von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 08.05.2020
«Wir brauchen klarere Regeln»
Naturmuseum und Museum für Archäologie arbeiten seit Jahren konsequent zusammen. Ist das ein Modell für alle Museen im Kanton? Hannes Geisser und Urs Leuzinger über Synergien, zähe Entscheidungen, fehlende Neugier und was die anderen kantonalen Museen von ihrem Modell lernen können.
Herr Leuzinger, Herr Geisser, Sie leben hier eine Sondersituation: Zwei Museen in einem Haus, fast so etwas wie eine kleine Museums-WG. Ist das mehr Fluch oder mehr Segen?
Urs Leuzinger: Ich beschreibe das gerne als Zweckehe. Wir haben zum Teil komplett andere Ideen, aber wir sind hier gezwungen, zusammen zu arbeiten. Wir verstehen uns nahezu blind, auch wenn wir in manchen Bereichen ganz anders ticken, wissen wir beide, dass wir am Ende einen Konsens haben müssen. Ein Grund für unseren Erfolg ist, dass wir immer gegenseitig mitdenken und nicht jeder sein eigenes Ding macht.
Hannes Geisser: Das Bild der Zweckehe stimmt schon. Für mich ist das aber überhaupt nicht negativ behaftet. Man muss ein gemeinsames Ziel formulieren. Einerseits. Ich finde es aber immer auch wichtig zu sagen, dass es Dinge geben muss, die nicht verhandelbar sind. Solche Sachen gibt es für Urs genauso wie für mich. Das muss nicht immer ausgesprochen sein, das hat vor allem sehr viel mit gegenseitigem Respekt zu tun. Was nicht bedeutet, dass wir manchmal nicht auch sehr intensive und heftige Diskussionen führen. Das ist ja völlig normal.
«Ein Grund für unseren Erfolg ist, dass hier nicht jeder sein eigenes Ding macht.»
Urs Leuzinger, Leiter Museum für Archäologie (Bild: Sascha Erni)
Das, was Sie seit Jahren hier einüben, soll künftig auch für alle kantonalen Museen gelten. Mehr Kooperationen sind das Ziel. Ist Ihre Zusammenarbeit da ein Vorbild?
Geisser: Was ganz entscheidend hier ist, und das ist etwas, was uns auf der Ebene mit den anderen kantonalen Museen meiner Meinung nach noch fehlt: Wir haben hier eine klare Regelung wie wir miteinander funktionieren in diesen Häusern. Beispielsweise liegt die betriebliche Verantwortung am Ende bei mir. Ich entscheide sehr viel, was den Unterhalt des Hauses betrifft. Eine solche klare Entscheidungsbefugnis gibt es auf der Ebene der kantonalen Museen noch zu wenig. Da muss man für fünf oder sechs Museen auch eine neue Form finden und das macht es zum Teil sehr schwierig. Im Extremfall können die fünf Museumsleiter hier sitzen und wir müssen gemeinsam etwas entscheiden, aber wir haben eine Pattsituation. Und da wir keinen Verantwortlichen haben, ist immer die Gefahr einer Blockade da beziehungsweise es braucht noch mehr Zeit, einen Konsens zu finden, mit dem alle irgendwie leben können.
Bräuchte es also gesamtkantonal einen Gesamtverantwortlichen für Museen, um solche Pattsituation aufzulösen?
Geisser: Das ist eine gute Frage. Aber ich bin nicht überzeugt, dass es das braucht. Weil man damit letztlich nur wieder eine hierarchische Ebene schafft. Im Prinzip könnte man auch salopp sagen, das haben wir eigentlich ja mit dem Kulturamt. Wieso braucht es denn da noch einen Ober-Museumsdirektor? Ich glaube, es bräuchte eher ein anderes Modell. Mein Eindruck war, dass wir auf der kantonalen Ebene mit den sechs Museen noch sehr basisdemokratisch funktionieren. Die Frage ist, wie weit ist das möglich und wo kommt dieses System an seine Grenzen? Wenn man das verändern will, kann man sagen, okay, wir schaffen die Basisdemokratie ab. Oder man kann sagen, das Konstrukt bleibt so, es ist so gewollt und hat ja auch viele Vorteile, aber es bedeutet eben auch, dass Synergien unter dem Konstrukt in einigen Bereichen schlichtweg nicht möglich sind.
