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von Jochen Kelter, 10.06.2021

Eine etwas andere Stadtgeschichte

Eine etwas andere Stadtgeschichte
Beim Frauenstreiktag 1994 protestieren Thurgauer und Konstanzer Aktivistinnen auf der Marktstätte. | © Louise Jochims

Zum 150-jährigen Jubiläum der Druckergewerkschaft in Konstanz ist ein Buch erschienen, das einen anderen Blick auf die Stadtgeschichte wirft – und ihre Beziehungen zur liberalen Schweiz. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

Im Jahr 1866 wurde der Verband der deutschen Buchdrucker gegründet, 1870 folgte sein Konstanzer Ortsverein. Die Stadt, zu jener Zeit zum Grossherzogtum Baden gehörig, ab 1871 auch zum Deutschen Reich, hatte damals um die 10.000 Einwohner. Im vergangenen Jahr also hätte unter normalen Umständen die Ortsgruppe Medien und Kunst der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die Nachfolgeorganisation der Drucker und Setzer, das Jubiläum, begangen.

Zusammen, so war es jedenfalls geplant, mit den Schweizer KollegInnen von der Gewerkschaft Unia, denn auch der Schweizerische Typographenbund, bereits 1858 gegründet (die Thurgauer Sektion folgte fünf Jahre später), der als älteste Gewerkschaft auf dem Kontinent gilt, existiert ebenfalls schon lange nicht mehr. Aber die grenzübergreifenden Veranstaltungen fielen und fallen der Corona-Pandemie zum Opfer.

Einladung zur grenzüberschreitenden Maifeier 1899 in Konstanz und Kreuzlingen. Quelle: Kreisarchiv Konstanz

Porträts einzelner Persönlichkeiten

Der von StudentInnen der Hochschule für Wirtschaft, Technik und Gestaltung (HTWG)  Konstanz grosszügig und mit zahlreichen Abbildungen übersichtlich gestaltete Band «Druck.Machen» (erschienen im Querwege-Verlag) eines Autorenkollektivs zeichnet die Geschichte der Gewerkschaft und der Arbeiterbewegung in 13 Kapiteln nicht nur nach, sondern ergänzt und bereichert sie auch durch Porträts einzelner Persönlichkeiten und setzt Schlaglichter auf einzelne Schwer- und Brennpunkte der Entwicklung der regionalen und überregionalen Arbeiterbewegung.

Der Gründung der Konstanzer Sektion der Buchdrucker ( und Setzer, die längst auch Gazetten und Flugblätter druckten) wohnten nur wenige Personen bei, die genaue Zahl ist offenbar nicht zu eruieren. Die zehn Druckereien, die es damals gab, beschäftigten insgesamt nur zwischen fünf und zehn Drucker und Setzer. Meist stand der Druckereibesitzer selber an der Maschine.

Nach der Novemberrevolution 1918 protestieren revolutionäre Soldaten auf dem Konstanzer Münsterplatz gegen die Berichterstattung der konservativen Konstanzer Nachrichten.  Quelle: Stadtarchiv Konstanz/ Z1.Postkartensammlung_MilitärIII

In der Schweiz lockten bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn

Aber Drucker und Setzer galten insgesamt als gebildeter als andere Arbeiter und häufig auch als das mittlere Bürgertum. Dazu kamen die wandernden Gesellen, die viel zur Vernetzung von Druckern und Setzern beitrugen, aber keine eigene Interessenvertretung besassen. Von Konstanz wanderten sie zudem häufig in die Schweiz weiter, wo bessere Arbeitsbedingungen und Lohn in Aussicht standen.

Die Arbeiterschaft politisierte um 1870 noch nahe am wirtschaftsliberalen Bürgertum. Doch dieses war zunehmend irritiert durch sozialreformerische Ideen und schloss die Sozialdemokraten 1873 aus ihrem Arbeiterbildungsverein aus. Diese gründeten noch im selben Jahr den «Vorwärts». Fortan gab es die Sozialistische Arbeiterpartei, die Vorläuferin der SPD, auch in Konstanz.

Bei internationalen Sozialistentreffen gegen den Faschismus 1930 lässt die Sozialistische Arbeiterjugend auf der Rheinbrücke roten Fahnen flattern. Bild: Stadtarchiv Konstanz/Z1.fi.394.17

Zuflucht in den Schweizer Gewerkschaften

Die Revolution von 1848 war in ganz Deutschland gescheitert, Pressefreiheit gab es nicht. Nicht so in der Schweiz. Dort war die liberale Revolution (Stichwort «Sonderbundkrieg») erfolgreich und die Pressefreiheit in der Bundesverfassung von 1848 verankert. Das führte zu einem sprunghaften Anstieg von Zeitungen aller Art und einem wachsenden Bedarf an Arbeitskräften. Und die Schweizer Gewerkschaften nahmen ausländische Mitglieder, nicht zuletzt deutsche Emigranten, ohne weiteres auf.

Von 1878 bis 1890 galten in Bismarck - Deutschland nach zwei fehlgeschlagenen Attentaten (von Nicht – Sozialdemokraten) auf den Kaiser die «Sozialistengesetze», Die Parteien, Vereine, Gewerkschaften, Druckschriften und Versammlungen der Arbeiterbewegung waren verboten.

Am großen Maurerstreik 1904 sind auch italienische Kollegen beteiligt; er dauert sechzehn Wochen. Quelle: Staatsarchiv Freiburg/B 715-1_1410_01

Gedruckt wurde in einer Zürcher Druckerei

Im Schweizer Exil druckte die Arbeiterpartei ab 1879 ihre neue Wochenzeitung «Der Sozialdemokrat» in der Zürcher Druckerei des Schweizer Arbeiterbunds, Und über die Grenze bei Konstanz wurde sie auf dem Land- und Seeweg auf abenteuerlichen Wegen zur Konstanzer Post, nach Meersburg, Immenstaad und Vorarlberg und den Hochrhein hinunter bis Basel transportiert.

Ende 1890 liefen die Sozialistengesetze aus, der Reichstag lehnte eine Neuauflage ab, und bei den folgenden Wahlen zum Reichstag wurden die Sozialdemokraten mit knapp 20 Prozent zum ersten Mal stärkste Partei.

Der Band enthält erfreulicherweise in der vorderen und hinteren Umschlagklappe nicht nur eine Zeittafel zur Entwicklung der Druckkunst und einen Liste mit Begriffserklärungen (von Antiqua bis Voluntariat), sondern auch eine Karte mit Konstanzer Orten der Demokratie- und Arbeiterbewegung.

Demo zur grenzüberschreitenden Maifeier 2018 in Kreuzlingen. Bild: Michael Wirz

 

Das Buch

Druck.Machen. Eine etwas andere Stadtgeschichte von Konstanz

hrsg. Von Ralph-Raymond Braun, Patrick Brauns, Pit Wuhrer, Margrit Zepf

182 S., Querwege Verlag 2021, 25. - CHF

 

 

Mehr zum Buch gibt's auch hier: https://druck-machen.net/das-buch/

 

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