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von Claudia Koch, 01.07.2021

Von Mäusen und Pfahlbauern

Von Mäusen und Pfahlbauern
Archäologe Urs Leuzinger mit einer nachgebildeten Lappenaxt vor der Vitrine mit den Fundstücken. | © Claudia Koch

Bis zum 15. August wird im Le Trésor des Museums für Archäologie Thurgau die Kabinettausstellung «Der sagenhafte Mäuseturm bei Güttingen» gezeigt. Archäologe Urs Leuzinger erklärt, was an diesen Tauchgrabungen so aussergewöhnlich ist. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

In nur einem Raum sind die Fundstücke und die Informationen zu den Tauchgrabungen vor Güttingen von 2017 bis 2020 untergebracht. Doch die Fülle an Erkenntnissen sowie die Besonderheit der Fundgegenstände sind aussergewöhnlich.

Archäologe Urs Leuzinger sagt dazu: «Wir haben es hier mit zwei Zeitperioden zu tun. Mit der Bronzezeit und mit dem Mittelalter.» Denn nebst dem sagenumwobenen Mäuseturm (siehe Kasten), der 240 m vor dem Hafen in Güttingen liegt, entdeckten die Taucher auch Pfahlbauten aus der Spätbronzezeit.

Video: So haben die Archäologen unter Wasser gearbeitet

«Im 21. Jahrhundert noch auf solche Pfahlbauten zu stossen, finde ich absolut toll», sagt Leuzinger begeistert. Wie gross dieses Pfahlfeld ist, zeigt sich an den Dimensionen: Auf über 3000 Quadratmetern kamen 2485 eichene Bauhölzer, die aus der Zeit von 1138 bis 936 v. Chr. stammen, sowie Funde aus Bronze, Silber und Gold zum Vorschein. Darunter auch sieben seltene Lappenäxte sowie zwei gerippte Goldbleche, die in einer Vitrine ausgestellt sind.

Zufallsfund: Ein mehr als 1000 Jahre altes silbernes Glöckchen

Nebst den Pfahlbauten untersuchten die Taucharchäologen auch die bereits bekannten Reste eines quadratischen Turms, der aus dem 11. bis 12. Jahrhundert stammt: der Mäuseturm. Dieses Gebäude lag laut Leuzinger damals ein Meter unter Wasser und war durch eine doppelte Palisadenreihe geschützt. «Das Annäherungshindernis des Mittelalters», so Leuzinger.

Das silberne Glöckchen ist mit den Köpfen der vier Evangelisten versehen. Bild: Claudia Koch

 

Bei diesen Grabungen stiessen die Taucher auf den wohl bedeutendsten Fund: ein silbernes Glöckchen aus dem 9. bis 10. Jahrhundert mit den Köpfen der vier Evangelisten. «Vielleicht hat ein Mönch auf Wanderschaft das Glöckchen hier verloren», mutmasst Leuzinger. Dieser wertvolle Fund geht bald schon auf Wanderschaft und wird ab Oktober in St. Gallen im Rahmen einer Ausstellung zum Mittelalter am Bodensee Halt machen.

Primeur für Thurgauer Bevölkerung

Deshalb ging das Museum mit dieser Kabinettausstellung einen ungewöhnlichen Weg. Leuzinger erklärt: «Normalerweise werden alle Fundstücke zuerst ausgewertet, bestimmt und beschreiben. Doch wir wollten die Primeur und der Thurgauer Bevölkerung die Gelegenheit bieten, die Fundstücke schon jetzt zu begutachten.»

Termine: Die Kabinettausstellung im Le Trésor im Museum für Archäologie ist noch bis am 15. August geöffnet. Die Öffnungszeiten und Eintrittspreise sind unter www.archaeologie.tg.ch ersichtlich.

Goldfunde, wie die zwei gerippten Goldbleche, sind laut Archäologe Urs Leuzinger eher selten. Bild: Claudia Koch

 

Wie der Mäuseturm zu seinem Namen kam

Hintergrund ist eine alte Legende:

 

«Einst war eine grosse Teuerung im Lande. Da sorgten die Herren ringsum für ihre Leute und gaben ihnen Korn. Die Herren von Güttingen aber, deren Speicher reichlich mit Getreide gefüllt waren, verbarmten sich ihrer Angehörigen nicht. Sie selbst lebten in Saus und Braus. Als nun die Not immer grösser wurde, lief das Volk in Scharen zusammen und flehte die Herren um Brot an. Da lockten diese die bettelnden Leute in eine alte Scheune, liessen diese dann durch ihre Knechte schliessen und anzünden. Als die Unglücklichen laut wehklagten und um Erbarmen flehten, rief einer der Freiherren höhnend: Hört, wie die Mäuse pfeifen!

 

Alle Leute in der Scheune kamen in den Flammen um, aber diese grausame Tat blieb nicht ungestraft. Zahllose Mäuse belästigten alsbald die Burgen der Herren von Güttingen. Da flüchteten diese in die Wasserburg. Allein, auch dahin verfolgten sie die Mäuse und frassen sie bei lebendigem Leibe auf. Bald nach dem Tod der Herren von Güttingen versank die Burg in den See.»

Aus: Arnold Oberholzer, Thurgauer Sagen, 1912

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