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von Samantha Zaugg, 12.09.2019

Die letzte Party

Die letzte Party
Im Palace wird alles gefeiert: Weihnachten, Halloween, Cinco de Mayo, Israel Independence Day, hauptsache Party. Szene aus «Golden Age», Dokumentarfilm von Beat Oswald (2019) | © zVg

Altern in Würde oder teure Abschiebestation? In den USA gibt es Altersheime im Stile von Grandhotels. Viel Gold, viel Marmor, viel Champagner. Alte Leute werden von ihren Kindern abgeschoben und mit Luxus und Alkohol zufriedengestellt. Das ist nicht schön. Oder etwa doch? Der Frauenfelder Regisseur Beat Oswald hat darüber jetzt einen Film gedreht. Im Interview erklärt er warum und was ihn beim Dreh von «Golden Age» bewegt hat.

Der alte Mann treibt auf dem Rücken im Wasser. Auf dem Bauch hat er ein paar wenige Haare. Die Haut ist weiss und fein. An den Armen wird sie faltig und grob. An den gereizten Stellen ist die Haut rosa, an den Händen gelblich. Lila sind die Augenhöhlen, blau die hervorstehenden Adern, braun die Altersflecken. Die Kamera zeigt alles, als sie in Nahaufnahme den Körper entlang gleitet, um schliesslich abzutauchen ins kühle Blau des Swimmingpools. Es ist ein ungewohntes Bild, alte Haut, so nah.

Der Film «Golden Age» zeigt alte Menschen, wie wir sie selten sehen. Bild: zVg


Überhaupt zeigen die Filmemacher Beat Oswald und Samuel Weniger in ihrem Film «Golden Age» alte Menschen so, wie wir sie sonst selten sehen: In Nahaufnahme im Pool treibend. Aufgetakelt, betrunken, verwirrt, traurig, aber auch ausgelassen, singend, tanzend, lachend. Im Luxusaltersheim Palace in Miami spielen sich Szenen ab, die aus europäischer Sicht irritierend wirken können. Ab 12. September läuft der Film im Cinema Luna in Frauenfeld.

Beat, welche Gefühle hat dein erster Besuch im Palace bei dir ausgelöst?

Das ist das, was man aus Prospekten und dem Fernsehen kennt. Und das sehe ich jetzt im Real Life. Das war mein erster Gedanke. Ein Fünf-Sterne-Hotel, eine Luxuskreuzfahrt, das waren meine Assoziationen. Es hat eine amüsierte Neugierde ausgelöst. Der Ort hat mich nie abgestossen, er hat Lust geweckt zu schauen, was passiert hier alles.

Du hast das also neutral angeschaut, ohne zu werten?

Es hat Zeit gebraucht, bis wir die Wertung ablegen konnten. Nur schon das ganze Dekor. In jedem Raum gibt es Kronleuchter, Plastikblumen, all das vergoldete Zeug. Als Europäer hat man einen ganz anderen Zugang zur Frage, wie zeigt man Luxus. Aber gleichzeitig war da auch eine Herzlichkeit, ein aufrichtiges Interesse. Durch diese menschlichen Beziehungen, die wir während drei Monaten Dreharbeiten aufgebaut haben, fielen Neid, und Befremdung in sich zusammen.

Im Palace gibt es den ganzen Tag Shows und Partys. Wart ihr als Filmcrew für die Bewohnerinnen und Bewohner nicht einfach eine weitere Form von Unterhaltung?

Das war auf jeden Fall so. Wenn wir reingekommen sind, dann waren wir einfach Teil des Unterhaltungsprogramms. Einfach noch jemand mehr neben dem Pianisten oder dem Bartender. Aus künstlerischer Perspektive macht das den Film interessant. Wir werden so zum eigenen Subjekt in unserer Tätigkeit. Auf die Spitze getrieben wurde es dann am Schluss, als wir den fertigen Film im Palace gezeigt haben.

Regisseur Beat Oswald. Bild: zVg

 

«Die Amis haben geschnallt, dass ein grosser Teil unserer Identitätsbildung über Konsum definiert wird.»