Leuzinger: Dass es bei uns so gut funktioniert, liegt natürlich auch an der überschaubaren Grösse. Alle sechs Museen zusammen, das ist nochmal eine andere Nummer. Die Dezentralität erschwert die Zusammenarbeit ebenso wie unterschiedliche Betriebsphiliosophien, unterschiedliche gewachsene Strukturen und dann noch eine gewisse Politik, die meint, man macht Synergien jetzt nicht, um besser zusammen zu arbeiten, sondern um Geld zu sparen.
«Wir haben auf kantonaler Ebene bei den Museen keinen Verantwortlichen mit Entscheidungskompetenz. Deshalb ist immer die Gefahr einer Blockade da.»
Hannes Geisser, Direktor Naturmuseum Thurgau über die Zusammenarbeit der kantonalen Museen (Bild: Sascha Erni)
Wie weit sind die Museen denn durch das Projekt „Thurgauer Köpfe“ zusammen gerückt?
Leuzinger: Mir ist da insgesamt zu wenig gegenseitige Neugierde gewesen. Hannes und ich können sagen, wir haben eine gewisse Empathie füreinander, nicht nur für die Person, sondern auch für das Fach. Ich bin neugierig, was er macht. Er ist neugierig, was wir machen. Wenn Hannes eine Äpfel-Ausstellung macht, dann sage ich, da gibt es bei uns noch dies und das dazu. Könnten wir da nicht was zusammen machen? Oder er kommt von sich aus auf uns zu und fragt, ob wir zu diesem oder jenem Thema noch was haben. Im grossen Rahmen mit allen sechs Museen haben wir ja schon lange darüber diskutieren müssen, überhaupt einen gemeinsamen Nenner zu finden. Der Thurgauer Kopf ist jetzt dieser kleinste gemeinsame Nenner. Da hat mir ein bisschen die Neugier dafür gefehlt, was der andere macht.
Geisser: Da sind wir dank unserem jahrelangen Nebeneinander einfach um Jahre voraus.
Leuzinger: Es ist fast nicht denkbar, dass wir eine Ausstellung nur für uns machen. Wir denken immer darüber nach, wie wir das Naturmuseum auch noch einbinden könnten. Wie bringen wir die Leute vom einen Haus ins andere? Das können sich manche Kollegen noch nicht so richtig vorstellen, wie supergeil die Synergien wären, weil die gar nicht wissen, wie viele Synergien überhaupt möglich wären. So habe ich das jedenfalls empfunden.
«Mir hat ein bisschen die Neugier dafür gefehlt, was der andere macht.»
Urs Leuzinger, Leiter Museum für Archäologie, über die Zusammenarbeit der kantonalen Museen
Haben Sie noch einen Tipp, was die KollegInnen von Ihren beiden Häusern in Sachen Kooperation lernen können?
Leuzinger: Einiges. Zum Beispiel in der inhaltlichen Zusammenarbeit. Miteinander zu reden ist der Anfang. Das geht alles ganz langsam. Eine Beziehung muss man aufbauen, wenn das jetzt funktioniert, wenn am Ende alle das Gefühl haben, doch, es hat Spass gemacht, dann ist das ein erster Schritt. Aber ich fürchte, der richtig grosse Wurf wird das nicht werden. Hier und da wird man künftig vielleicht enger zusammenarbeiten. Aber wollte man die Vision der Politik wirklich umsetzen, müsste man ein Mehrspartenhaus an einem Ort bauen.
