von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 28.10.2020
Frische Luft
Wenn innen keine Erweiterung möglich ist, dann wächst das Kunstmuseum eben nach draussen: Mit der Arbeit „Repeating Fragments“ von Almira Medaric erobert sich das Kunstmuseum neue Ausstellungsräume.
Wann immer man in den vergangenen Jahren über zeitgenössische Kunst aus dem Thurgau sprach, ein Name der beständig fiel war der von Almira Medaric: Adolf-Dietrich-Förderpreis 2017, Teilnahme an der Werkschau Thurgau 2019, weitere Ausstellungen in Lugano, St. Gallen, Zürich und Payerne. Die aus Doboj in Bosnien und Herzegowina stammende und heute in Frauenfeld lebende Künstlerin mit dem Faible für geometrische Formen war ziemlich präsent.
Dass das Kunstmuseum Thurgau für knapp 25’000 Franken nun eines ihrer Werke angekauft hat, darf man wohl als weiteren Schritt ihrer Karriere bezeichnen. „Ich habe mich sehr darüber gefreut und empfinde angesichts dieser Auszeichnung auch ein bisschen stolz“, sagt die 27-Jährige im Gespräch mit thurgaukultur.ch in der Kartause Ittingen. Genau dort, auf einer Aussenwand einer der rekonstruierten Kartäuser-Zellen, ist ihre überdimensionale Arbeit „Repeating Fragments“ zu sehen: Graue breite Streifen, die sich um Tür- und Fensterrahmen legen und von dort über die gesamte Fassade ausstrahlen.
«Almira Medaric stand schon länger auf unserer short list, jetzt hat alles gepasst!»
Markus Landert, Direktor Kunstmuseum Thurgau (Bild: Michael Lünstroth)
„Ich wollte mit der Architektur und der Fassade spielen“, sagt Medaric zu ihrer Arbeit. Sie nimmt dabei Bezug auf Gestaltungselemente der historischen Gebäudeteile der Klosteranlage: Hellgraue Umrahmungen von Türen und Fenstern finden sich in mehreren Innen- und Aussenräumen der Kartause. „Der Kern des Musters bilden die vier unteren Fensterelemente, die eine Rahmung erhalten. Die Streifen dieses Grundrahmens repetieren sich wie eine Welle oder Lichtstrahlung über die ganze Wand hinweg“, schreibt die Künstlerin in ihrem Konzept zum Werk.
Genau dieses Konzept interessierte Museumsdirektor Markus Landert besonders: „Es ist im Grunde das erste Mal, das wir eher ein Konzept als ein fertiges Werk ankaufen. Und ich freue mich, dass die Wahl nun auf Almira traf. Sie stand schon länger auf unserer short list, jetzt hat alles gepasst“, erklärt der Direktor des Kunstmuseums.
Ohne Erweiterungsbau wird Kunst im öffentlichen Raum wichtiger
Für ihn ist das Werk auch der Beginn eines Ausweges aus einem Dilemma vor dem das Museum in den nächsten Jahren steht: Auf dem Areal in der Kartause gibt es kaum Erweiterungsmöglichkeiten, die sich mit dem Denkmalschutz vereinen liessen. Vor allem deshalb hat die Politik eine lange geplante Erweiterung des Hauses im März endgültig verworfen. Daraus zieht das Museum nun Konsequenzen: „Wenn wir drinnen nicht wachsen können, erweitern wir uns eben nach aussen“, deutete Markus Landert eine neue Öffnung seines Museums an. Kunst im öffentlichen Raum soll also eine noch grössere Rolle im Thurgauer Kunstmuseum spielen. Schon jetzt stehen auf dem Gelände der Kartause Ittingen zahlreiche Kunstwerke unter freiem Himmel. Der inneren Raumnot geschuldet, werden es künftig wohl noch mehr werden.
Dass der Premierenbeitrag dieser etwas anderen Museumserweiterung von einer jungen Thurgauer Künstlerin mit Migrationshintergrund kommt, kann man durchaus auch als ausstellungs- und gesellschaftspolitisches Zeichen verstehen. Lange als Minderheiten verstandene Bevölkerungsgruppen sollen, so könnte man das Statement lesen, in ihrem künstlerischen Schaffen nicht länger übersehen werden.
Das entspricht zwar dem Zeitgeist. Zeugt aber auch von einem gewissen Mut. Viel konstruktiver kann ein Museum kaum eine nicht selbst verschuldete Not (kein Erweiterungsbau!) in ein neues, offeneres Selbstverständnis wandeln. Wenn diese Haltung ins Museumshandeln so ausstrahlt wie die „Repeating Fragments“ von Almira Medaric auf der Kartäuserfassade, muss man sich um das Kunstmuseum wohl keine Sorgen machen.
Nicht nur role model, sondern auch überzeugende Künstlerin
Ein solcher Wandel gelingt um so überzeugender, da mit Almira Medaric nicht nur ein role model, sondern eben auch eine bemerkenswerte Künstlerin ausgezeichnet wird. Ihr Faible für strenge Linien und klare Konturen ist nicht immer auf den ersten Blick zugänglich. Die Ideen, die ihren Formen zugrundeliegen greifen über die Geometrie meist hinaus.
So orientiert sich die Farbwahl ihre „Repeating Fragments“ einerseits an der Farbgestaltung der historischen Tür- und Fensterrahmen in der Kartause Ittingen. Mit der Wahl für den Farbton „KT 17.060 Eileen’s gray“, stellt sie auch einen Bezug her zu Eileen Gray, einer der wichtigsten Gestalterinnen der Moderne.
Die Konzeptionierung des Projekts samt der Absprachen mit dem Denkmalschutz hat entsprechend lange gedauert, die Umsetzung war letztlich innerhalb von einer Woche erledigt. „Für mich ist die Arbeit eine logische Fortsetzung meines bisherigen Schaffens“, sagt Almira Medaric. Für das Kunstmuseum könnte es der Beginn eines neuen Denkens sein.
Wer über die Ankäufe des Museums entscheidet
Die Sammlung des Kunstmuseums Thurgau wächst ständig. Seit 2012 gibt es zusätzlich zum ordentlichen Ankaufsbudget einen Kredit über 100’000 Franken aus dem Lotteriefonds für Ankäufe, über dessen Verwendung eine Kommission entscheidet. Dieses Budget dient dazu, Werke von Kunstschaffenden mit Wohnsitz im Thurgau oder mit einem engen Bezug zum Kanton zu erwerben.
Die Ankaufskommission setzt sich zusammen aus Katharina Ammann, Abteilungsleiterin beim Schweizerischen Institut für Kunstgeschichte, Alex Hanimann, Künstler, und Hans Jörg Höhener, Präsident der Kulturkommission Thurgau.
Die Ankäufe 2019: Die Ankaufskommission verfasst jeweils einen Bericht zuhanden des Regierungsrates über die getätigten Käufe. Für insgesamt 98 700 Franken wurden im Jahr 2019 Werke von Ute Klein, Rachel Lumsden, Almira Medaric, Christoph Rütimann und Roland Iselin gekauft.
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