von Jeremias Heppeler, 19.09.2019
Süsse Mieze, böse Mieze
Von Freya bis Grumpy Cat: Katzen haben einen festen Platz in unserer Kulturgeschichte. Das zeigt auch die aktuelle Ausstellung im Naturmuseum Thurgau. Aber: Warum ist das so? Ein Essay von Jeremias Heppeler
Eine Sache müssen wir vorab klären: Sind Sie ein Katzen- oder ein Hundemensch? Seit einigen Jahren scheint diese Einordnung längst kein harmloses Gimmick mehr, sondern fungiert als elementare Charakterfrage. Wir können fest davon ausgehen, dass so manch findiger Personaler seinen Bewerbern in Vorstellungsgesprächen genau diese Entscheidung vor den zittrigen Latz knallte. Und das macht Sinn. Denn genau genommen teilen Katzen und Hunde uns Menschen metaphorisch in zwei Arten: Einerseits die Hunde, die Rudeltiere, die sich in der Gruppe am wohlsten fühlen und die kein Problem damit haben, sich unterzuordnen. Andererseits die Katzen, die dickköpfigen Einzelgänger, die sich von nichts und niemanden etwas sagen lassen und selbst Kuscheleinheiten nur zulassen, wenn ihnen die Laune gerade danach steht. Links der systemkonforme Musterzögling, rechts der aufmüpfige, vielleicht aber auch egoistische Querulant.
Auch diese auf allen Konnotationsebenen viel zu eindimensionalen Zuschreibungen prägten unser gegenwartskulturelles Bild der Katze: Die elegante Diva mit Hang zum Spleen. Ich selbst habe mich im Übrigen abseits der genannten Charakterkataloge immer als Hundemensch verstanden. Mein Bandprojekt heisst sogar «die hunde» und schon öfters habe ich über die semiotischen Ambivalenzen des Wortes und dem damit verbundenen Gesamtkonstrukt «Hund» geschrieben. Umso spannender erscheint heute der Blick hinter die feindlichen Linien. Miau!
Video: Garfield, die stinkfaule Katze
Das Internet liebt Katzen: Cat Content geht immer!
Das Internet hat sich im übrigen in einer Kollektiventscheidung auf die Katzenseite geschlagen. Denn im wilden Strudel von Selbstdarstellung, Social Media, Zynismus, Werbung, Pornos, politischen Grabenkämpfen, Medienlawinen und Bilderfluten hat sich eine einzige Sache etabliert, auf die sich scheinbar alle einigen können: «Cat Content». Bilder und Videos von von Miezen - mal süss, mal eigensinnig, oft tollpatschig - sind allgegenwärtig und generieren garantierte Hundertschaften von Likes. Kurzum: Katzen sind Meme-Maschinen, die das Internet im Sturm eroberten. Sie wirken wie analoges Balsam auf unsere geschundenen Digitalseelen.
Und mitten in diesen Diskurs wurde uns ein waschechter Superstar geboren: Tarda Sauce, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen. Grumpy Cat. Achtung, journalistische Todsünde. Zitat Wikipedia: «Grumpy Cat, engl. für mürrische Katze, war eine weibliche Katze, die durch ihren mürrischen Gesichtsausdruck Bekanntheit erlangte und sich dadurch auch zum Internetphänomen entwickelte.» Die Umschreibung «Bekanntheit erlangt» ist selbstredend masslos untertrieben. Grumpy Cat stellte, ausgehend von einem viralen Reddit-Post, das Internet auf den Kopf. Millionen Follower, eine eingetragene Marke, Werbekampagnen, Fernsehauftritte, ein ganzes Team von Managern und Social Media-Beauftragten, ein eigener Film - mit Grumpy Cat verlor der Cat Content seine Unschuld. Die von einem Gendefekt geplagte Katze reifte zur Ikone, zum Spirit Animal, zum Sinnbild und Fahnenträger aller notorischen Nörgler und Zähneknirscher. Und sie verankerte die digitale Katze genau dort, wo sie die Popkultur über Jahre und Jahrzehnte ohnehin schon fest verordnet hatte: In der Rolle des merkwürdigen, ja exzentrischen Antagonisten.
Video: Die kurze Geschichte von Grumpy Cat
Warum Katzen in der Popkultur selten Helden sind
Tatsächlich verrät uns der Blick in die Film- und Comicgeschichte, dass es verhältnismässig wenige Werke gibt, in denen Katzen als klassische Helden auftreten. Die Storys, in denen die Stubentiger als Bösewicht auftreten, überwiegen exorbitant. Wir denken an den Kater Karlo, an Tom von «Tom und Jerry», an Sylvester von «Tweety und Sylvester», Al Cazone in «Chip und Chap», die Nachbarskatze in «Peanuts» aka Snoopys Erzfeind, Mauzi in «Pokémon», die erbarmungslosen Grossstadtkatzen in «Feivel, der Mauswanderer», das hinterlistige Katzenduo Sie und Am in «Susi und Strolch», an die als Katzen dargestellten Nationalsozialisten in Art Spiegelmanns Comic Meisterwerk «Maus».
