von Brigitta Hochuli, 31.08.2011
KULTURGESPRÄCH mit Gabriele Keck
Der neuen Direktorin des Historischen Museums Thurgau gefällt‘s, wenn etwas läuft. Da kommt die Erneuerungsplanung gerade recht.
Brigitta Hochuli
Einen Akzent hat sie nicht. Aber sie denkt oft französisch. Und als sie am 1. Mai Direktorin des Historischen Museums Thurgau wurde, wunderte sie sich. „Plötzlich gibt‘s wieder warmen Fleischkäse. Es ist merkwürdig, so nah an Deutschland zu sein.“ Gabriele Keck (51) ist bei Frankfurt am Main aufgewachsen, hat in Fribourg studiert, in Moudon ein Büro für Archäologie geleitet und war Vizedirektorin des Historischen Museums Bern.
Während mehr als 30 Jahren hat die studierte Kunsthistorikerin ein welsches Lebensgefühl entwickelt, das sie auch in Frauenfeld nicht ablegen wird. Den naturreinen Thurgauer Süssmost verdünnt sie mit Wasser. Ganz angepasst an die Ostschweiz ist sie noch nicht. Und es schwebt ihr auch vor, die so unterschiedlichen Landesteile in ihrer Arbeit zu berücksichtigen. Zum Beispiel möchte sie die Dauerausstellung in Frauenfeld dereinst dreisprachig gestalten und so zur Überbrückung des Röstigrabens beitragen. „Synergien zu nutzen, wäre schön.“ Gabriele Keck versteht es als Konzession an das föderalistische System, das Europa immer vorgelebt habe.
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Gabriele Keck ist eine Macherin. In Bern war sie zuständig für alle erdenklichen Dienstleistungen des Museums: Vermietungen, Anlässe, Führungen, Besucherservice, Ausstellungsunterhalt, Werkstätten und Restaurierungsateliers, Koordination der Ausstellungsproduktionen, Kataloge, Übersetzungen, Beschriftungen, Audioguides, Shop, Bistro - alles für bis zu 195‘000 Eintritte pro Jahr. „Mir gefällt, wenn etwas läuft.“ Jeden Abend hat sie sich nach den Einnahmen erkundigt. Dabei ist ihr das Team das Wichtigste. Sie versteht es als Familie, kollegial, menschlich und in gegenseitiger Wertschätzung geführt. Ohne Eifersüchteleien, die dann entstünden, „wenn nicht alle wissen, was der andere macht“.
Wie in einer Familie sitzen wir beim Gespräch in der Kinderecke des Historischen Museums am Kindertischchen auf Kinderstühlen. Unaufgefordert serviert Margrit Stucki vom Besucherservice den Most, ein Gast aus Konstanz wird speziell begrüsst. Er hat die laufende Sonderausstellung über die Verdingkinder besucht und zuvor mit Direktorin Keck an einer Sitzung des Kulturamts teilgenommen. Dabei ging es um moderne Kommunikationsstrategien wie den Einsatz von social media im Kulturbereich. Kulturamt und Direktorin sind offen für die Möglichkeiten des Internets. Noch aber fehlen dazu bei knapp 700 Stellenprozenten nicht nur die Ressourcen, es steht auch dringend Wichtigeres an.
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In Bern hat Gabriele Keck den Erweiterungsbau des Historischen Museums begleitet. Sie bringt also viel Erfahrung mit. Seit den 1920er Jahren war Platzbedarf angemeldet worden. In Frauenfeld ist es ähnlich. Die Diskussionen laufen seit Jahren. Die aktuelle Dauerausstellung wurde in den 60er Jahren eingerichtet. Das Hauptproblem ist auch hier der Platz. 33 600 Objekte schlummern in diversen Depots, nur ein Bruchteil davon kann im Museum gezeigt werden. Es fehlen WCs, Lift, Vortragsraum und für kostbares Ausstellungsgut die Klimatisierung. Weit verstreut liegen die Büros der Mitarbeitenden. „Wir sind eine Art Gemischtwarenladen, in dem das Gedächtnis des gesamten Kantons zusammenkommt.“ Das und die wunderbare, aber auch erdrückende Hülle des mittelalterlichen Schlosses bedeute ein doppeltes Kapital. Doch das eine erschlage das andere.
Nun wird beim Kanton die Umsetzung eines Nutzungskonzepts evaluiert. Gabriele Keck war schon vor ihrem Amtsantritt beratend dabei. Bis Ende Jahr sollen Resultate vorliegen.
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Gabriele Keck weiss, dass für eine Erneuerung zu berücksichtigen ist, „was politisch machbar ist“. Bauvorhaben bräuchten einen langen Atem. Deshalb hat sie mit Blick auf eine Marketing- und Kommunikationsstrategie eine Besucherumfrage gestartet. Weiblich und über 50 laute das erste Profil. Was sicher ist: 2009 kamen 9203 Besucher, davon 6919 Erwachsene, 2287 Kinder und 34 Schulklassen.
Doch Gabriele Keck will den Zahlen auf den Grund gehen: Woher kommen die Schulen? Aus der Stadt? Aus der Region? Aus Appenzell, St. Gallen oder Zürich? Lassen sich Ausgangstrends auf den Museumsbesuch adaptieren? Reagiert der Kulturbereich anders als die Shoppingszene? Bis die Fragen beantwortet sind, ist die Museumsdirektorin in den Startlöchern. Und dort fängt es an mit dem Verkauf von Postkarten in einem kleinen Museumsshop. „Geld in den Sand setzen wollen wir aber nicht.“
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Zur Person
Gabriele Keck ist in der Nähe von Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen. Sie studierte an der Universität Freiburg i.Ü. Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Historische Grundwissenschaften, war unter anderem von 1990 bis 2004 Mitarbeiterin und später Leiterin des Atelier d’archéologie médiévale SA in Moudon (VD) sowie von 1996 bis 2003 Mitglied der Redaktionskommission der Zeitschrift «Kunst und Architektur in der Schweiz» der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Seit 2000 war sie Mitarbeiterin des Historischen Museums Bern, ab 2002 Vizedirektorin. (id)
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