von Ramona Früh, 13.11.2019
Hier wachsen neue Bücher
In Frauenfeld entsteht ein neuer Buchverlag. Saatgut ist durch und durch thurgauisch: vom Verlagsprogramm über den Vereinsvorstand, die Verlagsleitung bis zum Namen.
«Tolle Idee!», «Das braucht es!» und «Mutig!» Per Mail, Whatsapp und mündlich seien die Reaktionen bei ihnen eingetroffen, sagen Cornelia Mechler und Miriam Waldvogel. Der Grund für all die Nachrichten: Die Veröffentlichung, dass die beiden zusammen mit anderen buchaffinen Persönlichkeiten aus dem Thurgau einen neuen Buchverlag gründen wollen. «Die Leute freuen sich und sind gespannt», sagt Miriam Waldvogel, die neue Verlagsleiterin des Saatgut-Verlags. Im Frühjahr 2020 erscheint die erste Publikation. Welche das sein wird, könnten sie leider noch nicht verraten.
Mut braucht es, wenn man in der heutigen Zeit einen Buchverlag gründet. Die Umsätze im Buchhandel sinken seit Jahren, Verlage werden geschlossen oder fusioniert, die Konkurrenz ist riesig. Auf dem deutschsprachigen Markt ist es für Schweizer Verlage zudem schwierig, neben grossen Mitstreitern aus Deutschland und Österreich zu bestehen. Im Thurgau selber wurde die Verlagslandschaft in der Vergangenheit immer kleiner, die Verlage Niggli, Benteli, Huber und Libelle wurden verkauft oder aufgegeben. Nur der Waldgut-Verlag von Beat Brechbühl existiert noch, ebenso wie die Edition Signathur des Dozwiler Verlegers Bruno Oetterli.
«Der Bezug zum Thurgau muss da sein. Ein klares Profil ist für einen Verlag wichtig.»
Cornelia Mechler, Verlagsgründerin
«Über Jahre haben Urs Stuber und ich darüber gewitzelt, dass es eigentlich einen neuen Verlag im Thurgau bräuchte. Uns tat es leid, dass es hier immer weniger gab», sagt Cornelia Mechler. Sie und der Gestalter Urs Stuber haben sich bei Benteli und Niggli kennengelernt, die Verlage wurden vor fünf Jahren verkauft, Mechler wechselte schon früher nach Zürich zum Verlag Scheidegger & Spiess. Aus Spass wurde Ernst: «Ich glaube, das war ich, die daraus Ernst gemacht hat», sagt Mechler und lacht, mittlerweile PR-Leiterin im Kunstmuseum Thurgau. Für Museen, Künstlerinnen und Autoren gab es im Thurgau keinen Verlag mehr. Zudem vermisste die ehemalige Verlagsleiterin die Arbeit mit Büchern. Als Kantonsangestellte sei für sie jedoch klar gewesen, dass sie nicht nebenbei einen Verlag werde führen können. Also hat sie zusammen mit Urs Stuber buchaffine Menschen im Thurgau gesucht, mit denen sie gemeinsam den Plan in die Tat umsetzen würden.
Für die Verlagsleitung wurde Miriam Waldvogel angefragt, auch sie eine ehemalige Arbeitskollegin von Benteli und Niggli. «Miriam Waldvogel ist die beste Lektorin, die ich kenne. Wenn sie etwas lektoriert, ist es nachher druckfertig», meint Cornelia Mechler. Waldvogel ist als Lektorin mittlerweile selbständig tätig. Natürlich stehe sie als neue Verlagsleiterin dann mehr im Vordergrund als jetzt als Lektorin. «Für mich ist es ein logischer Schritt. Ich bin schon so lange in dem Geschäft tätig und übernehme nun neue Verantwortung.» Ob sie sich zugetraut hätte, bei einem etablierten Verlag die Leitung zu übernehmen weiss sie nicht. «Aber hier kann ich viel von Grund auf mitgestalten.»
Jedes Buch soll projektbezogen finanziert werden
Die Idee, die dann folgte, ist bestechend: den Verlag als Verein zu gründen – ohne Grundkapital, mit niederschwelliger Struktur und ohne Festangestellten oder Büro. So fallen im Moment keine Betriebskosten an, sondern jedes Buch wird projektbezogen finanziert – mit Fördergeldern oder finanziellen Mitteln des Auftraggebers. Durch den Buchverkauf kann nur ein kleiner Teil von etwa 10 bis 20 Prozent der Kosten gedeckt werden. Der Verlag hat als Vorstand nun eine Art Verwaltungsrat, der inhaltlich zwar das Profil des Verlages mitbestimmt hatte, in der inhaltlichen Umsetzung aber nicht dreinredet. Aber: «Der Vorstand hat ein Vetorecht, das ist in den Statuten festhalten ist.»