Beat Oswald, Regisseur 

Wie haben die Leute reagiert, als sie den Film gesehen haben?

Das Palace hat natürlich auch aus dieser Premiere eine gottlose Show gemacht, mit Oscar-Statuen und roten Teppichen. Aber es war der Hammer! Im Saal waren etwa 150 Personen. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind so herzig mit dem Film umgegangen. Fast jedes Mal wenn jemand im Film singt haben sie applaudiert. Zwischen Dreh und Premiere sind zwei Jahre vergangen, in dieser Zeit sind einige Bewohner gestorben. Die Hinterbliebenen haben so ein Zeugnis von den Leuten, das über den Film hinaus geh. Das waren die berührendsten Feedbacks, wenn jemand sagt, es ist so schön, dass mein Mann diese Szene hat.

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Hat sich niemand ausgestellt oder vorgeführt gefühlt?

Nein. Ich glaube, das ist auch ein sehr europäischer Ansatz. Es war schon eine Angst, die wir hatten. Zum Beispiel beim Interview mit den Besitzern des Palace. Die sitzen hin und sagen «We came to the United States to make money. Period.» oder «Old and sick always will be». Das ist ein Statement, bei dem jeder politisch korrekte Interviewcoach sagen würde, sag nie sowas. Aber das ist halt wieder das grosse Glück mit den Amis, sie sind stolz auf Sachen, für die wir uns nie so exponieren würden.

Würde der Film auch bei einem amerikanischen Publikum ankommen?

Das habe ich mich auch schon gefragt. Hier funktioniert der Film zu grossen Teilen wegen dem exotischen Aspekt: Schau mal die crazy Amis. Obwohl das das letzte ist, was ich empfinde und zeigen möchte. Deshalb nimmt es mich wunder, ob das für ein amerikanisches Publikum einfach zu normal ist. Im Frühling werden wir wahrscheinlich am Miami-Filmfestival Nordamerika Premiere feiern.

Im Film sieht man, wie die Leute leben, man sieht aber keine Leute sterben.

Das Palace definiert sich «Independent Living». Das heisst, solange du unabhängig bist, darfst du in diesem Gebäude sein. Es gibt andere Abteilungen mit Pflegestation. Da musst du hin, wenn du nicht mehr fit bist. Und das ist der grösste Diskussionspunkt: Wo ziehst du diese Grenze? Fängt das an, wenn du einen Walker brauchst, fängt es an, wenn du nicht mehr weisst, was gestern war oder erst, wenn du nicht mehr weisst, wer deine Kinder sind? Bestimmt das das Management oder bestimmen das die Bewohnerinnen und Bewohner? Die sind da am empfindlichsten. Die wollen keine Alten sehen, die auf dem Sofa einschlafen, die wollen keine Rollatoren sehen. Weil sie durch das an ihre eigene Zerbrechlichkeit erinnert werden.

«Das einzige was Eltern wirklich wollen, ist ihre Kinder umarmen und von ihnen wahrgenommen werden.»

Beat Oswald, Filmregisseur

Video: Trailer zum Film 

Mehrere Seniorinnen und Senioren erzählen, wie sie von ihren Kindern ins Palace abgeschoben wurden. Hat dich das traurig gemacht?

Bei dieser Frage sind die alten Leute wahnsinnig gefangen von ihren eigenen Idealen. Stell dir vor, du bist eine amerikanische Mutter. Dein Sohn ist Anwalt, er hat es geschafft und Karriere gemacht. Aber er hat auch keine Zeit für dich. Da kommst du in einen wahnsinnigen ideologischen Zwist. Genau das, was du dir für dein Kind immer gewünscht hast ist eingetroffen. Und weil er dein Idealbild erfüllt hat er keine Zeit mehr, um sich um dich zu kümmern. Das ist eine grosse Bremse, sich selbst leid zu tun. Man hat ja noch die andere Seite um sich festzuhalten: Mein Sohn hat es geschafft, er ist erfolgreich.

