von Rolf Müller, 16.06.2015
Der Beauftragte privatisiert
Sieben Jahre lang Beauftragter der Kulturstiftung des Kantons Thurgau, nun geht Klaus Hersche in Pension. Wie sich für den Ostschweizer via Fribourg, Lyon und Paris der Kreis im Thurgau schloss.
„An meinem letzten Arbeitstag am 31. August werden es genau sieben Jahre sein, in denen ich für die Kulturstiftung tätig war“, sagt Klaus Hersche. Sieben, das ist eine Glückszahl für den Mann mit der wilden Frisur, der das Pensionsalter schon einige Monate hinter sich hat. Das merkt man ihm nicht an: Kaum ein graues Haar, wach und reflektiert im Dialog, ironisch.
Gleich zu Beginn des Gesprächs stellt er klar, dass „Beauftragter“ so eigentlich nicht zutreffe. Zusammen mit den Kolleginnen Caroline Minjolle und Silvia Jenny sei er einfach Mitarbeiter der 1991 vom Kanton geschaffenen öffentlich-rechtlichen Kulturstiftung, nicht ihr Chef. Das Team teilt sich bei der Förderung des zeitgenössischen Kulturschaffens die Aufgaben thematisch: Hersche betreut hauptsächlich Musik und bildende Kunst, Minjolle Fotografie, Tanz und Theater, Jenny die Literatur.
"Von der Provinz in die Provinz"
Dass er seine Berufskarriere im Thurgau beendet, sei ein stimmiger Glücksfall, „von der Provinz in die Provinz, und das meine ich nicht negativ“. Denn aufgewachsen ist Hersche im Kanton Appenzell Innerrhoden, Appenzell Dorf. Den dort typisch kernigen Dialektsound haben die Jahrzehnte ausserhalb mittlerweile ziemlich verwaschen, die Ostschweiz hört man dennoch gut heraus.
Am 31. August ist der letzte Arbeitstag von Klaus Hersche bei der Kulturstiftung. (Bilder: Rolf Müller)
Nach der Matura zog Hersche 1970 studienhalber nach Fribourg – „das schien fürs Erste weit genug“, wo er auch in der Kulturarbeit engagiert war. Etwa als Mitgründer des Kulturfestivals „Belluard Bollwerk International“. Das seien radikale Experimentalzeiten gewesen. So hätten sie beispielsweise Hirschhorn Jahre vor seinem Pariser Skandal gehabt.
Dann Lyon, Leiter des Kulturzentrums „Les Subsistances“. Und schliesslich Paris als Projektleiter am „Centre Culturel Suisse“. Dorthin mailte ihm seine Frau 2008 das Stelleninserat der Kulturstiftung, versehen mit dem lakonischen Kommentar: „Du wolltest ja schon immer in den Thurgau…“. So habe sich der Kreis geschlossen, sei er wieder in der Ostschweiz gelandet, die ihm fremd geworden war.
Gegen das Cliché vom reaktionären Kanton
Provinz erkennt man offensichtlich daran, dass sie nicht nur von ausser-, sondern auch von innerhalb als solche wahrgenommen wird. „So fragte mich der damalige Stiftungsratspräsident beim Bewerbungsgespräch: ‚Wieso wollen Sie von Paris in den Thurgau wechseln?‘. Und Freunde und Bekannte, denen ich davon erzählte: ‚Was willst Du denn da?‘“, erinnert sich Hersche. Die Antworten seien ihm einfach gefallen: „Erstens brauchte ich einen Job, zweitens gefällt es mir in der Provinz.“
Neue Beauftragte der Kulturstiftung wird Gioia dal Molin
Wie die Kulturstiftung des Kantons Thurgau mitteilt, hat der Stiftungsrat die 34-jährige Zürcher Kunstwissenschaftlerin und Kuratorin Gioia dal Molin per 1. September 2015 zur Nachfolgerin von Klaus Hersche als neue Beauftragte der Kulturstiftung ernannt. Die Wahl erfolgte gemäss Medienmitteilung "aus über 200 teils hochkarätigen Bewerbungen".
