von Maria Schorpp, 05.11.2018
Königinnen-Komödie mit Dolmetscher
Das Theagovia Theater bringt Theresia Walsers „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ als Slapstickkomödie auf die Bühne des Theaterhauses Thurgau in Weinfelden: Drei Diktatorengattinnen und ein Dolmetscher im Schlagabtausch.
Stalin hat es getan, Mao hat es getan. Zwei der schlimmsten Menschenfresser der Geschichte haben Gedichte geschrieben. Diktatoren scheinen nicht selten den Drang zu verspüren zu zeigen, dass sie auch Poesie können, ihr Wüten damit geradezu legitimieren zu wollen. „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ ist eine Zeile aus einem Gedicht von Muammar al-Gaddafi, dem libyschen Diktator, der 2011 auf unschöne, aber irgendwie folgerichtige Weise ums Leben kam. Die drei Ladys vorne auf der Bühne haben vollstes Verständnis für solche Machtbesoffenen. Sie geben damit an, bei ihnen zu Gast gewesen zu sein. Ihre eigenen Angetrauten waren nicht viel besser. Allerdings würden sie das so nicht sagen.
Vielleicht ist es die Anmassung, die aus dieser Zeile spricht, die Theresia Walser bewogen hat, ihrer bissigen Komödie über drei Diktatorengattinnen diesen Titel zu geben. Auch die haben das Bild von sich, „ihren“ Völkern ganz nahe gewesen zu sein. Dass die Ehemänner von allen dreien letztlich durch den Volkszorn gestützt und davongejagt wurden, kann ihre Überzeugung nicht erschüttern. Ohnehin kann man sich gut vorstellen, dass sie in ihren Ehen durchaus ein Wörtchen mitzureden hatten. Nachempfunden sind sie Margot Honecker aus der Ex-DDR, Leila Ben Ali aus Tunesien und Imelda Marcos aus den Philippinen. Powerweiber auf ihre Art.
Mit sicherem Gefühl für Timing fliegen die Bälle hin und her
Frau Margot, Frau Imelda und Frau Leila hat Theresia Walser aus ihnen gemacht, eine Art Königinnen-Komödie geschrieben, darauf muss man erst mal kommen. Das Theagovia Theater hat im Theaterhaus Thurgau wiederum einen prickelnden Slapstickabend aus dem Stück extrahiert. Cornelia Blask als Frau Margot ganz in DDR-Beigebraun, Claudia Bick Weisshaar als Frau Imelda in Abendrobe – das ist die, bei der nach der Flucht mehrere tausend Paar Schuhe gefunden wurden – und Herrad Lingner als Frau Leila im Mini-Kostüm und Schluppenbluse schmettern sich in sicherem Gefühl für Timing die Bälle zu. Gottlieb, dem Dolmetscher, fliegen sie um die Ohren und ab und an auch mal an den Kopf. Roy Schmid im Slim-Fit-Anzug (Kostüme von Joachim Steiner) hält gut mit bei diesem Schlagabtausch auf bemerkenswertem Niveau.
Michaela Bauer setzt bei ihrer Inszenierung auf Highspeed-Spass, die Missverständnisse und Doppeldeutigkeiten jagen sich, was das Theagovia-Ensemble grossartig umsetzt. Einfach ist das Szenario nicht. Die vier schlagen die Zeit tot, bis der Vorhang aufgeht. Davor warten hundert Journalisten. Das Leben der drei Berufsehefrauen soll verfilmt werden. Und Gottlieb soll bei der Pressekonferenz übersetzen. Dass tatsächlich im Stück alle auf Deutsch reden, führt zu grotesken Doppelungen, wobei Gottlieb sich nicht auf seine Rolle als Echo beschränkt. Schon seine Verkürzungen haben es in sich, mal eine kleine Satzumstellung und schon ist der Sinn um einen entscheidenden Akzent verschoben. Mit der Zeit fängt er an, selbst zu interpretieren, zunächst in seiner selbst so verstandenen Rolle als Brückenbauer, schliesslich lässt er seinem Frust freien Lauf.
Da sieht man mal wieder: Kultur ist für alle da
Grund dazu hat er genug. Wie Margot ist er ehemaliger DDR-Bürger und kennt ihre Reden zur Genüge. Cornelia Blask spielt eine sich in der Vergangenheit eingemauerte Ideologin, in Besitz der absoluten Selbstgewissheit und besessen von der Idee, dass ihr Erich einfach zu wenig Zeit hatte, der Gerechtigkeit auf die Beine zu helfen. Dass Cornelia Blask aus dieser Figur eine sehr handgreifliche Komik herausholt, trägt viel zum Gelingen der Inszenierung bei. Aber auch die beiden anderen Ex-First Ladys sind nicht von schlechten Eltern. Claudia Bick Weisshaar setzt ihre beachtliche Singstimme ein und lässt Frau Imelda in den höchsten Tönen schmettern. Da sieht man mal wieder: Kultur ist für alle da. Dem steht Herrad Lingner um nichts nach. Auch sie als grosse egomane Ignorantin mit ausgeprägtem Ekel vor Leitungswasser. Und auch sie schreibt übrigens Gedichte.
Das ist alles nicht subtil, sondern im Gegenteil grotesk eindeutig und schnörkellos. Machtmissbrauch im Namen des Sozialismus trifft auf Terror zugunsten der Anhäufung unverschämter Reichtümer, was die drei jedoch nicht wesentlich unterscheidet. Sie eint eine unverbrüchliche Gemeinsamkeit: das nicht im Traum hinterfragte Recht, über andere auf Leben und Tod zu entscheiden, und die schlichte Verachtung für die Menschen. Das sind keine überraschenden Erkenntnisse, durch Walsers Sprachgewitztheit wird aber einmal mehr das Bizarre an den Selbstbildern sichtbar.
Das Bühnenbild ist das Abstrakteste der Inszenierung
Das Bühnenbild ist am Ende das Abstrakteste an der Inszenierung. Ein stahlgraues Halbrund gegenüber einem roten Bühnenvorhang, auf das sich jedenfalls bestens die Videos projizieren lassen, die Manfred Küttel während der Vorstellung von den Selbstdarstellerinnen macht. Eine gelungene Selbstperformance ist alles, wenn auch nur noch für sich selbst. Wenn man der Inszenierung etwas vorhalten könnte, dann dies, dass sie zu viel Spass macht.
Weitere Vorstellungen vom 9. November bis 1. Dezember jeweils von Freitag bis Sonntag.
Videotrailer zur Produktion
Von Maria Schorpp
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