eine Hommage von Valentin Magaro an an Hieronymus Boschs «Garten der Lüste». Bild: Andrin Uetz

 

 

 

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