Gioia Dal Molin hat an der Universität Zürich Kunstgeschichte, Allgemeine Geschichte und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft studiert und ihr Studium mit einer Dissertation über Kunstförderung abgeschlossen. Daneben hat sie in verschiedenen Institutionen als wissenschaftliche Mitarbeiterin gewirkt und mehrere Ausstellungs- und Performanceprojekte kuratiert. (rom)
Den Thurgau „mit seinem etwas schwierigen Selbstverständnis“ hatte er lediglich noch von kindlichen Sonntagsausflügen in Erinnerung. „Ich versuchte, möglichst unvoreingenommen zu sein. Und wurde überrascht“: Die Ostschweiz wie der Thurgau wirkten bei oberflächlicher Betrachtung seltsam unberührt, ein unbekanntes Land. „Schaut man aber genau hin, ist es erstaunlich, was wirklich läuft, wie viele spannende Leute und Projekte es hier gibt“, sagt Hersche und bricht eine Lanze für Mostindien: „Das Cliché vom Thurgau als reaktionärer SVP-Kanton stimmt einfach nicht.“
Kein Druck seitens Politik
Bestes Beispiel dafür sei die unabhängige Kulturstiftung des Kantons, „eine in der Schweiz einmalige und innovative Einrichtung, welche die staatliche Kulturförderung durch das Amt für Kultur projektbezogen ergänzt, und das seit fast 25 Jahren schon.“ 2013 verzeichnete die Stiftung 117 Gesuche von Kunstschaffenden, davon 85 sogenannte „Bürogesuche“ mit Anträgen bis 10‘000 Franken, über die das Stiftungsbüro selbst befinden kann. Über alles darüber entscheidet der neunköpfige Stiftungsrat an sechs Sitzungen jährlich. In ihrer Arbeit sei die Stiftung absolut unabhängig, betont Hersche. Druck seitens der Politik habe er nie verspürt.
Im Schuss und im Endspurt: Bei der Arbeit.
Er ist überzeugt, dass eine Begleitung von einheimischen Kunstschaffenden Sinn macht, nicht nur finanziell, sondern auch beratend, beispielsweise bei Budgetfragen. Den Nutzen der Investition dürfe man nicht kurzfristig sehen: „Künstler sollen, müssen für ihre Entwicklung den Kanton verlassen. Sie haben dabei auch eine Rolle als Kulturbotschafter. Kehren sie später zurück – ob zu Besuch oder ganz -, kann das der hiesigen Szene wertvolle Inputs geben, einen befruchtenden Austausch ermöglichen.“
Wobei: Eine eigentlich urbane Kunstszene gebe es im dezentralen Thurgau ja nicht, das sei eine der kantonalen Eigenarten. Dafür im positiven Fall einen starken regionalen Zusammenhalt. Spiele das nicht, kämen sich Künstler umgekehrt manchmal „etwas vereinzelt vor“, räumt er ein.
Zeitgenössisches Schaffen sichtbar machen
Um dem entgegen zu wirken, lancierte die Kulturstiftung in den letzten Jahren aktiv Plattformen für Thurgauer Kunstschaffende. Etwa 2013 die Kulturdebatten, aus denen sich die „werkschau tg“ entwickelte, bei der ebenfalls 2013 an fünf Standorten im Kanton 54 vorgestellte Projekte einen umfassenden Einblick ins zeitgenössische Schaffen des Kantons gaben. „Wir wollen nicht nur reaktiv sein, sondern auch als Veranstalter auftreten“, betont Hersche und verweist hier als Beispiel auf die jüngst zu Ende gegangene 10. Ausgabe des Tanzfestivals „tanz:now“ in Steckborn.
Im aktiven Bereich läge noch mehr drin, ist er überzeugt. Die Stiftung solle immer wieder auch Impulsgeber sein für Auseinandersetzungen. Dafür bräuchte es aber auch ein geeignetes Setting, etwa Räumlichkeiten für wiederkehrende „Kunst-Rendezvous“, in denen Projekte vorgestellt und Diskussionen im Kunstkreis, aber auch mit der Öffentlichkeit geführt würden. Hersche bedauert zudem, dass es bisher nicht möglich war, das professionelle Theater infrastrukturell mehr zu unterstützen.
Nicht skeptisch, was die Zukunft angeht: „Jedes gute Projekt birgt schon den Kern eines nächsten in sich“.
Er erinnert aber auch daran, dass die Kapazitäten des Stiftungsbüros mit 160 Stellenprozenten beschränkt seien. Dies etwa zur Frage, ob sich die Kulturstiftung in die Planung der Expo 27 einbringt. „Hier liefen Diskussionen, die derzeit leider versandet sind. Solche Projekte benötigen enorm Zeit.“ - Zeit, von der er persönlich ab 1. September wieder mehr haben wird. Grosse Pläne für „danach“ habe er nicht. Sicher werde er seine weiterhin berufstätige Frau im Haushalt und bei der Betreuung des gemeinsamen sechsjährigen Sohns entlasten. „Darauf freue ich mich sehr.“
Ausserdem stellt er sich vor, auch künftig in irgendeiner Form in der Kulturarbeit aktiv zu sein, vielleicht als Berater, vielleicht auch mit eigenen Projekten. Denn davon ist Hersche überzeugt: „Jedes gute Projekt birgt schon den Kern eines nächsten in sich“.
Ihm werden die Ideen dafür nicht ausgehen.
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Kulturgespräch mit Gioia Dal Molin - thurgaukultur.ch vom 28.06.2015
Weitere Beiträge von Rolf Müller
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