von Jeremias Heppeler, 06.09.2021
Thurgaus Billie Eilish
prozpera ist 19 Jahre alt und hat sich das Musik machen selbst beigebracht. Auf ihrem ersten Album offenbart sie ein beängstigendes Fingerspitzengefühl in Sachen Songwriting und Atmosphäre.
„Oje!“, werden Sie jetzt denken. „Da hat sich Mal wieder ein Kulturjournalist verrannt. Thurgaus Billie Eilish? Vergleiche mit Lana Del Ray? Geht es nicht eine Nummer kleiner?“ Und ja, ich verstehe Ihren Reflex. Der Musikjournalismus hat ein massives Referenzen-Problem. Ständig geht es ums Ordnen und Verordnen, ums aktive Aufzeigen des eigenen Wissens und manchmal treibt dieser Hang zum Gleichnis die wildesten Blüten.
Und schon klar, der Vergleich einer absoluten Newcomerin mit einem absoluten Superstar ist immer unglücklich und unfair und allermeistens fehl am Platz. Aber – und deshalb auch das poetologische Hakenschlagen zu Beginn: prozpera aus Frauenfeld hält dem allem stand. Und wenn Sie es nicht glauben, dann klicken Sie den folgenden Link und hören sie den Song „Two Souls“ – danach können wir diskutieren.
Musikvideo prozpera, „Two Souls“ jetzt ansehen
prozpera, die seit 2019 Songs via Spotify veröffentlicht und dieses Jahr ihr erstes Album „How to Kill a God“ an den Start brachte, macht „Bedroom Pop“. Das bedeutet in erster und letzter Konsequenz, dass sie alleine in ihrem Schlafzimmer schreibt, produziert, singt und aufnimmt. Kein Studio. Kein Team. Keine Expertinnen oder Experten. Sie alleine.
prozpera ist 19 Jahre alt. Und eigentlich würde es jetzt reichen, ihre Musik für sich sprechen zu lassen – das sei jeder Leserin, jedem Leser dringendst ans Herz gelegt. Doch vorab noch einige Gedanken: prozpera, die sich alles selbst beigebracht hat, offenbart vor allem auf „How to Kill a God“ ein beängstigendes Fingerspitzengefühl in Sachen Songwriting und Atmosphäre. Dieses Gefühl kann man nicht lernen. Zumindest nicht im Pop. Du hast oder du hast es nicht, fertig, aus.
Darum war es immer die Jugend, die Genrewelten sezierte. Neu dachte. Umwälzte. prozpera, die im Umfeld der AuGeil-Records in Frauenfeld eine ideale Szene gefunden hat, ist ein absolutes Ausnahmetalent. Und so entsteht diese Musik, die fast zeitlos wirkt. Ein Soundtrack für die David Lynch-Filme, die es nie geben wird. Fürs Herzenbrechen in Zeitlupen-Loops. Oder den Weltuntergang. Pop jedenfalls in seiner Urform. Roh und warm und wabernd.
Jetzt reinhören: prozpera auf Spotify
Du ordnest dich direkt ins Genre „Bedroom-Pop“ ein. Wie und wo entsteht deine Musik?
Grundsätzlich wollte ich nie in Richtung Pop gehen, weil ich am Anfang nur Balladen geschrieben habe und Pop für mich mehr Upbeat und tanzbare Songs bedeutete. Dann habe ich mich aber gut mit "Bedroom-Pop" identifizieren können – mit der Definition, die besagt, dass die Musik in einem Schlafzimmer aufgenommen, gemixed und gemastered wird.
Meine Songs entstehen eigentlich immer in meinem 12 Quadratmeter grossen Zimmer und auch die ganze Produktion findet dort statt. – Und da ich mit meinen Eltern wohne, mixe ich die Songs auch nur mit Kopfhörern und höre mir Demos etc. in Ruhe im Auto an. Die meisten Instrumente, die ich benutze, sind ein paar MIDI-Instrumente, denn aus Platzgründen kann ich mir im Moment kaum mehr Equipment zulegen.
„Meine Songs entstehen eigentlich immer in meinem 12 Quadratmeter grossen Zimmer und auch die ganze Produktion findet dort statt.“
prozpera
Warum passt die EP nicht mehr ins Genre? Und inwiefern und wohin hast du dich damit weiterentwickelt, in Bezug zu deinen früheren Releases?
Das Ding ist eben, dass ich zwar sehr viel Pop höre, aber wenn ich dann anfange, Songs zu schreiben, werden diese immer so gefühlvoll und ich kann sie am Schluss nicht mehr wirklich in die Kategorie Pop einfügen. Denn ehrlich gesagt fällt mir die Umsetzung von traurigen Gefühlen in poppige Musik immer voll schwer. Klar, kann man seine negativen Emotionen auch durch glückliche Musik ausdrücken, aber für mich passt es halt nicht wirklich. „Healing“ ist in dieser Richtung eigentlich der einzige Song, den man als „Bedroom-Pop“ bezeichnen kann.
Im Gegensatz zum Beginn meiner Songwritingkarriere bin ich heutzutage sehr viel offener was andere Genres anbelangt. Früher habe ich einzig und allein Pop gehört und mich nicht wirklich auf andere Genres eingelassen. Heute ist das total anders, und das spiegelt sich auch in meiner Musik wider.
