von Inka Grabowsky, 23.05.2017
Zwischen Geologie und Architektur
Der bildende Künstler Reto Müller bekommt am 23. Mai einen persönlichen Förderbeitrag des Kantons Thurgau. Er ist einer von sechs Künstlerinnen und Künstlern, die eine Jury aus 49 Bewerbungen ausgewählt hat.
Von Inka Grabowsky
Gerade hat Reto Müller seine erste institutionelle Einzelausstellung eröffnet. Im Kunsthaus Langenthal zeigt er noch bis zum 25. Juni unter dem Titel „Potentielle Normaliensammlung" Skulpturen und Videos, die sich unter anderem mit der frühmodernen Architektur von Willy Boesiger auseinandersetzen. Architektur wird ihn auch im kommenden Jahr beschäftigen: In seiner Bewerbung um den Förderbeitrag hat er ein konkretes Projekt angekündigt: „Ausgangspunkt ist ein Aquarell für eine geplante Festbaute für die zweite Hochzeit von Napoleon I., das ich in einem Museum sah. Diese für kurze Zeit erstellten Gebäude sind einerseits ein Ausdruck der Macht des Auftraggebers, gleichzeitig haben sie einen skulpturalen Aspekt – sind also Kunstwerke mit einer eigenen Botschaft. Die Festbaute misst Lebensrealität an Utopie." Aus der Recherche zum Thema Festarchitektur sollen ein Film und ein Buch entstehen.
Geologie als metaphorischer Raum
Reto Müller verfolgt noch weitere Themen. In Langenthal zeigte er erstmals seine gegossenen Platten, Reliefs und Skulpturen aus Basalt und Steine aus Appenzeller Granit. „Die Geologie bietet mir einen metaphorischen Raum. Wenn ich einen Stein ausstelle, den die Natur vor 30 Millionen Jahren geschaffen hat, dann diskutiere ich nicht den Gegensatz zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit. Der Stein sieht aber trotzdem aus wie menschengemachter Beton." Er interessiere sich für Umformungsprozesse und Materialien als ideelle Träger von Information. „Insofern interessiere ich mich auch für Geologie." Ein Teil des Preisgeldes soll in Recherchereisen zu Basaltformationen auf Island und Sardinen fliessen. Auch das Gussverfahren für Basalt will er mit dem Geld weiter verfeinern. „Im Förderbeitrag-Projekt sollen Stränge zusammengeknüpft werden. Noch ist das Ziel meiner Arbeit nicht klar. Ich arbeite nicht so. Es geht mir nie darum, eine Idee in ein Produkt umzusetzen. Deshalb habe ich auch keinen Setzkasten mit fertigen Werken. Idee und Umsetzung sind meist unglückliche Geschwister."
Rückzugsort oberhalb von Frauenfeld
Müller bezeichnet sich selbst als Bildhauer und Filmemacher. Sein Atelier hat er in einer alten Scheune in Horben eingerichtet – vier Minuten entfernt vom Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittigen. Es ist für ihn einfach der Platz, an der er nachdenken oder physisch arbeiten kann, zum Beispiel indem er Polystyrolplatten schnitzt, um sie danach mit Beton auszugiessen. „Ich bin hier weg von allem - es ist ein essentieller Ort für mich. Ein Fixpunkt, zu dem ich immer zurückkehren kann." Als Jugendlicher hatte Müller zunächst die Gartenbauschule besucht, Landschaftsarchitekt war sein Berufsziel. „Doch im Alltag musste ich merken, dass die Gärten, die wir entworfen hatten, sich meist sehr stark an der Realität messen mussten. Anschliessend habe ich Szenographie studiert, um festzustellen, dass für mich das Theater auch nicht sehr frei ist." Inzwischen arbeitet Müller ausschliesslich als Künstler. „Ich versuche mich nicht der Frage nach dem Geld unterzuordnen und setzte andere Prioritäten. Aber natürlich gibt der Förderbeitrag mir eine gewisse Freiheit.
Weitergucken: Videos von Reto Müller kann man hier ansehen: http://www.retoreto.ch
Arbeiten aus der aktuellen Ausstellung "Potentielle Normalien-Sammlung." im Kunsthaus Langenthal (Alle Bilder: Martina Flury Witschi)
Weiterlesen:
Die Preisverleihung: Die Förderbeiträge für Kulturschaffende werden am Dienstag, 23. Mai, 19 Uhr, im Kunstraum Kreuzlingen verliehen. Die Veranstaltung ist öffentlich. Sie bietet Gelegenheit für anregende Begegnungen und Gespräche mit Kulturschaffenden, Kulturinteressierten, Kulturvermittlern und Kulturförderern.
Mehr zur Auszeichnung: Alles zum Preis und den diesjährigen Preisträgern im Überblick gibt es hier: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3161/
Teil 1 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger "Zeit, Geld und Anerkennung: Die Autorin Tabea Steiner über sich und ihre Arbeit" können Sie hier nachlesen: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3186/
Teil 2 der Porträtreihe über die diesjährigen Preisträger: "Aus der Schweiz nach Europa" Jazzmusiker Raphael Jost im Porträt finden Sie hier:
http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3191/
Von Inka Grabowsky
Weitere Beiträge von Inka Grabowsky
- Gezeichnete Philosophie (18.05.2023)
- Professionelle Leidenschaft (12.05.2023)
- Die Herkules-Aufgabe (11.05.2023)
- Jubiläumskonzert mit dem «Tramp» (08.05.2023)
- Das einzige seiner Art in der Ostschweiz (08.05.2023)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Porträt
Ist Teil dieser Dossiers
Ähnliche Beiträge
Der Kunst-Botschafter
Seit fast 30 Jahren betreibt Adrian Bleisch erfolgreich seine Galerie in Arbon. Das liegt an seinem Gespür für aussergewöhnliche Kunst - und besondere Orte. Besuch bei einem Überzeugungstäter. mehr
Vom Alltag berührt
Ein Rollkoffer aus Marmor, ein Thron zum Träumen - die Skulpturen von Veronika Dierauer stehen in engem Bezug zum Alltäglichen. Nun wurde die Künstlerin mit dem ERNTE-Kunstpreis 2022 ausgezeichnet. mehr
«Mein Herz sagt, was der Pinsel macht»
Dass Genie und Wahnsinn eng verwandt sind, ist bekannt. Wahnsinnig talentiert ist Moni Guélat, die mit ihren Traum- und Fantasiewelten Geschichten aus dem Leben und ihrer Zwischenwelt erzählt. mehr