Und hier zeichnen sich einige Parallelen ab: Auf jede böse Katze kommt mindestens eine charmante Maus oder ein sympathischer Hund. Die eingangs beschriebenen Attribute haben sich in einem hochspannenden Wechselspiel längst in unsere kulturelle Wahrnehmung der Katze eingeschrieben. Denn offensichtlich eignen sich der unsichere, alles für die Familie aufopfernde Hund oder die (aufgrund von Armut und mangelnder Körpergrösse) zum ewigen, aber zuckersüssen Aussenseiter degradierte Maus, viel besser als Identifikationsfiguren, als die vermeintlich störrische bis arrogante Katze, die für Kleffer und Käsefresser gleichermassen den Erzfeind darstellt.
Video: Ein Katzen-Klassiker: Tom & Jerry
Die Katze als grosser Verwirrer
Ausnahmen (wie «Cats» oder «Aristocats») bestätigen hierbei die Regel, besonders interessant erscheint aber der Umstand, dass selbst katzenartige Protagonisten alles andere als 08/15 Popkultur-Klichees bebildern. Garfield etwa ist ein stinkfauler Zyniker, Fritz The Cat steht auf Drogen aller Art und ausschweifende Sexorgien. Und dann ist da noch die Grinsekatze in «Alice im Wunderland». Noch so eine Kultfigur, die so wunderbar all diese Verweise vereint. Denn eigentlich markiert sie in den Parametern des Fantasygenres einen ganz klassischen Helfer und Sidekick, den magische Retter in der Not. Die Grinsekatze aber wird zum grossen Verwirrer und Verwischer, der kommt und geht wann und wie er will und reift somit zur ultimativ unzuverlässigen, aber eben auch nachhaltig faszinierenden Figur.
Video: Steht auf Drogen und ausschweifende Sexorgien: Fritz the Cat
Aber warum zur Hölle haben wir uns ausgerechnet diese so komplizierten Geschöpfe in die unsere Häuser geholt? Einen augenscheinlichen Nutzen erfüllen sie (abgesehen von der Mäusejagd) zumindest auf den ersten Blick nicht. Des Rätsels Lösung liefert ein National Geographic-Artikel, dessen Überschrift so urkatzentypisch ist, wie man es sich nur vorstellen kann: «Katzen haben sich selbst domestiziert». Natürlich, wer auch sonst? Oder anders: Die Katzen haben sich uns ausgesucht, nicht wir uns die Katzen!
Ihre Vorfahren jedenfalls fühlten sich von den zahlreichen Nagern in den Getreidespeichern der ersten menschlichen Siedlungen gerade zu magisch angezogen und lebten infolgedessen in einer Art Symbiose mit dem Menschen. Das Erbgut indes veränderte die Katzen über Jahrhunderte kaum. Sie behielten sich - im Gegensatz zum Hund, der alsbald die buntesten Rassenblüten austrieb - das explizit wilde über lange Zeit. So nimmt es nicht Wunder, dass diese so eigenwilligen Geschöpfe auch ruckzuck ihren Weg in die Kunst (Katzendarstellungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Epochen und Genres) und sogar in die Religion fanden.
Vom Propheten Mohammed zur Germanengöttin Freya
So beschreibt der Koran den Propheten Mohammed als grossen Katzenliebhaber, der sich sogar den Ärmel seines Mantels Abschnitt, weil dort seine Lieblingskatze Muezza nächtigte. Er wusste vermutlich ganz genau, warum er sie lieber nicht weckte. Ein ganz spezielles Liebesverhältnis hegten indes die alten Ägypter zu den schnurrenden Vierbeinern, die sie pflegten und verehrten und nicht selten sogar mumifizierten. Besonders prägnant: Die Katzengöttin Bastet, verantwortlich für die Arbeitsbereiche Fruchtbarkeit und Zeugungskraft, dargestellt mit Katzenkopf und für Jahrtausende konserviert als mystisches Wesen.
Etwas rustikaler ging es im Norden zu: Der Kriegskarren der Germanengöttin Freya wurde dort von zwei prächtigen Wildkatzen gezogen - ein ziemlich schräges, aber nicht minder einprägsames Bild. Auch Freya kümmerte sich vor allem um die Fruchtbarkeit und umhüllt von diesen Kontextwolken reifte die Katze zum starken Symbol für Weiblichkeit - was etwa Professor Theresia Heimerl in ihrem Text «Verfolgung, Ambivalenz und Säkularisierung: Über Katzen und Kater» dazu verleitet, die These aufzustellen, dass die misogynen Kleriker des Mittelalters die Katzen aus ihren Texten verbannten, um so gegen die heidnischen Katzen-Kulte anzukämpfen. Beinahe folgerichtig wird die schwarze Katze dann in der Literatur des Mittelalters alsbald bald zum Unglücksbringer erklärt, zum Satansgehilfen und Hexengefährten befördert. Dreimal schwarzer Kater, sie erinnern sich - und so schliesst sich auch unser Kreis.
Unser Grunddilemma: Wir kriegen die Katze nicht zu fassen
Egal ob Internet, Popkultur, Geschichte, Literatur, Kunst oder Religion, es ist regelrecht ansteckend, welche inkohärent kohärentes Bild die Menschheit von der Katze zeichnet. Wir kriegen sie halt nicht ganz zu fassen. Und das ist gut so. Vielleicht muss ich die Seiten wechseln?
Video: Deutsche Welle über Art Spiegelmanns „Maus“
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