Mit Robert Fürer und André Salathé hat Vereinspräsidentin Mechler auch zwei Persönlichkeiten ins Boot geholt, die im Thurgau polarisieren und in der Kulturszene bereits viele verschiedene Hüte aufhaben. Für Cornelia Mechler ist dies kein Problem: «Für mich zählt der Mensch. Ich weiss nicht, was war und es interessiert mich auch nicht. Starke Persönlichkeiten polarisieren, sie haben oft Meinungen, die nicht allen gefallen.» Beide, Fürer und Salathé, hätten für das Thurgauer Kulturleben viel gemacht und fanden die Idee der Verlagsgründung von Anfang an gut.
«Wir glauben an das Buch.»
Cornelia Mechler, Verlagsgründerin, und Miriam Waldvogel, Verlagsleiterin
Nicht nur das Team, auch das Verlagsprogramm soll durch und durch thurgauisch sein. Damit ein Buch im Verlag Saatgut erscheinen kann, müssen das Thema, der Autor oder die Künstlerin, der Künstler einen Thurgaubezug haben. Diese Einschränkung sei gewollt. «Der Thurgaubezug ist unser USP. Das Kunstbuchverlagswesen ist ein schwieriges Pflaster. Und wir wollen keine Konkurrenz sein zu anderen wie zum Beispiel Scheidegger & Spiess», meint Miriam Waldvogel. Aber nicht nur der Bezug zum Thurgau, sondern auch die Qualität sei natürlich entscheidend. «Die Frage bei einem Projekt ist, ob es für die Öffentlichkeit von Interesse ist oder nicht.»
Feste Kriterien, wie ob jemand im Thurgau geboren sei oder wie lange er hier lebe, gebe es nicht. «Der Bezug zum Thurgau muss aber da sein. Ein klares Profil ist für einen Verlag wichtig», sagt Mechler. Dem Leser sei es zwar egal, aus welchem Verlag ein Buch stamme, aber für die Buchhändlerin oder den Zwischenhändler sei dies entscheidend. Der Thurgaubezug erleichtere auch die Selektion, wenn Manuskripte eingeschickt oder Projekte an sie herangetragen werden. Dies sei bereits der Fall.
Belletristik, Kunst- und Kinderbücher sollen ins Programm
Die Bücher des Saatgut Verlags sollen mit Thurgauer Autorinnen und Autoren oder Künstlermonografien, die inhaltlich keinen Thurgaubezug haben, nationale Ausstrahlung haben. Ein Vertrieb in Deutschland sei aber nicht ihr Ziel. «Wir sind nicht grössenwahnsinnig», scherzt Mechler. Der Verlag wolle sich herantasten und schauen, ob und wie sich der Erfolg einstellt. Cornelia Mechler ist zuversichtlich. Dass der Umsatzanteil der E-Books bei unter 10 Prozent stagniere, spreche dafür, dass die Leute, die Bücher kaufen, beim gedruckten Buch bleiben. Der Verlag will Belletristik, Kunst- und Architekturbücher und Kinderbücher veröffentlichen. Zwei bis drei pro Jahr sei realistisch, sagen die beiden.
Von der Idee bis zum fertigen Buch vergehen ein, manchmal sogar zwei Jahre. Es ist ein langer Prozess, der nicht immer ohne Probleme verläuft: Autoren mögen sich plötzlich nicht mehr, das Layout gefällt nicht mehr oder die Autorinnen oder Autoren haben auf einmal keine Zeit mehr zum Schreiben. «Oder Schreibblockaden. Die gibt es auch», lacht Mechler. «Blöd ist, wenn bei der Buchervernissage das Buch noch nicht fertig ist.» Die beiden sind zuversichtlich und vorfreudig, dass das bei Saatgut nicht passieren wird. Und obwohl das Verlegen von Büchern ein hartes Geschäft ist, sagen beide: «Wir glauben an das Buch.»
Was der Verlagsname mit dem Kanton gemein hat
Das Team hat dem Verlag einen eher ungewöhnlichen Namen gegeben: Saatgut. Der Begriff sei positiv besetzt, es wachse, gedeihe und spriesse etwas. Es sei ein Begriff aus der Agrarwirtschaft und der Thurgau sei ja auch ein Agrarkanton, meint Mechler. Der Bezug zum Thurgau ist nicht nur das Profil des Verlages, sondern er ist mit dem «tg» auch im Namen Saatgut enthalten – wenn auch nicht ganz so offensichtlich.
Hinweis: Die Autorin Ramona Früh war bis zum Sommer wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kulturamt Thurgau. Inzwischen ist sie vor allem als freiberufliche Kulturmanagerin tätig. Sie wird künftig das Autorenteam von thurgaukultur.ch verstärken. Mehr zu Ramona Früh gibt es in ihrem Autorinnenprofil.
Weitere Beiträge von Ramona Früh
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Kommt vor in diesen Ressorts
- Literatur
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- Porträt
- Belletristik
- Sachbuch
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