Geisser: Die Analyse des Prozesses der Zusammenarbeit steht für mich noch aus. Da müssen wir ganz entscheidende Weichen stellen für die Zukunft und dann sind bestimmte Dinge möglich, andere aber vielleicht nicht, da muss man dann auch ehrlich sein. Jetzt habe ich noch das Gefühl, alle wollen alles und das ist in dem jetzigen Konstrukt nicht möglich. Ich weiss auch noch nicht so genau, was die politische Erwartungshaltung an uns ist. Da blicke ich noch nicht so ganz durch. Ich sage aber auch klar: Ohne eine exakte Analyse kommen wir nicht weiter. Und dann muss man Entscheidungen treffen, auch über Strukturen. Und ich rede jetzt nicht vom Ober-Museumsdirektor, sondern darüber, wer entscheidet, wenn wir uns irgendwann mal festgefahren haben. Im jetzigen Konstrukt kann ich dem Leuzi nicht sagen, jetzt machen wir es so. Das geht schlichtweg nicht.
«Ich weiss auch noch nicht so genau, was die politische Erwartungshaltung an uns ist. Da blicke ich noch nicht so ganz durch.»
Hannes Geisser, Direktor Naturmuseum Thurgau
Leuzinger: Was man aber auch sagen muss: Die Ausstellung «Thurgauer Köpfe» ist genial. Wir haben uns jetzt so zusammengerauft, dass wir jetzt ein Thema haben, eine Farbe haben, eine Schrift haben, eine Publikation haben und verschiedene Flyer, das ist eigentlich ein Wunder.
Geisser: Das stimmt, nicht zu vergessen das vielfältige Rahmenprogramm und die Ausflugskarte «Mit Thurgauer Köpfen durch den Kanton». Aber auf der anderen Seite hat das Projekt eben gleichzeitig all die Baustellen, die wir in der Zusammenarbeit haben, gnadenlos aufgedeckt. Da hoffe ich mir, dass wir uns nicht zu lange loben für die Ausstellung, sondern weiter an der Kooperation arbeiten, damit es beim nächsten Mal in entscheidenden Fragen nicht wieder so ein langes Hin und Her wird – zudem ich natürlich auch meinen Teil beigetragen habe, muss ich ehrlicherweise sagen.
Weiterlesen: Mehr zum Thema
Die Ausstellung «Thurgauer Köpfe» sollten in allen kantonalen Museen eigentlich am 25. April eröffnen. Die Corona-Pandemie verhinderte das. Der neue offizielle Eröffnungstermin ist nun der 6. Juni. Mehr zu den geplanten Inhalten der Ausstellungen gibt es hier.
Die Museumsstrategie: Details zur geplanten Kooperation zwischen den kantonalen Museen und dem langen Weg zur Museumsstrategie gibt es hier.
Teil 1 des Interviews mit Hannes Geisser und Urs Leuzinger über Erfolg, Besucherzahlen und die Bedeutung von Wissen in der digitalen Gesellschaft, gibt es hier.
Zu den Personen
Dr. Hannes Geisser wurde 1966 in Arbon geboren. Er studierte von 1986 bis 1992 Zoologie, Anthropologie und Biomathematik an der Universität Zürich. 1993 arbeitete er an einer Studie über den amerikanischen Gabelbock im Yellowstone Nationalpark USA. Von 1994 bis 1997 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Naturmuseum St.Gallen. 2000 folgte die Dissertation mit einer Arbeit über Populationsentwicklung, Habitatnutzung und Schadensproblematik am Wildschwein im Kanton Thurgau. Seit 1998 ist Hannes Geisser Leiter des Naturmuseums Thurgau in Frauenfeld. Neben seiner beruflichen Tätigkeit war er schon immer als Saxofonist in verschiedensten Jazzformationen aktiv.
Urs Leuzinger wurde 1966 in Basel geboren. Er studierte von 1986 bis 1992 Ur- und Frühgeschichte, Botanik, Geologie und Anthropologie/Anatomie an der Universität Basel. 1999 folgte die Dissertation mit einer Arbeit über die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon-Bleiche 3, 2007 dann die Habilitation zur Pfahlbausiedlung Pfyn-Breitenloo. Seit 1999 ist Urs Leuzinger Leiter des Museums für Archäologie des Kantons Thurgau in der Schweiz. Urs Leuzinger erforscht zudem archäologische Fundstellen im Alpenraum und hat Lehraufträge an den Universitäten Innsbruck und Zürich.
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Kommt vor in diesen Interessen
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- Archäologie
- Natur
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