von Markus Schär, 12.04.2019
Tauchen in die Vergangenheit
Der Mäuseturm, der einst vor Güttingen im Bodensee stand, ist sagenumwittert. Die Archäologen entlocken dem See jetzt seine jahrtausendealten Geheimnisse.
Einst regten sie die Fischer auf, jetzt regen sie die Archäologen an: Auf einer Untiefe, die beim Hafen von Güttingen gut zweihundert Meter vom Ufer entfernt im Bodensee liegt, wachsen immer wieder Pfähle aus dem Boden. Genau genommen, weiss Kantonsarchäologe Hansjörg Brem, wachsen sie natürlich nicht, sondern sie kommen heraus, weil die Strömung den Seegrund wegspült. Dadurch würden die Objekte aus der Vorzeit aber auch schnell zerstört. Deshalb entschieden sich die Thurgauer Archäologen vor zwei Jahren, diesen sagenumwobenen Ort mit Tauchgrabungen zu untersuchen. Derzeit läuft der dritte Einsatz – was die Taucher machen und was sie finden, zeigen sie am Gründonnerstag, 18. April an einer Informationsveranstaltung.
Die Pfähle stellten die Archäologen bisher vor Rätsel: Nach ihren Erkenntnissen kann der Spiegel des Bodensees, seit er nach der letzten Eiszeit entstand, nie so tief gewesen sein, dass die mysteriösen Bauten am Ufer lagen. Hier stand gemäss der Sage einst der Mäuseturm, die Wasserburg der bösen Herren von Güttingen, die in einer Hungersnot Arme in einer Scheune verbrennen liessen und von den heraus rennenden Mäusen in ihrer Burg aufgefressen wurden. Eine massive Holzkonstruktion im Wasser, in einem Quadrat von 15 mal 15 Meter mit Pfählen umstellt, lässt sich denn auch ins 12. Jahrhundert datieren. Im Hochmittelalter gab es hier also tatsächlich eine Turmanlage, wie sie die Archäologen auch in Arbon und Rorschach kennen.
Ein Turm stand wohl schon zur Römerzeit hier
Die Taucher, die den Untergrund in drei Meter Tiefe jetzt wieder zwei Monate lang absuchen, graben sich aber noch weiter in die Vergangenheit zurück. Eine weitere Holzkonstruktion, die sich bisher nicht datieren liess, deutet denn auch darauf hin, dass hier schon zur Römerzeit ein Turm gestanden haben dürfte. Deshalb sägen die Taucher Proben aus harten Eichenbalken; dank der Dendrochronologie, also der Analyse der Jahrringe, können die Spezialisten im Frauenfelder Amt damit die Bauzeit bestimmen.
Und nicht nur zur Römerzeit dürften hier Menschen gehaust haben, sondern schon in der Bronzezeit, genau zwischen 1111 und 942 vor Christus – vermutlich an Land, was die Archäologen bisher nicht für möglich hielten. Auf einem riesigen Feld von rund eineinhalb Hektaren stand eine Siedlung, von der heute im Wasser, wie es Hansjörg Brem ausdrückt, «ein Keramikteppich» zeugt, aber auch eine grosse Zahl von Bronzebeilen, die die Taucher aus dem Schlamm holen.
Unter den Fundstücken: Mittelalterliches Kochgeschirr und römische Ziegel
Diese Pfahlbauer-Werkzeuge können die Interessierten am Gründonnerstag besichtigen, aber auch andere Fundstücke quer durch dreitausend Jahre Geschichte: ob römische Ziegel, moderne Scherben oder mittelalterliches Kochgeschirr, das sich auf drei Beinen ins Feuer stellen liess. Andere Funde liegen schon im Amt in Frauenfeld und führen dazu, wie der Chef scherzt, dass es wegen des dichten Befalls mit Wandermuscheln dort «riecht wie in einer Fischhandlung». Doch da müssen die Forscher durch, denn die Tauchgänge sind nur der Anfang, wie die Archäologin Iris Hutter weiss: «Die eigentlichen Erkenntnisse kommen erst nach der Aktion.»
Der Informationstag am 18. April
Informationen zu den laufenden Arbeiten sind auch beim Hafen Güttingen angebracht oder auf der Homepage des Amtes für Archäologie nachzulesen. Für Neugierige findet am Gründonnerstag, 18. April ab 15 Uhr, eine Informationsveranstaltung statt. Gezeigt und erklärt werden die Abläufe der Tauchgrabung, die Beprobung und Analyse der Hölzer sowie das neuste Fundmaterial. Bei guter Witterung kann das Arbeitsfloss und die Fundstelle im See vom Boot aus besichtig werden.
Bilderstrecke: Was Archäologen im Thurgauer Boden gefunden haben
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