von Inka Grabowsky, 05.05.2017
Zeit, Geld und Anerkennung
Tabea Steiner bekommt am 23. Mai einen persönlichen Förderbeitrag des Kantons Thurgau in der Sparte Literatur. Sie ist eine von sechs Künstlerinnen und Künstlern, die eine Jury aus 49 Bewerbungen ausgewählt hat. Wir stellen ihnen alle Preisträger in einer neuen Serie in loser Reihenfolge vor.
Von Inka Grabowsky
Im Literaturbetrieb des Kantons Bern ist die Thurgauerin Tabea Steiner nahezu unverzichtbar. Sie organisiert seit 2004 das Thuner Literaturfestival Literaare und ist seit 2014 Ko-Kuratorin des Berner Lesefests Aprillen. Wichtiger für die aktuelle Auszeichnung jedoch war ihr eigenes Schaffen als Autorin (eine Geschichte von Tabea Steiner gibt es zum Herunterladen am Ende des Textes). Aufgewachsen ist sie in Altishausen, und die Erlebnisse in dem kleinen Dorf auf dem Seerücken prägen ihre Texte bis heute, auch wenn sie nach Jahren in Bern und Thun inzwischen in Zürich wohnt.
„Manche Strukturen, in denen man lange gelebt hat, begreift man erst im Rückblick", sagt sie. Aktuell seziert sie für einen Roman die Beziehungen der Menschen in einem Dorf, arbeitet heraus, wer mit wem verstrickt ist. „Mitunter beeinflussen Jahrhunderte die Gegenwart. Man kennt sich seit Generationen – das fasziniert mich." Sie erinnere sich an die Eifersüchteleien, die in der Dorfschule zwischen den Kindern aus Altishausen und dem benachbarten Graltshausen bestanden. „Mein Vater hat mir erzählt, es sei schon in seiner Schulzeit so gewesen. Es gibt auf dem Land offenkundig ein tradiertes Verhalten, das ich als Autorin sichtbar machen will."
Das Preisgeld verschafft Zeit
Nach dem Lehrerseminar in Kreuzlingen studierte Tabea Steiner Germanistik und alte Geschichte in Bern. Das ermöglicht ihr heute, neben dem Organisieren von Literatur-Veranstaltungen in einem kleinen Pensum als Lehrerin zu arbeiten. Mit den 25 000 Franken, die der Förderbeitrag des Kantons Thurgau umfasst, kann sie sich nun Zeit zum Schreiben erkaufen – und da Schreiben viel Zeit braucht, braucht sie auch eine Menge Geld. „Zeit ist für mich im Augenblick die wichtigste Währung", sagt sie. Also wird sie im Brotberuf pausieren, um sich möglichst ganz der kreativen Arbeit widmen.
Vor drei Jahren hatte Steiner ein dreimonatiges Stipendium der Schweizerischen Städtekonferenz gewonnen. In der Zeit begann sie ihren ersten Roman zu schreiben. Das nun geplante Sabbatical soll dazu dienen, das Werk fertigzustellen. „Ich denke darüber nach, dafür nach Berlin zu gehen. Dort käme ich mit dem Budget länger aus." Ortswechsel mag die 36-Jährige ohnehin. „Ich liebe es, mir eine neue Gegend selbst zu erschliessen. Nach der Kindheit im Dorf geniesst sie in der Grossstadt den Kontakt zu vielen unterschiedlichen Lebensentwürfen auf engstem Raum. „In meiner unmittelbaren Umgebung heute gibt es nicht nur Menschen aus allen Ecken der Welt, sondern auch unterschiedlichste soziale Abstufungen. Das Luxusrestaurant befindet sich in enger Nachbarschaft zu Sozialwohnungen. Das ist interessant."
Bestätigung für die einsame Arbeit
Neben dem unmittelbaren praktischen Nutzen bietet der Förderbeitrag der Autorin moralische Unterstützung. „Ich schreibe für mich allein, investiere viel Zeit, und mitunter bin ich unsicher, ob das Ergebnis wirklich gelungen ist. Wenn ich einen Text zur Beurteilung einreiche, wird er gelesen. Jemand sagt mir dann mit dem Preis: Es lohnt sich, weiterzumachen." Diese Antwort zu bekommen, sei für sie essentiell. Entsprechend motiviert geht Tabea Steiner an die Arbeit, wenn sie als Jurymitglied der Schweizer Literaturpreise selbst über die Arbeit anderer Schriftsteller urteilen muss. „Als Autorin versuche ich, einen eigenen Stoff in die passende Sprache zu kleiden. Als Jurorin suche ich nach der passenden Sprache in einem fremden Stoff - so oder so geht es um die Essenz von Literatur." Einen angenehmen Nebeneffekt hat diese Aufgabe. Inzwischen falle es ihr viel leichter, ablehnende Bescheide bei Wettbewerben anzunehmen. „Ich weiss, dass die Texte ernst genommen werden. Das allein ist wichtig."
Weiterlesen:
"Nach drei Seiten hin Fenster": Eine Geschichte von Tabea Steiner finden Sie zum Herunterladen am Ende des Textes
Alle Preisträger auf einen Blick: Diese Künstlerinnen und Künstler haben in diesem Jahr den persönlichen Förderbeitrag des Kantons erhalten
"Schriftstellerin im zweiten Lehrjahr": Interview mit Tabea Steiner aus dem Jahr 2009 nach dem sie den Förderpreis Literatur der Internationalen Bodenseekonferenz zugesprchen bekam
Von Inka Grabowsky
Weitere Beiträge von Inka Grabowsky
- Gezeichnete Philosophie (18.05.2023)
- Professionelle Leidenschaft (12.05.2023)
- Die Herkules-Aufgabe (11.05.2023)
- Jubiläumskonzert mit dem «Tramp» (08.05.2023)
- Das einzige seiner Art in der Ostschweiz (08.05.2023)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Literatur
Kommt vor in diesen Interessen
- Porträt
Ist Teil dieser Dossiers
Ähnliche Beiträge
Gezeichnete Philosophie
Weil Worte nicht ausreichen, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu beantworten, kreiert Julia Trachsel eine Graphic Novel. Dafür erhält die Illustratorin aus Mammern einen Förderbeitrag des Kantons. mehr
Zwischen den Zeilen
Musik, Virtual Reality, Hörspiel, Literatur: Sarah Elena Müller zählt zu den vielseitigsten Künstlerinnen ihrer Generation. Am Donnerstag liest sie in Frauenfeld aus ihrem Debütroman. mehr
Die Zwischenwelt der Fährleute
Macht Lust auf Wasser, Natur, Frühling und spannende Menschen: Daniela Schweglers neuer Band «Uferlos - Fährleute im Porträt» mehr