Jetzt habe ich auch mehr Selbstbewusstsein, um gezielt in neue Nischen einzudringen (wie z.B. bei „Ryder Raid“, der dann eher ein Clubsong wurde). Ich mache mir auch nicht mehr wirklich Gedanken, wie ein Song schlussendlich herauskommen soll, sondern nehme einfach mal einige Tracks auf und schaue, wohin mich das Projekt trägt.
Ich muss dich gleich mal vorwarnen: Es kann sehr gut sein, dass eine Überschrift der Marke „Thurgaus Billie Eilish“ auf dich zukommen wird. Ich finde es vor allem faszinierend, wie wahnsinnig ausgereift dein Sound klingt und es gefühlt keine Rolle spielt, ob du alleine in deinem Zimmer oder in einem Riesenstudio aufnimmst. Ist diese Möglichkeit für dich als Künstlerin nicht eine immense Befreiung? Und vielleicht sogar ein Akt der Selbstermächtigung?
Ich würde es nicht wirklich als Befreiung per se ansehen, denn ich nehme wirklich alles „on a low budget“ auf, was mich, die Umsetzung meiner Ideen und die Qualität meines Sounds halt ein wenig einschränkt. Aber wiederum hat diese Art von Selbständigkeit natürlich auch klare Vorteile. Ich muss mir von niemandem etwas einreden lassen und kann mir alle Zeit der Welt nehmen, die Tracks auszubauen und zu verbessern, so wie ich es möchte. Dennoch muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass ich echt total dankbar bin, mich in einem so supportiven Umkreis zu befinden, der sich die Zeit nimmt, sich meine Demos und Tracks anzuhören und mir konstruktive Kritik gibt, die ich schlussendlich auch immer gut umsetzen kann.
„Es gibt keinen Umkreis, für den ich dankbarer bin, als die Frauenfelder Musikszene. Anfangs habe ich nur für mich Musik gemacht und hätte nie im Leben daran gedacht, jemals etwas zu veröffentlichen oder gar ein Liveset zu spielen.“
prozpera
Du hast ja jetzt einen Feature-Part für Daif beigesteuert, mit den AuGeil-Records bist du auch vernetzt. Wie hilft so eine offene Szene beim Musik machen?
Es gibt keinen Umkreis, für den ich dankbarer bin, als die Frauenfelder Musikszene. Anfangs habe ich nur für mich Musik gemacht und hätte nie im Leben daran gedacht, jemals etwas zu veröffentlichen oder gar ein Liveset zu spielen. Durch AuGeil hat das Ganze begonnen, eine Form anzunehmen und natürlich hat das schlussendlich auch meinen Sound beeinflusst, denn ich habe mich auch mehr mit Sounddesign und damit, wie meine Songs z.B. auf Boxen klingen, befasst. Obwohl alles in einem kleinen Rahmen vernäht ist, muss ich sagen, dass ich wirklich jeden noch so kleinen Support immens wertschätze und ich fühle mich auch viel wohler in einem kleineren Setting zu spielen und für das ist die Szene halt super.
„Ich ziehe Englisch dem Deutsch vor, da ich von klein auf fasziniert von der Sprache war und das bis heute noch anhält. Die Texte fliessen bei mir auf Englisch auch besser als auf Deutsch. Aber: Kürzlich habe ich mit Daif einen Track aufgenommen, bei dem ich auf Schweizerdeutsch gesungen habe und seitdem habe ich mir des Öfteren Gedanken gemacht, vielleicht doch einmal einen Song auf Mundart zu releasen.“
prozpera
Ich bin von dieser Textzeile fasziniert: „I hope it isn't just meaningless love“. Die finde ich brutal gut, weil die natürliche Assoziation wäre ja, dass es entweder „love“ oder „meaningless“ ist… Wie auch immer: Wie schreibst du deine Texte? Und der Klassiker: Warum auf Englisch?
Ich schreibe meine Texte nie mit einer konkreten Idee, sondern fange immer mit dem Instrumental an und „freestyle“ mit dem Text bis dann am Schluss etwas Schlaues herauskommt.
Gerade lustig, dass du eine Line aus „Two Souls“ zitierst, denn das ist mein allererster Song, den ich jemals geschrieben habe. Damals habe ich einfach die einfachsten Akkorde für die Gitarre gegoogelt und habe dann ohne einen grossen Hintergrund einen Text in kurzer Zeit zusammengebastelt. Ich würde dir ja gerne eine tiefgründige Interpretation dazu geben, aber der Song ist einfach ein Resultat aus einem kleinen Motivationsschub aufgrund eines Sommergewitters.
Ich ziehe Englisch dem Deutsch vor, da ich von klein auf fasziniert von der Sprache war und das bis heute noch anhält. Die Texte fliessen bei mir auf Englisch auch besser als auf Deutsch. Aber: Kürzlich habe ich mit Daif einen Track aufgenommen, bei dem ich auf Schweizerdeutsch gesungen habe und seitdem habe ich mir des Öfteren Gedanken gemacht, vielleicht doch einmal einen Song auf Mundart zu releasen.
„Breathe“ von prozpera
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