Es ist etwas wie eine unausgesprochene Verpflichtung. Deine Eltern haben auf dich geschaut als du klein warst, du schaust auf sie, wenn sie alt sind.

Ich glaube mit dem kapitalistischen Aufschwung der Nachkriegszeit haben wir einen Schritt gemacht, der sehr schöne Seiten hat. Aber wir sind uns nicht ganz bewusst, was das auf der familiären Ebene bedeutet. Die Kernfamilie steht bei uns über allem. Gleichzeitig haben aber die alten Leute diese Einsamkeit. Das empfinde ich als wahnsinnig irritierend. In unserer Kultur haben wir das Ideal der Aufteilung. Eltern haben das Bedürfnis ihre Kinder gehen zu lassen, sie wollen den Kindern ja nicht auf die Nerven gehen. Wir müssen sie gehen lassen - in diesem Satz ist so viel Schmerz, aber auch so viel Hoffnung. Das einzige was Eltern wirklich wollen, ist ihre Kinder umarmen und von ihnen wahrgenommen werden.

«Es hat Zeit gebraucht, bis wir unsere Wertung ablegen konnten.»

Beat Oswald, Regisseur

Die Besitzer des Palace: «Wir sind in die USA gekommen um Geld zu machen. Period.» Bild: zVg
Höre ich das richtig, du würdest es für dich nicht gut finden, an einem Ort wie dem Palace zu leben?

Mein grösster Wunsch ist es, dass ich mit meinen Kindern in benachbarten Häusern lebe, mit eigenen Grosskindern. Ein naiver und unrealistischer Wunsch, ich mache das mit meinen Eltern und meinen Schwiegereltern auch nicht. Also wird es auf eine Dienstleistung, auf eine institutionalisierte Ebene rauslaufen. Und da finde ich, das Palace, oder die Amis, haben etwas ganz Zentrales geschnallt. Sie ziehen das mit dem postmodernen Lebenszugang konsequent durch, während wir uns noch an Traditionen halten. Sie haben geschnallt, dass ein grosser Teil unserer Identitätsbildung über Konsum definiert wird.

Was meinst du damit?

Bei der grossen Frage, wer bin ich, meine Seele oder mein Körper, da geht man davon aus, ich bin die Seele. Ich bin Beat, weil ich das denke, das konsumiere, das lese. Aber irgendwann wird der Körper zu schwach, um mir Zugang zur Welt zu verschaffen. Ich kann nicht mehr laufen, nicht mehr lesen. Dann merke ich, Shit, ich bin eigentlich mein Körper. Er ist ja eigentlich die Grundlage von all dem. Und da macht das Palace etwas sehr richtig. Wenn dir die Welt entgleitet, wenn du keinen Zugang mehr zur Welt hast, dann kommt das Palace und bringt die Welt zu dir nach Hause. Zwar auf eine kleinere, fakey-disneyworld Art. Aber das Palace bringt das, was dich in deiner Identität ausgemacht hat zu dir.

Gymnastik unter Kronleuchtern. Bild: zVg

 

«Wenn dir die Welt entgleitet, wenn du keinen Zugang mehr zur Welt hast, dann kommt das Palace und bringt die Welt zu dir nach Hause.»

Beat Oswald, Regisseur

Der Regisseur Beat Oswald

Beat Oswald wurde 1982 in Frauenfeld geboren und ist in Aadorf aufgewachsen. Er absolvierte das Lehreseminar, danach Studium der Ethnologie und Publizistik an der Universität Zürich. Oswald wohnt mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern in Frauenfeld, seit 2010 ist er freischaffender Filmemacher. Zu den USA hat er einen engen Bezug, während dem Lehrerseminar verbrachte er ein Austauschjahr in Fort Myers. Es folgten weitere regelmässige Aufenthalte in Florida. So stiess Oswald schliesslich auf das Phänomen der Luxusaltersheime.

 

«Golden Age» läuft ab Donnerstag, 12. September im Cinema Luna. Am folgenden Samstag, 14. September, ist Beat Oswald für ein Filmgespräch im Luna zu Gast.

 

 

 

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